Mirjam Isau erzählt:
„Kleine Kinder, die Angst vor Monstern haben, beruhigt man normalerweise. Meine Eltern aber sind Zeugen Jehovas. Sie erzählten mir vom Weltuntergang, der kommen werde wie ein Dieb in der Nacht.
Einerseits entwickelte ich früh Wut und Zweifel: Meine Mutter war alkoholkrank, aber Autoritäten unserer Versammlung ignorierten meine Bitte um Hilfe. Andererseits lebte ich in ständiger Angst, dass sich ihre Lehren doch bewahrheiten könnten.
Erst durch meine Berufsausbildung merkte ich: Andere Menschen sind nicht böse, wie mir beigebracht worden war! Ich verliebte mich und ich wohnte heimlich bei meinem Freund.
Erst Mobbing, dann Love-Bombing
Bei einem unangekündigten Missionsbesuch flog alles auf. Da ich mich weigerte, zu beichten und über mein Sexleben zu sprechen, wurde ich ausgeschlossen. Das bedeutet: sofortiges Kontaktverbot zu Mitgliedern, auch zu meiner Familie.
Anderthalb Jahre versuchte ich, wieder aufgenommen zu werden, ging zu den Versammlungen, durfte aber mit niemandem sprechen. So halb ,drinnen bei den Zeugen‘, halb ,draußen‘ könnte mir am wenigsten passieren, glaubte ich.
Als verkündet wurde, ich sei wieder Mitglied, umarmten alle meine kleine Tochter, die ich inzwischen hatte, und mich. Doch bei mir gingen plötzlich die Rollos runter – was war das für eine falsche Gemeinschaft? Erst Mobbing, dann Love-Bombing!
Die Pandemie kam, die Thesen meines Vaters zum Weltuntergang wurden immer kruder. Am 1. Januar 2023 trat ich offiziell aus.
Ich habe Albträume und Rheuma. Ich frage mich, wie es meinen Eltern wohl geht. Trotzdem fühle ich mich glücklich wie nie zuvor.“