Zeig mir, wie du sprichst und ich sag dir, wer du bist

Psychologie nach Zahlen: Tief oder hoch, laut oder leise, schnell oder langsam? Was die Stimme über unsere Persönlichkeit verrät.

Die Illustration zeigt zwei Männer mit zwei Sprechblasen, die sich mit verschiedenen Worten begrüßen
Menschen, die lauter sprechen, sind eher extravertierter und weniger neurotisch. © Till Hafenbrak für Psychologie Heute

Urteile über Menschen sind oft schnell gefällt – selbst wenn man nur die Stimme hört, ohne die Person leibhaftig zu sehen. Doch was verraten die Charakteristika der Stimme tatsächlich über die Persönlichkeit eines Menschen? Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Göttingen ist jetzt dieser Frage nachgegangen.

1. Tief

„In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass Menschen mit einer tieferen Stimme eher extravertierter, dominanter und weniger restriktiv in ihrer Soziosexualität waren“, sagt Julia Stern, die Psychologin an der Universität Bremen ist und Forschungsleiterin der Untersuchung an der Universität Göttingen war. So interessierten sich die Personen mit einer tieferen Stimmlage eher für Kurzzeitbeziehungen und hatten auch mehr Sexualpartner. Überraschenderweise galt dies ­unabhängig davon, ob es sich um Männer oder Frauen handelte.

Für seine Analyse wertete das Forschungsteam Daten von über 2000 Teil­nehmerinnen und Teilnehmern aus vier Ländern aus. Die Testpersonen mussten Fragebögen ausfüllen und darin Angaben über die eigene Persönlichkeit machen, auch zu ihren sexuellen Vorlieben. Zudem wurden die Stimmen der Betreffenden aufgenommen und mit einem Computerprogramm vermessen, um die exakte Tonhöhe zu beurteilen. So konnte bei der Auswertung erstmals ein objektives Maß dafür verwendet werden – in früheren Studien hatten Beurteilerinnen und Beurteiler die Stimmen der Testpersonen nach eigenem Ermessen als „hoch“ oder „tief“ eingestuft.

Negative Auswirkungen in Beziehungen

Dass Menschen mit tieferen Stimmen eher an Sex außerhalb einer Beziehung interessiert zu sein scheinen, könnte auch mit den Hormonen zusammenhängen. So haben bereits frühere Studien gezeigt, dass Männer und Frauen mit einem höheren Testosteron­spiegel sexuell freizügiger sind. Und ein hohes Testosteronlevel wiederum korrespondiert meist mit einer tieferen Stimme. Ferner zeigte sich, dass Menschen mit einem hohen Anteil an Testosteron im Durchschnitt dominanter sind.

In weiteren Studien hat das Team um Julia Stern hunderte Stimmen von Männern aufgenommen, analysiert und auch Personen zum Beurteilen vorgespielt. Diese nahmen Männer mit tieferer Stimme als vertrauenswürdiger im ökonomischen Kontext wahr. „Sie würden etwa einem Bankberater mit tieferer Stimme eher ihr Geld anvertrauen“, erläutert Stern.

Im Beziehungskontext allerdings schätzten die Beurteilenden solche Männer als weniger vertrauenswürdig ein. Sie unterstellten diesen Männern also, dass sie eher fremdgehen würden. Und da könnte sogar etwas dran sein. Denn tatsächlich berichteten Männer und Frauen mit tieferen Stimmen etwas häufiger als andere von Seitensprüngen. Doch die Effekte sind insgesamt eher klein und lassen sich nicht zwingend auf den Einzel­fall übertragen. Frühere Studien hatten zudem ergeben, dass Männer mit tiefer Stimme kompetenter und attraktiver wirken als Männer mit einer hohen.

2. Hoch

Menschen mit hoher Stimmlage waren im Umkehrschluss introvertierter, weniger dominant und in einer Partnerschaft treuer. Sie bevor­zugten eher Langzeitbeziehungen, gingen seltener fremd und hatten weniger Sexualpartner. Statistisch fanden Forschungsteams dafür mehrfach Belege. Menschen mit höherer Stimme erwiesen sich auch als etwas neurotischer, also ängstlicher, nervöser und emotional instabiler.

Allerdings sind die Effekte auch hier sehr gering. Und wie gesagt: Generell gilt, dass dies im Einzelfall nicht zutreffen muss, ebenso wie dieser Befund: Laut früheren Studien wirken Frauen mit einer sehr hohen Stimme auf Männer im Schnitt etwas anziehender. Evolutionsbedingt könnte eine hohe Stimme bei Frauen Jugend, Fruchtbarkeit und Weiblichkeit suggerieren.

3. Mal hoch, mal tief

Menschen können ihre Stimme bewusst steuern. So ändert sich die Stimmlage, wenn das Gegenüber als attraktiv empfunden wird. Dies haben Forscherinnen und Forscher der Universität von Sussex in England und der Universität von Wrocaw in Polen vor drei Jahren in einer Studie herausgefunden, als sie an einem Speeddating Teilnehmende analysierten und ihre Stimmlagen aufzeichneten.

Männer sprechen demnach besonders tief, wenn sie eine Frau schön finden und auch ein sexuelles Interesse an ihr haben. Und auch Frauen können ihre Stimmlage je nach Situation anpassen, wenn sie ihr Gegenüber beeindrucken wollen. So senken Frauen die Stimmlage bei Männern, die bei anderen Frauen als besonders beliebt gelten.

Wird der Mann jedoch als möglicher Partner angesehen, aber nicht von vielen Frauen begehrt, sprechen Frauen der Studie zufolge mit einer höheren Stimme als üblich. Das Forschungsteam um Katarzyna Pisanski (inzwischen an der Universität von Lyon) interpretiert dies so: Eine tiefere Stimme signalisiert sexuelles Interesse und Intimität, während eine höhere Stimme die Fortpflanzungsfähigkeit stärker zum Ausdruck bringt.

4. Laut

Auch die Lautstärke der Stimme kann Aufschluss über die Persönlichkeit geben. „Menschen, die lauter sprechen, sind eher extravertierter und weniger neurotisch“, so Psychologin Stern. Auch Zuhörerinnen und Zuhörer hatten in früheren Studien Menschen mit einer lauten Stimme diese beiden Persönlichkeitseigenschaften zugeschrieben. Jedoch sind die objektiven Effekte, die das Forschungsteam jetzt nachgewiesen hat, wiederum recht klein.

5. Schnell

Spricht eine Person schwierige Wörter und Wendungen besonders schnell, ist ihr zumindest die Aufmerksamkeit der Zuhörenden garantiert. Kommt dagegen jemand immer wieder ins Stocken, wirkt dies unprofessionell und unsicher. Ein Schüler, der in einem Referat immer wieder lange Sprechpausen macht, wird bei einer mündlichen Prüfung wohl nicht so gut abschneiden.

„Wir nehmen Menschen, die schneller sprechen, als extravertierter wahr, während Menschen, die viele Sprechpausen machen, eher als nervös wahrgenommen werden“, sagt Studien­leiterin Julia Stern. Für die Schnelligkeit und für verschiedene weitere Stimmvariablen scheint es auch objektive Effekte zu geben. Allerdings sind diese wissenschaftlich noch nicht gut gesichert.

Literatur

Julia Stern u.a.: Do voices carry valid information about a speaker’s personality? Journal of Research in Personality, 92, 2021.

Katarzyna Pisanski u.a.: Voice pitch modulation in human mate choice. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 285/1893, 2018.

Artikel zum Thema
Eine Trennung ohne Ansage, das sogenannte Ghosting, scheint besonders in noch sehr jungen Beziehungen häufiger zu werden. Was hat es damit auf sich? ​
Unsere Stimme verrät viel über uns. Kein Wunder, dass viele Menschen sich eine „schönere“ Stimme wünschen. Doch was macht ein gutes Sprechtraining aus?
Türenknallen oder beleidigter Rückzug: In seinem Buch zeigt Guy Bodemann, wie Paare destruktives Konfliktverhalten erkennen und verändern können.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2022: Für sich einstehen
Anzeige
Psychologie Heute Compact 79: Das Leben aufräumen