„Es gibt keine Narzissten!“

Klaus Eidenschink erklärt in seinem Buch, wie man unbewusst narzisstisches Verhalten bei anderen fördert – und wie man damit aufhört.

Ein Bücherstapel mit den Büchern, die in Ausgabe 1/2025 des Magazins Psychologie Heute vorgestellt werden
Das ist der Bücherstapel der Rezensionen aus der Januarausgabe 2025. © Psychologie Heute

Es gibt keine Narzissten! Nur Menschen in narzisstischen Nöten. Mit diesem Titel seines neuen Buches stellt Klaus Eidenschink das verbreitete Bild von Narzisstinnen und Narzissten als Menschen, die mit einem großen Ego ausgestattet sind, infrage. Nachdrücklich weist er stattdessen darauf hin, dass dahinter Nöte stecken, die meist früh in der Entwicklung eines Menschen ihren Anfang genommen haben, quasi als Überlebensstrategie entstanden und mit einer enormen inneren Einsamkeit verbunden sind.

Die eigentlichen Adressaten und Adressatinnen des Buches sind nicht die Menschen in narzisstischen Nöten, sondern eher jene, die in eine Art Co-Abhängigkeit mit ihnen geraten sind und so narzisstisch geprägte Dynamiken unterstützen, befeuern. Laufen wir doch nahezu alle Gefahr, dieses ausbeutende System zu bedienen, weil wir Anerkennung suchen, jemanden retten oder bewundern, keine Grenzen ziehen wollen oder vielleicht Angst haben vor der Aggressivität des Gegenübers.

„Alle, die für einen (narzisstisch) Wichtigen wichtig werden wollen, gefährden sich […] selbst. Narzisstisch leidende Personen nutzen solche Wünsche aus. Sie infiltrieren andere, indem sie Köder legen: Aussicht auf einen gemeinsamen ‚Sieg‘, eine perfekte Familie, die klügsten Kinder, die spektakulärste Show, den unvergesslichsten Sex oder die Rettung der Welt.“

Niemand wird hier verurteilt. Der in vielfältigen Funktionen als Coach und Berater tätige Autor weist im Gegenteil respektvoll darauf hin, dass eine Selbstbegegnung für Menschen in narzisstischen Nöten ohne einfühlsame professionelle Begleitung kaum zu leisten ist. Weil sie bis jetzt nur „Bühnenfiguren ihres eigenen Lebens“ waren und sich, wenn sie diese glanzvolle, unwirkliche Existenz aufgeben wollen, einer furchterregenden Leere und Scham stellen müssen.

Die narzisstische Not tobt

Trotz der komplexen Thematik ist das Buch leicht zugänglich, ohne zu ver­einfachen. Es verlangt kaum theoretische oder terminologische Kenntnisse, wohl aber die Bereitschaft zu einer kritischen und mutigen (Selbst-)Wahrneh­mung.

Der konsequente Bezug auf die Praxis macht Eidenschinks Buch besonders packend. Dabei zeigt schon ein kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis – dessen teils paradox formulierte Kapitelüberschriften sich bei der Lektüre erklären –, wie umsichtig hier die verschiedensten Lebensbereiche analysiert werden: berufliche Strukturen, Schule, Familie, Paarbeziehungen, Politik und Therapie.

Das Buch ist ein kluger, inspirierender Begleiter für einen Aufbruch in Eigenregie. Es öffnet die Augen, lehrt, im Privaten ungute Dynamiken wahrzunehmen – wo möglich zu verändern – und sich gesellschaftspolitisch „in einer Gesellschaft […], in der sich narzisstische Not austoben darf“ als Gegenkraft zu begreifen.

Klaus Eidenschink: Es gibt keine Narzissten! Nur Menschen in narzisstischen Nöten. Eine Handreichung für alle und jede(n). Carl-Auer 2024, 161 S., € 19,95

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 1/2025: 6 Schritte, wie wir das Jahr gut abschließen
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