Kann eine Trennung die Identität stärken?

Endet ihre Beziehung, fallen viele Menschen in Identitätskrisen. Peter Bremicker erklärt, wie man mit einem gestärkten Selbstbild hervorgeht.

Die Illustration zeigt den studierten Theologen und klinischen Seelsorger, Peter Bremicker
Peter Bremicker ist Theologe, klinischer Seelsorger und Leiter des Hamburger Instituts für Systemische Transaktionsanalyse und Psychotraumatologie. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Welchen Einfluss hat eine Trennung auf die Identität der Beteiligten?

Wenn eine Beziehung endet, wird nicht nur der Alltag neu organisiert, sondern auch das Selbstbild und die persönliche Identität können erheblich erschüttert werden. Zum einen hat der Verlust einer Rolle eine große Bedeutung. In einer Partnerschaft nehmen wir spezifische Rollen ein – als Partnerin, als Vertrauter, als Unterstützerin. Der Wegfall dieser Rollen kann eine Identitätskrise auslösen, weil wir uns plötzlich fragen müssen: „Wer bin ich ohne diese Beziehung?“ Zum anderen kann eine Trennung auch dazu führen, dass wir unsere Werte und Prioritäten hinterfragen und möglicherweise verändern. Ohne den Einfluss des Partners kann man sich wieder intensiver mit den eigenen Wünschen und Zielen auseinandersetzen und diese neu justieren.

Wovon hängt die Schwere der Identitätskrise ab?

Wie schwer eine durch eine Trennung ausgelöste Identitätskrise wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die individuell variieren können. Eine zentrale Rolle spielt, wie lang und wie intensiv die Beziehung war – je länger zwei Menschen zusammen waren und je näher sie sich standen, desto mehr verflechten sich ihre Identitäten. Ebenso wichtig ist der Grad der Abhängigkeit: Je abhängiger man in emotionaler, finanzieller oder sozialer Hinsicht vom Partner oder der Partnerin war, desto intensiver kann die Identitätskrise ausfallen.

Wer ein starkes persönliches Selbstwertgefühl und eine stabile Identität hat, kann die Trennung meist besser verkraften. Wenn Freundinnen und Familie einen unterstützen, hilft das sehr, die Krise zu bewältigen. Menschen, die auf ein solides Netzwerk zurückgreifen können, sind deshalb oft besser in der Lage, den Verlust zu verarbeiten. Welche Erfahrungen man in der Vergangenheit gemacht und welche Bewältigungsstrategien man daraus entwickelt hat, spielt ebenfalls eine Rolle. Das heißt: Wer bereits ähnliche Krisen gemeistert hat, verfügt meist über effektivere Mechanismen zur Verarbeitung. Schließlich beeinflussen auch die Umstände der Trennung die Intensität der Krise – einvernehmliche und respektvolle Trennungen sind in der Regel weniger traumatisch als konfliktreiche oder abrupt endende Beziehungen.

Wie kann sich das verletzte Ego nach einer Trennung stabilisieren?

Es ist wichtig, sich Zeit für Selbstreflexion und Selbstakzeptanz zu nehmen, um die Beziehung und die Trennung zu verstehen und die eigenen Gefühle zu akzeptieren. Es kann auch helfen, persönliche Ziele neu zu definieren, sowohl kurz- als auch langfristig, um vielleicht eine neue Richtung im Leben zu finden. Wer soziale Kontakte aufbaut und pflegt, fühlt sich emotional unterstützt und weniger einsam.

Es kann auch wertvoll sein, sich professionell im Rahmen einer Therapie oder Beratung unterstützen zu lassen, um tiefverwurzelte Probleme zu bearbeiten und das Selbstbild zu stärken. Der Austausch in Selbsthilfegruppen kann zusätzlich neue Perspektiven und Unterstützung bieten. Positive Selbstgespräche und Gedankenmuster helfen dabei, negative Gedanken durch positive Affirmationen zu ersetzen und sich auf Stärken und Erfolge zu konzentrieren. Geduld und Zeit sind essenziell, da Heilung ein Prozess ist, der nicht über Nacht abgeschlossen ist – und das sagt Ihnen jemand aus eigener persönlicher Erfahrung und schmerzhaft erlebten Trennungsprozessen.

Peter Bremicker, studierter Theologe und klinischer Seelsorger, ist Leiter des Hamburger Instituts für Systemische Transaktionsanalyse und Psychotraumatologie, Lehrtrainer und Lehrsupervisor für systemische Transaktionsanalyse und in eigener Beratungspraxis tätig.

Peter Bremickers Buch Wenn Liebesbeziehungen zu Ende gehen. Trennungsprozesse identitätsstärkend begleiten (131 S., € 20,–) ist bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen

Artikel zum Thema
Vergangene Partnerschaften beeinflussen unser Beziehungsleben. Wer sie reflektiert, kann an den Erfahrungen wachsen.
Patchworkfamilien scheitern nicht selten an Rollenkonflikten und unrealistischen Erwartungen. Welches „Handwerkszeug“ brauchen Patchworker?
Die Japansäge zertrennt nur auf Zug, nie unter Druck. Sie ist biegsam, bricht aber nie. Davon kann sich der moderne Mensch eine Scheibe abschneiden.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2025: Stürmische Zeiten - stabiles Ich
Anzeige
Psychologie Heute Compact 79: Das Leben aufräumen