Steve Jobs, der Gründer von Apple, gilt vielen als Genie: Er verhalf bahnbrechenden Geräten wie dem iPhone zur Marktreife und machte aus einer kleinen Computerfirma einen Weltkonzern. Doch als bei ihm 2003 ein Inselzelltumor diagnostiziert wurde, weigerte sich Jobs, sich operieren zu lassen, und vertraute lieber der Naturheilkunde. Erst neun Monate später – der Tumor hatte sich mittlerweile bis zur Bauchspeicheldrüse ausgebreitet – erklärte Jobs sich zu einer Operation bereit. Zu spät: Der Fortgang der Krankheit war nicht mehr zu stoppen.
Wenn offenkundig intelligente Menschen zutiefst irrational handeln, verstört uns das. Dabei kommt es häufiger vor, als wir denken. Manchmal – so wie im Falle des überzeugten Vegetariers und Buddhisten Jobs – ist das Bedürfnis nach einem Lebenssinn ausschlaggebend; dieses überlagert eine rationale Entscheidungsfindung.
In anderen Fällen spielen kognitive Verzerrungen eine Rolle: Auch kluge Menschen können sich häufig nicht freimachen von sich systematisch wiederholenden Denkfehlern. Daniel Kahneman und Amos Tversky haben das in ihren Forschungen eindrücklich aufgezeigt: Unser Gehirn denkt nicht immer logisch und berechnend, sondern oft auch impulsiv und emotionsgeleitet.
Intelligenz verhindert „Arschlöcher“ nicht
Gerade weil auch sehr kluge Menschen vor Torheiten nicht gefeit sind, ist die Dummheit ein bemerkenswertes psychologisches Problem. Der französische Psychologe und Journalist Jean-François Marmion hat dem Thema nun einen kurzweiligen und ansprechend illustrierten Sammelband gewidmet. Die Psychologie der Dummheit vereint teils wissenschaftlich argumentierende, teils eher im feuilletonistischen Plauderton gehaltene Essays und Interviews von Psychologen, Philosophen, Hirnforschern und Publizisten.
So arbeitet sich etwa der Philosoph Aaron James am Konzept des „Arschlochs“ ab, also an Personen, „die sich im sozialen Leben bestimmte Vorrechte herausnehmen, weil sie gegen Vorwürfe immun sind“. Zum Beispiel jene Menschen, die sich rücksichtslos in der Schlange am Postschalter vordrängeln. James ist es wichtig, zu betonen, dass Dummheit im intellektuellen Sinne von jener im sozialen Sinne entkoppelt ist.
Intelligenz, schreibt er, „verhindert nicht, dass man ein richtiges Arschloch ist“. Oft seien es gerade die Privilegierten, die sich anmaßten, für sich eine Sonderbehandlung einzufordern. Der Dummheit des Einzelnen steht die Dummheit als kollektives, strukturelles Problem gegenüber. Deshalb geht der Sammelband auch der Frage nach, ob wir in einem Zeitalter leben, das Dummheit besonders begünstigt.
Bulshitter kann man nicht mit Argumenten schlagen
Der Politikwissenschaftler Patrick Moreau kann dieser These mit Blick auf die sozialen Medien einiges abgewinnen. Er analysiert in seinem Beitrag das Scheuklappendenken, das aus vielen YouTube-Kommentaren spricht – etwa wenn militante Veganer sich über den Tod eines Metzgers freuen, zumal dieser ja auch ein „Mörder“ sei. Die Dummheit in der Rhetorik, die den Diskurs heute vielerorts bestimme, ist für Moreau gekennzeichnet durch übertriebene Vereinfachung und Eindimensionalität – und das „Gefühl der Überlegenheit dessen, der alles verstanden hat“.
Für den Neuropsychologen Sebastian Dieguez hat in den letzten Jahren vor allem eine bestimmte Spielart der Dummheit zunehmende öffentliche Präsenz erlangt: der „Bullshit“. Damit ist laut dem Philosophen Harry Frankfurt eine Haltung gemeint, in der ein völliges Desinteresse an der Wahrheit zum Ausdruck kommt. Der Bullshitter labert und schwafelt einfach drauflos, weil ihm eben danach ist, Faktizität ist gar kein relevantes Kriterium für ihn. In Zeiten von Fake News und „alternativen Fakten“ geht es Dieguez zufolge generell kaum noch darum, andere zu überzeugen: „Heute ist das Ziel eher, unser Verhältnis zur Wahrheit komplett zu erschüttern sowie jedes vertrauensvolle Miteinander zu unterminieren.“
Für Freunde des wissenschaftlich abgesicherten Diskurses mag es hart klingen, aber: Gegen Bullshit kommt man mit Argumenten nicht an. Und deshalb, glaubt jedenfalls Dieguez, habe die Stunde der Satiriker geschlagen. Denn die Bullshitter könne man nur mit ihren eigenen Waffen schlagen, mit kreativen Gegen-Fakes und erfindungsreicher Blödheit. Das Zeitalter der Aufklärung scheint damit offiziell beendet zu sein.
Jean-François Marmion (Hg.): Die Psychologie der Dummheit. Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl. Riva, München 2019, 333 S., € 24,99