Wie viele Menschen fühlen sich in einer Lebensrolle gefangen, in der vieles, was in ihnen steckt, unerforscht bleibt? Der Bestsellerautor und Organisationspsychologe Adam Grant zeigt in seinem unterhaltsamen, faktenreichen und nützlichen Buch Hidden Potential, wie wir Gewohnheiten und soziale Systeme entwickeln, welche die größtmögliche Entfaltung unserer Potenziale fördern. Es bietet faszinierende Forschungsbefunde, praktische Tipps und fesselnde Fallgeschichten.
Grant legt überzeugend dar, dass neugierige Menschen, die aktiv nach neuen Erkenntnissen suchen und eigene Ansichten skeptisch hinterfragen, am meisten lernen. So schildert er etwa, wie eine nahezu taube Perkussionistin zu Weltruhm gelangte. Zudem belegt er, dass wir schneller lernen, wenn wir uns unangenehmen Herausforderungen stellen, Versagensängste annehmen und kritische Beobachterinnen und Beobachter um Rat bitten. So lernen wir etwa eine Sprache, indem wir uns den fremden Wörtern und Klängen aussetzen. Schreiben konfrontiert uns mit Verständnislücken.
Mit Disziplin und Entschlossenheit
Grant belegt die große historische Bedeutung der Bildung für den sozialen Fortschritt. In Finnland hat er erlebt, wie das erfolgreiche und egalitäre Schulsystem Schülerinnen und Schüler mit Problemen unterstützt und den Klassenverband stärkt. Er weist nach, dass erfahrene Erzieher und Lehrerinnen Charakterstärken wie Prosozialität, Disziplin und Entschlossenheit fördern, die sich mehr als doppelt so stark auf das spätere Einkommen auswirken wie Mathe- und Leseleistungen im Grundschulalter. Grant erzählt, wie eine Schülergruppe aus einem Elendsviertel mithilfe dieser Stärken die US-Meisterschaft im Schach gewann.
In einer Studie in Westafrika konnten Unternehmensgründerinnen und -gründer, die diese Charakterstärken mit Psychologen trainiert hatten, ihre Gewinne um 30 Prozent steigern – fast dreimal so viel wie solche, die in Business-Skills geschult worden waren.
Bislang unentdeckte Schätze
Es ist die Mischung aus Beharrlichkeit und Leidenschaft, die Grant zufolge Spitzenleistungen ermöglicht. Er zeigt, wie spielerische, aber gezielte Übungseinheiten die Lernfreude und Leistung von Schülern, Sportlerinnen und Medizinern steigern. Perfektionistinnen schaden häufig ihrer Produktivität, weil sie sich in Details verlieren, aus Angst vor Fehlern die Arbeit aufschieben oder ausbrennen.
Dass Narzissten häufig in Führungspositionen gelangen, obwohl sie den Teamgeist, die Zusammenarbeit und die Produktivität untergraben, weist Grant ebenfalls nach. Schließlich erläutert er ausführlich, warum wir in Jobinterviews auf versteckte Stärken und schwere Lebensumstände achten sollten. Er erzählt von einem armen mexikanischen Wanderarbeiter, der sich trotz harter Rückschläge den Traum erfüllte, für die NASA ins All zu fliegen.
Dieses ermutigende Buch schärft den Blick für die bislang unentdeckten Schätze, die in unserer Seele schlummern.
Adam Grant: Hidden Potential. Die Wissenschaft des Erfolgs. Wie man über sich hinauswächst. Aus dem Amerikanischen von Marlene Fleißig und Violeta Topalova. Piper 2024, 352 S., € 24,–