Wie können People Pleaser lernen, sich abzugrenzen?

Die Psychologin Ulrike Bossmann erklärt, wie People Pleaser lernen können, sich frei von schlechtem Gewissen abzugrenzen – ohne konfliktscheu zu sein.

Die Illustration zeigt die Diplompsychologin und Fachbuchautorin, Dr. Ulrike Bossmann
Dr. Ulrike Bossmann ist Diplompsychologin, systemische Therapeutin, Coachin für positive ­Psychologie und Fachbuchautorin. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Frau Dr. Bossmann, was ist denn bitte People Pleasing?

People Pleasing ist ein Entscheidungsmuster. Die verinnerlichte Entscheidungsregel lautet: Die anderen kommen immer zuerst. Jede Entscheidung wird danach beurteilt, ob sie anderen Menschen gefällt oder missfallen könnte. People Pleaser wollen andere nicht verärgern und enttäuschen. Um das zu vermeiden, nehmen sie das Wohlbefinden der anderen wichtiger als das eigene und gehen Konflikten aus dem Weg, um die Harmonie nicht zu gefährden.

Handelt es sich also um die Übertreibung an sich wünschenswerter Eigenschaften und Verhaltensweisen?

Ja. People Pleaser bringen wunderbare Fähigkeiten mit: Sie sind empathisch, feinfühlig, freundlich und hilfsbereit. Wir brauchen mehr davon in unserer Welt, nicht weniger. Das Ziel kann nicht sein, sich gegen andere abzuschotten, die Hilfe brauchen, oder sich von den Verpflichtungen loszusagen, die zu einem gelebten Miteinander gehören. Werden unter dem Deckmäntelchen der Selbstliebe harte Grenzen gezogen, hat niemand was davon. Wir sind soziale Wesen. Wichtig ist nur, dass People Pleaser lernen, sich genauso wichtig zu nehmen wie andere, und bewusster entscheiden, wo sie es anderen recht machen wollen und wo sich selbst.

Welche negativen Folgen kann People Pleasing haben?

Wer eigene Bedürfnisse nicht in den Blick nimmt und keine gesunden Grenzen setzt, verausgabt sich, fühlt sich irgendwann erschöpft und wie im Hamsterrad. People Pleasing führt zwangsläufig zu mehr Stress und mental load. Das erhöht das Risiko für psychische oder psychosomatische Erkrankungen. Das Selbstwertgefühl leidet, weil People Pleaser extrem hohe Ansprüche an sich haben und oft hinter ihnen zurückbleiben. Weil sie ihr wahres Selbst aus Angst verbergen, können sie keine korrigierende Erfahrung machen. Sie erleben nicht, dass andere sie auch mögen, wenn sie mal nicht gefällig sind, oder erfahren nicht den Respekt, den Menschen haben, wenn man „auch mal Kante zeigt“.

Außerdem entsteht irgendwann Frust in Beziehungen. Denn People Pleaser sagen nicht, was sie belastet, was sie brauchen oder frustriert. Diese Gefühle sind aber nicht weg, nur weil sie nicht ausgesprochen werden. Deswegen entladen sie sich zeitversetzt. Zu guter Letzt kann People Pleasing die eigene Lebendigkeit und Authentizität kosten. Denn wer permanent andere und anderes über sich stellt, lebt früher oder später an sich vorbei und verliert sich.

Nettsein ist evolutionsbiologisch betrachtet sinnvoll. Um nicht aus der Horde verstoßen zu werden, war es elementar, andere nicht zu verärgern und ihnen entgegenzukommen – gilt das heute nicht mehr?

Doch. Wer seinen Job behalten will, sollte der Führungskraft nicht ungehemmt alles vor den Latz knallen. Es ist natürlich und sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, was andere von einem denken, und sich dann situations­adäquat zu verhalten. Wer dies tut, beweist Sozialkompetenz. Bei People Plea­sern gibt es oft jedoch kein objektives Pendant für ihre Sorgen. Sie sind permanent damit beschäftigt, ob andere sie mögen und was andere von ihnen erwarten. Daraus leiten sie viele Verhaltensregeln ab, die nicht nötig wären, um in der Gemeinschaft zu bestehen. Denn niemand wird als „total egoistisch“ wahrgenommen, weil er sich mal Zeit für sich nimmt.

Vor allem darf People Pleasing nicht mit Nettsein verwechselt werden. People Pleasing heißt „gefällig sein“ – das ist ein himmelweiter Unterschied. „Wow, du bist aber feinfühlig!“, ist ein schönes Kompliment. „Wow, du bist aber toll gefällig!“, ist keins.

Dr. Ulrike Bossmann ist Diplompsychologin, systemische Therapeutin, Coachin für positive ­Psychologie, Fachbuchautorin und hat zum Umgang mit ­Dilemmata promoviert.

Ulrike Bossmanns Buch People Pleasing. Raus aus der Harmoniefalle und weg mit dem schlechten Gewissen ist bei Beltz erschienen (269 S., € 20,–)

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2024: Von hier aus kann ich meine Sorgen kaum noch sehen
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