Die Samstage sind am schlimmsten. Vor dem Tor unseres Wertstoffhofes bilden sich lange Schlangen. Je später der Tag, desto chaotischer werden die Leute. Wer hier nach zwölf Uhr auftaucht, hat das Auto meist komplett voll mit Müll, alles fliegt durcheinander und die Person selbst ist auf 180. Ich schaue, was sie mitbringt, weise sie ein und helfe ihr, die Materialien richtig zu entsorgen.
Mein Beruf heißt Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft, mein Fachgebiet ist die Chemikalienentsorgung. Den Umgang mit Chemikalien habe ich gelernt, selbst Hochgiftiges bringt mich nicht aus der Ruhe. Manche Menschen dagegen schon. Denn den größten Teil meiner Arbeitszeit verbringe ich nicht im Labor beim Analysieren von Flüssigkeiten, sondern auf dem Platz in Gesprächen. Jeden Tag kommen bis zu 800 Menschen auf den Wertstoffhof. Mit mehreren hundert von ihnen spreche ich persönlich. Mal sind es nur ein paar Sekunden, mal mehrere Minuten. Der Kundenkontakt, diese schiere Masse an Gesprächen macht den Beruf anstrengend.
„Gibt es hier etwas umsonst?“
Einerseits ist es eintönig – immer dieselben Fragen: Wo kommt der Hausmüll hin? Wo das Papier? Bei der Schranke am Tor sagt gefühlt jeder Dritte: Ich hätte gern einen Burger. Oder: Gibt es hier etwas umsonst? Ermüdend. Anderseits muss ich mich im Minutentakt auf neue Menschen einstellen. Zu uns kommen alle, von super nett bis aggressiv, von arbeitslos bis prominent. Das ganze Spektrum an Menschen kann direkt hintereinander auftreten: Die erste Kundin ist freundlich, der zweite aggressiv, der dritte höflich, die vierte gereizt. Ich habe schon alles gesehen: Nervenzusammenbruch, Weinen, Menschen out of order.
Meine Kolleginnen und Kollegen und ich brauchen ein gutes Gespür für Stimmungen. Ob jemand gereizt oder nervös ist, zuhört oder nicht, erkenne ich mittlerweile auch privat an der Supermarktkasse. Die meisten Leute sind nett, aber manchmal reicht eine Person, und der Tag ist gelaufen. Im Team versuchen wir, einander zu unterstützen. Wenn ich mich über jemanden geärgert habe, kommt oft einer der Kollegen zu mir und sagt: „Geh mal in die Küche, trink einen Kaffee und beruhige dich wieder.“
Was sich durchzieht: Die Menschen hören mir nicht zu. Die sind komplett überfordert. Klar, sie ziehen seit zwei Tagen um. Oder der Vater ist gestorben und sie müssen sein Haus leerräumen. Oder sie waren noch nie hier und verstehen das ganze System nicht.
Sie fragen zum Beispiel: „Wo kommt das hin?“, aber drehen sich schon während der Antwort um, gehen weg, kommen zurück, fragen wieder: „Wo kommt das hin?“ Ein Auto mit mehreren Leuten hält neben mir: Die erste fragt: „Wo kommt der Sperrmüll hin?“ Ich erkläre es. Darauf dann der zweite: „Und wo kommt der Sperrmüll hin?“ Hin und wieder ist es richtig absurd. Ich: „Was haben Sie denn, Dämmstyropor oder Verpackungsstyropor?“ Antwort: „Das Styropor ist rot.“
Beschimpft und beleidigt
In den zwanzig Jahren, in denen ich den Job mache, habe ich mir verschiedene Strategien zurechtgelegt. Die Leute erwarten keine komplexen Antworten von mir. Wenn ich in ganzen Sätzen antworte, verstehen sie mich meistens nicht. Also halte ich mich kurz. Dreiwortsätze. Oder ich weise nur noch auf den entsprechenden Container: „Da!“ Das funktioniert eigentlich am besten. Wenn sie verschiedene Abfälle loswerden wollen, zeige ich nur, wo der erste hinkommt, weil ich aus Erfahrung ja weiß: Fünf Orte können sie sich sowieso nicht merken.
Es ist schon kurios. Ich antworte für die Leute so kurz – und dann denken manche, ich könnte es nicht besser. Denn was manche Gespräche zusätzlich erschwert, ist unterschwelliger Rassismus. Ich bin Grieche, aber rein äußerlich halten mich viele eher für einen Inder. Von ausländischen Mitbürgern und -bürgerinnen wurde ich schon als Rassist beschimpft, von deutschen für einen Ausländer gehalten. Den einen bin ich zu deutsch, den anderen nicht deutsch genug.
Ein junger türkischer Mann hat mal versucht, mir die Gebühr für seine Abfälle in den Mund zu stopfen und mich als deutschen Wachhund bezeichnet. So nach dem Motto: Ich mache die Drecksarbeit für die Deutschen. Eine deutsche Frau hat mehrere Minuten ohne Punkt und Komma auf mich eingeredet, bevor sie mitten im Satz abbrach und fragte: „Verstehen Sie mich überhaupt?“ Ich: „Ehrlich gesagt – im Moment gerade nicht. Wieso fragen Sie?“ Sie: „Ich dachte, Sie seien vielleicht ein Flüchtling aus Syrien und sprächen kein Deutsch.“
Wir konsumieren und konsumieren
Ich arbeite seit zwanzig Jahren in diesem Beruf, habe viele Fortbildungen gemacht, aber wenn ich mit einem hellhäutigen Azubi auf dem Platz bin, gehen die Leute an mir vorbei und wenden sich an ihn. Sie erwarten nicht, dass jemand, der so aussieht wie ich, ihre Frage beantworten kann. Das kränkt mich. Es ist Diskriminierung und es fühlt sich auch so an. Aber ich will nicht in eine Opferrolle fallen, deshalb versuche ich, es nicht an mich heranzulassen. Einfach meine Arbeit so gut wie möglich machen und mir sagen: Die Welt ist ein oberflächlicher Ort, an dem man nach seinem Aussehen beurteilt wird. Früher war es noch schlimmer. Ich hoffe also, es ändert sich zum Besseren.
Manchmal fühle ich mich wie eine Überwachungskamera, wenn ich acht oder neun Leute auf einmal im Blick habe, schaue, was sie mitbringen und wo sie es entsorgen, während ich gleichzeitig schon die Nächsten berate – das frisst viel Energie.
Es gibt Tage, an denen ich die Anspannung oder den Ärger mit nach Hause nehme und erst eine Stunde Sport machen möchte, bevor ich für meine Freundin und die Kinder da bin. Aktiv sein hilft mir am besten beim Runterkommen. Erst vor kurzem habe ich mit dem Stand-up-Paddeln angefangen.
Ich merke, dass mich die Arbeit heute mehr anstrengt als noch vor zehn Jahren. Ich bin jetzt 44, vielleicht liegt es am Alter. Vielleicht aber auch daran, dass es immer komplizierter wird: neue Aufgaben, neue Container, neue Sortierung. Wir konsumieren und konsumieren – und der Müll wird immer mehr.
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