„Die Nacht war wie ein Schnellzug an ihr vorbeigerauscht, rastlos hatte sie sich von einer Seite auf die andere gedreht. Am Morgen dann war sie, in einen dunkelblauen Hosenanzug gekleidet, aus ihrem Hotel getreten. Der stahlblaue Himmel kündigte einen warmen Spätsommertag in der fremden Stadt an, die sie in ihren Bann zog, sie aufwühlte und ihre Lust am Umherstreunen weckte. Hätte sie doch ihren Worktrip um ein paar Tage verlängert.
Ein schneller Schritt ergriff sie und innerhalb kurzer Zeit hatte sie das Flussufer erreicht. Langsam verflog die Müdigkeit der Nacht. Sie blickte die Böschung hinab und vor ihrem inneren Auge tauchten schemenhafte Erinnerungen an den Traum auf, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte – ein vertrautes Gesicht, das sie nicht greifen konnte. Sie betrat das kleine Café am Ufer, in dem sie bereits gestern einen Americano getrunken hatte, und ihr Blick fiel auf das Titelbild einer Zeitung. Da war es wieder, das Gesicht!
Es war Peggy, ihre langjährige Freundin, Schauspielerin und Regisseurin, die sie vor einigen Jahren komplett aus den Augen verloren hatte. Der Verlust schmerzte immer noch. Peggy auf der Titelseite, was war passiert? Rasch zahlte sie das Blatt und lief in die Stadt hinein, blickte immer wieder verstohlen auf die Zeitung. Als sie aufschaute, umgaben sie große, klobige Gebäude. Sie musste im Gerichtsviertel gelandet sein.
Vor ihr lag eine elegante Treppe mit niedrigen Stufen, die, in sattes Morgenlicht getaucht, Schutz vor dem aufkommenden Lärm der Stadt bot. Sie ließ sich dort nieder, atmete tief durch und schlug die Zeitung auf: time to face it! Atemlos las sie den Artikel. Peggy hatte mit der Titelrolle in einem Film einen internationalen Erfolg und wurde hier in dieser wunderschönen Stadt gefeiert – sie musste noch da sein. Heute noch würden sie sich wiedersehen. Sie griff zum Telefon und wählte die Nummer der Freundin.“
Was könnte Ihre Bildbeschreibung mit Ihnen persönlich zu tun haben?
„Ich habe hier einen persönlichen Konflikt, den ich vor vielen Jahren hatte, in einen anderen Kontext gesetzt. Dennoch ist es am Ende für mich so etwas wie eine wahre Geschichte.“
Amelie Deuflhard ist Intendantin des Kampnagel in Hamburg, Europas größtem Produktionszentrum für die freien darstellenden Künste. 2018 wurde sie als „europäische Kulturmanagerin des Jahres“ ausgezeichnet