Sie haben als eine der ersten Forschenden nachgefragt, welche konkreten Ursachen es für gewollte Kinderlosigkeit gibt. Was war das Ergebnis?
Wir haben für unsere Studie mehr als 1100 Frauen befragt, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben. Die meisten waren zwischen 31 und 40 Jahre alt. Die Ergebnisse zeigen, dass der Mehrheit dieser Frauen schon sehr früh klar war, dass sie keine Kinder wollen. Sie hatten diese Entscheidung noch vor dem 21. Lebensjahr getroffen und sie bereuten ihre Entscheidung nie.
Schaut man sich die Ursachen an, wird deutlich, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, also die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf, eine untergeordnete Rolle spielen. Viel stärker ging es den Frauen darum, mehr Zeit zur Selbstverwirklichung und schlichtweg mehr Freiheit zu haben. Auf Platz zwei stand der Wunsch, frei von der Verantwortung sein zu wollen, selbst Kinder erziehen zu müssen. Jede zweite Befragte gab zudem an, aus einem ökologischen Bewusstsein heraus keine Kinder zu wollen.
Manche denken, dass Frauen nach negativen Kindheitserfahrungen keine Kinder wollen. Lässt sich das durch Ihre Daten bestätigen?
Die Daten geben keine Hinweise darauf, dass sich dieses Klischee bestätigen lässt. Die von uns befragten Frauen sind mehrheitlich in ihrer Kernfamilie aufgewachsen. Viele erklärten, dass sie sich in ihren Elternhäusern geborgen fühlten.
Unabhängigkeit, das klingt nach einer Entscheidung gegen Kinder aus Karrieregründen.
Wenngleich die Mehrheit der Frauen über ein gehobenes Bildungsniveau verfügt, war dies ein Punkt, jedoch nicht der Hauptgrund. Bei den Frauen, die an unserer Studie teilnahmen, landeten die Themen Karriere oder Finanzen nicht auf dem höchsten Platz der persönlichen Prioritätenliste.
Spielte der Beziehungsstatus eine Rolle?
Nein, auch dafür fanden wir keine Anhaltspunkte. Drei Viertel der Befragten gaben an, in einer festen Partnerschaft zu leben, etwa 21 Prozent sind sogar verheiratet.
Wie reagierten Eltern, Freundinnen und Bekannte auf den nicht vorhandenen Kinderwunsch?
Was wir hier herausfanden, war nicht überraschend. Viele Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, erleben einen sozialen Druck in Form ablehnender Reaktionen, wenn sie ihren Entschluss offen kommunizieren. Überraschend war, dass sich mehr als die Hälfte von diesen Reaktionen innerlich gut abgrenzen kann. Sie lösen in ihnen keine emotionale Betroffenheit aus.
Die Daten geben zu erkennen, dass das umso besser gelingt, je jünger sie waren, als sie die Entscheidung gegen Kinder getroffen haben. Je später Frauen diese Entscheidung treffen, desto stärker fühlen sie sich bemüßigt, sich für ihren Lebensstil zu entschuldigen.
Wie interpretieren Sie die Ergebnisse?
Die Rollen der Frau und der Mutter waren in der Vergangenheit auf schier untrennbare Weise miteinander verbunden. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass es Frauen gibt, die sich davon lösen. Es scheint, dass sie sich mit der biologischen Mutterrolle nicht identifizieren können und wollen. Sie emanzipieren sich von gesellschaftlichen Erwartungen, verfolgen ein anderes Lebenskonzept und Rollenmodell als Frau.
Claudia Rahnfeld ist Professorin für soziale Arbeit, Professionstheorie und disziplinäres Wissen an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach.
Annkatrin Heuschkel, Claudia Rahnfeld: Gewollte Kinderlosigkeit. Theoretische Einordnung und empirische Erkenntnisse zur Entscheidung von Frauen für ein Leben ohne Kinder. Springer VS, Wiesbaden (erscheint 2023)