In Deutschland leben rund fünf Millionen pflegebedürftige alte Menschen, die oft von Angehörigen auf der letzten Wegstrecke begleitet werden. Diese Angehörigen, meist die eigenen Kinder, seien inzwischen der größte Pflegedienst der Nation, so Peggy Elfmann in ihrem Buch Meine Eltern werden alt. Es sind oft Menschen, die gleichzeitig die eigenen Kinder betreuen und berufstätig sind.
Die eigenen Eltern im Alter zu unterstützen, vielleicht sogar selbst zu pflegen, ist dabei nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch eine emotionale. Denn pflegende Kinder müssen oft eine Schwierige Rollenumkehr vornehmen – so der Titel und zugleich Fokus des Ratgebers von Dorothee Döring. In vielen Fällen sind sie zudem bei den pflegebedürftigen Eltern nicht nur mit körperlichen Gebrechen konfrontiert, sondern auch mit einer Demenz oder Alzheimererkrankung.
Die sich daraus ergebenden Konflikte sind ein zentraler Gesichtspunkt beider Bücher. Beide Autorinnen liefern lebenspraktisch wie psychologisch einleuchtende Analysen und Tipps. Dabei betonen sie auch, wie wichtig es ist, die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen, und weisen darauf hin, dass einfühlsame Fürsorge immer auch der Selbstfürsorge der Pflegenden bedarf. Nur dann kann der schmale Grat zwischen Hilfe und Bevormundung gewahrt bleiben.
Gemeinsam selbstwirksam
Den Untertitel ihres Buches einlösend, legt die Journalistin und preisgekrönte Bloggerin Elfmann großes Gewicht auf die vielen Möglichkeiten, den alltäglichen Umgang mit Eltern liebevoll und verbindend zu gestalten. Zum Beispiel indem die Eltern durch Spiele-nachmittage, gemeinsames Musikhören und Betrachten von Fotos mit schönen Erlebnissen wieder in Kontakt kommen oder beim gemeinsamen Gärtnern und Kochen Selbstwirksamkeit erleben.
Bei Dorothee Döring, die als Dozentin auf die Bereiche Kommunikation und Konfliktmanagement spezialisiert ist, liegt der Akzent des Buches stärker auf der oft komplizierten Dynamik zwischen alten Eltern und erwachsenen Kindern. Kompliziert, weil das bisherige Rollenmuster quasi umgekehrt wird, was für beide Seiten eine Herausforderung ist. Bei den Pflegenden braucht es Geduld, Gelassenheit und eine genaue Kenntnis der eigenen emotional empfindlichen Punkte einerseits und der Ressourcen andererseits. Auch warum und wie Scham, Gewalt und Sucht eine Pflegesituation belasten können, beleuchtet sie einfühlsam. Den teils redundanten Passagen im zweiten Teil des Buches hätte allerdings ein beherztes Lektorat gutgetan.
Für pflegende Angehörige bieten beide Bücher wichtige Anregungen, Orientierung und emotionale Unterstützung. Dabei finden sich bei Elfmann viele praktische Informationen zu Institutionen und politischen Initiativen, auch in Österreich und der Schweiz. Döring bietet neben Praktischem viele Hinweise auf neuere Bücher, vor allem auf solche, in denen das Thema Demenz aus literarisch-persönlicher Perspektive betrachtet wird.
„Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt“
Diese spezielle Situation steht im Zentrum des Essays Alte Eltern von Volker Kitz. Der Autor erzählt von den Jahren, in denen er seinen an Demenz erkrankten Vater begleitet hat. Anschaulich vergegenwärtigt das Buch mit dem stimmigen Untertitel „Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt“ den emotionalen Prozess zwischen dem kranken Vater und dem mit völlig neuen Verantwortungen konfrontierten Sohn. Zugleich fesselt es durch aufschlussreiche Exkurse in die Psychologie – vor allem in die Bereiche Erinnerung und Wahrnehmung –, Philosophie und Literatur.
Kitz bleibt nah am eigenen Erleben, das er wachsam – für seinen Vater, seinen Bruder, die Familiendynamik und sich selbst – beobachtet. Und er befragt Erfahrungen wie Erschrecken, Überforderung, Zorn, Trauer und Unsicherheit: Wenn das Vertraute verschwindet, womit füllen wir das Nichts? Wo findet der Sohn Orientierung angesichts der radikal neuen Fragen und Probleme? Eindringlich berichtet er von seinen Versuchen, die Welt des Vaters verstehen zu wollen, Wirklichkeiten mit ihm zu teilen – und benennt dabei die eigenen Grenzen: Die Ohnmacht und Panik, die die unaufhaltsamen, unabsehbaren Gesetzen gehorchenden Veränderungen des Vaters im Sohn hervorrufen, werden auf jeder Seite des Buches spürbar, ohne dass sich Hoffnungslosigkeit oder Düsternis ausbreitet. Der Text bleibt friedlich, weil die Haltung des Autors zwar nichts beschönigt, aber zugleich von einer tiefen Liebe zu diesem Vater getragen ist.
Erhellend ist Kitz’ auch sprachlich gelungener Essay dabei über das Thema Demenz hinaus. Denn viele der Veränderungen, die den Kontakt zwischen Vater und Sohn so verunsichernd und schwierig machen, treten in leichter Form auch bei „normal“ alternden Menschen auf – wie die Bücher von Elfmann und Döring deutlich machen. Und in den Erzählungen des Autors scheinen immer wieder Erfahrungen eines ungeahnten Miteinanders auf – nicht als Tipps, sondern als Möglichkeiten, die es wahrzunehmen und zu gestalten gilt. Es ist der zugleich kundige, präzise und behutsame Gestus, der diesen Essay berührend und bis in das inspirierende Literaturverzeichnis hinein empfehlenswert macht.
Peggy Elfmann: Meine Eltern werden alt. 50 Ideen für ein gutes Miteinander. Hanserblau 2024, 224 S., € 20,–
Dorothee Döring: Schwierige Rollenumkehr. Die Sandwich-Generation in der Pflicht. Franzius 2024, 192 S., € 19,90
Volker Kitz: Alte Eltern. Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt. Kiepenheuer & Witsch 2024, 234 S., € 23,–