„Es war perfide“

Wenn der Konkurrenzdruck steigt, wird für jeden kleinen Vorteil gelogen und gelästert. Ein Synchronsprecher aus Hamburg über Missgunst am Arbeitsplatz

Die Illustration zeigt einen trauriges Männergesicht am Mikrofon, das von Armen und einem erhobenen Zeigefinger umringt ist
Während du hinter dem Mikrofon stehst, verbreiten andere Lügen über dich. Das kann deine Karriere als Synchronsprecher gefährden. © Luisa Stömer für Psychologie Heute

Ich war naiv. Ich habe immer an das Gute im Menschen glauben wollen. Aber bei meiner Arbeit habe ich erlebt, wie Freunde zu Feinden werden können.

Anfangs war Synchronsprechen nur ein Hobby von mir. Ich habe mir ein Mikro gekauft und Aufnahmen mit Freundinnen und Freunden gemacht. Dann habe ich mich bei kleineren Studios beworben. Nach und nach bekam ich mehr Aufträge. Heute spreche ich Männerrollen zwischen 15 und 35 Jahren in Produktionen von Liebesgeschichten bis Horrorfilmen und von Anime-Serien bis Dokus. Zum Beispiel für Netflix oder Disney+.

"Der braucht das Geld nicht!"

Zwar habe ich Synchronsprecherkurse besucht und mit einem Stimmtrainer gearbeitet, aber ich bin ein Quereinsteiger. Damit habe ich in der Branche einen schweren Stand. Synchronsprechen zählt als Schauspiel, nur eben mit der Stimme, deshalb ist der klassische Weg in den Beruf die Schauspielausbildung. Viele mit einer solchen Ausbildung glauben, als Quereinsteiger kenne man die Grundlagen nicht und habe es nicht drauf. Das stimmt zwar nicht – ein guter Schauspieler ist nicht automatisch ein guter Synchronsprecher –, aber das Vorurteil sitzt tief.

Bei mir kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Ich hätte nie gedacht, dass ich mit dem Synchronsprechen einmal Geld verdienen würde. Zuerst musste ich das auch nicht, denn ich hatte einen Beruf und war auf die Gagen nicht angewiesen. Anfangs habe ich Kolleginnen und Kollegen ganz offen von meiner anderen Arbeit erzählt. Großer Fehler. Denn das hat viele gegen mich aufgebracht. Es hieß über mich: „Der hat doch ein festes Einkommen, der braucht das Geld nicht. Anders als wir: Wir müssen unsere Miete zahlen.“ Mich zu besetzen? Das sei ein Unding! Das gehe gar nicht!

Ins Gesicht hat mir das niemand gesagt. Vordergründig waren alle nett zu mir. Aber online und in privaten Chats wurde Stimmung gemacht. In Onlineforen zum Synchronsprechen hetzten Kollegen unter falschen Namen gegen mich. Das konnte ich mir zusammenreimen, weil dort manchmal etwas stand, das ich nur wenigen Menschen erzählt hatte. Es musste also einer von ihnen gewesen sein. Von den miesen Sprüchen in privaten Nachrichten weiß ich, weil mir ein Kollege solche Chatverläufe gezeigt hat.

Ich war wütend, enttäuscht, traurig

Jemand behauptete zum Beispiel, meine Gage zu kennen, und gab einen erlogenen, viel zu niedrigen Betrag an, so dass es wirkte, als würde ich die Preise drücken. Es war perfide. Oder man forderte andere auf, sich von mir zu distanzieren. Da schrieben Leute schlecht über mich, von denen ich bis dahin dachte: Wir haben ein gutes Verhältnis. Zwei von ihnen waren gute Bekannte. Das hat mich besonders getroffen.

Ich war wütend, enttäuscht, traurig. Auch fassungslos über so viel Bosheit. Hatte ich mich falsch verhalten? Oder ihnen Unrecht getan? Nur weil ich Quereinsteiger war und noch einen Job hatte? Das wollte ich mir nicht einreden lassen. Erst habe ich nur Freundinnen und Freunden außerhalb der Branche davon erzählt, später auch einigen Kolleginnen und Kollegen, die in ähnlicher Weise hintergangen worden sind. Es tat gut, sich auszutauschen, und hat mich in meiner Sicht bestärkt.

Es ist Futterneid, ganz klar. Theoretisch konkurriere ich mit jedem Mann, der auch mein Spielalter bedient. Selbst manche Quereinsteiger gönnen sich untereinander nichts. Daher bin ich auch nicht der Einzige, über den hinter seinem Rücken schlecht geredet wird. Und übrigens auch nicht der Einzige mit einem zweiten Standbein. Aber einige schauen nur auf sich selbst.

Ein Stück weit kann ich das sogar verstehen. Genügend Aufträge zu bekommen ist schwierig, der Konkurrenzdruck hoch. Jedes Studio führt ein paar hundert Sprecherinnen und Sprecher in seiner Kartei, pro Film gibt es aber selten mehr als 30 Rollen. Da mehrere Projekte gleichzeitig laufen und Aufnahmeleiter und -leiterinnen sowie Regisseure und Regisseurinnen unter hohem zeitlichem Druck stehen, werden oft immer wieder dieselben Leute besetzt.

Jobgarantie? Von wegen. Selbst wenn du eine Zeitlang häufig besetzt wirst, können dir von heute auf morgen die Aufträge wegbrechen. Du arbeitest zum Beispiel viele Jahre für ein Studio, alle sind zufrieden mit dir, aber dann wechselt das Personal und niemand ruft dich mehr an. Du bist vergessen. Es ist, als wärest du gelöscht worden.

Mit veränderter Haltung

Trotz dieser unsicheren Arbeitsbedingungen habe ich mir meinen Platz in der Synchronbranche erkämpft. Beruflich hat mir das Gerede also nicht geschadet. Aber seit ich weiß, dass es diese Missgunst gibt, dass vielleicht noch immer jemand in privaten Nachrichten gegen mich hetzt und Lügen verbreitet oder es jederzeit wieder tun könnte, hat sich meine Haltung verändert. Anderen Menschen vertraue ich nicht mehr so leicht. Meine Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen sind oberflächlicher geworden, oft bleibe ich allgemein. Ich erzähle zum Beispiel nur, dass ich eine neue Serienrolle bekommen habe, aber nicht welche. Denn je erfolgreicher man ist, desto größer wird der Neid. Erst wenn die andere oder der andere anfängt, Persönliches von sich preiszugeben, baue ich langsam Vertrauen auf. Aber das kann Monate dauern.

Der Verrat der zwei Kollegen fühlt sich an wie ein ungeklärter Konflikt, der noch im Raum steht. Den Kontakt zu ihnen habe ich damals abgebrochen. Als ich sie später noch einmal wiedergesehen habe, waren so viele andere Menschen im Raum, dass wir uns aus dem Weg gehen konnten. Im Nachhinein fand ich es schade. Vielleicht hätte ich sie ansprechen sollen. Es geht mir gar nicht um Versöhnung. Eher darum, zu sehen, ob sie inzwischen einen anderen Blickwinkel einnehmen könnten oder mehr Verständnis hätten.

Natürlich gibt es in der Branche auch Wertschätzung und Unterstützung. Zu einigen Menschen habe ich gute Kontakte entwickelt. Manche sind zu Freunden geworden. Aber ich kann die anderen Fälle nicht vergessen. Jeder neue Kollege und jede neue Kollegin ist für mich zuerst ein Buch mit sieben Siegeln. Nett sind sie alle, aber ich weiß nie, was dahintersteckt. Am Ende sind wir alle Schauspieler.

Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie, wie man als betroffene Person mit Bösartigkeiten am Arbeitsplatz umgehen kann in Missgunst und Neid im Beruf.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2024: Im Erzählen finde ich mich selbst
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