Wer den Ausdruck „hochsensibel“ hört, denkt dabei wahrscheinlich eher an Frauen. Doch auch bei Männern kommt diese Veranlagung vor. Darüber informiert Tom Falkenstein in seinem Buch Hochsensible Männer – Mit Feingefühl zur eigenen Stärke. Wie kam er darauf, ein Buch zu schreiben, das sich speziell mit Männern beschäftigt? „Ich habe mehrere Jahre in London gelebt und gearbeitet. Damals hatte ich viele junge Männer in Behandlung, die alle in ihren Sitzungen beklagten, seit ihrer Kindheit ‚zu sensibel‘ zu sein, und deshalb mit ihrer Männlichkeit haderten. Ihnen fiel es sehr schwer, Männlichkeit und Sensibilität in sich als etwas Positives zu vereinen“, sagt er. „Ich habe nach etwas gesucht, das diesen jungen Männern helfen konnte, die eigene Sensibilität weniger negativ zu bewerten. Dabei stieß ich auf Bücher zur Hochsensibilität, ein Konzept, das ich bis dahin gar nicht kannte. Diese Bücher schienen sich jedoch in erster Linie an Frauen zu richten. Das wollte ich ändern. Obwohl ich mir natürlich wünsche, dass auch Frauen mein Buch lesen werden.“
Männer hätten besondere Schwierigkeiten mit ihrer Hochsensibilität, da Empfindsamkeit kein Teil des männlichen Ideals sei, mit dem wir alle aufwachsen. „Selbst gutsituierte, gut ausgebildete, im kosmopolitischen London aufgewachsene Männer sahen ihre hohe Empfindsamkeit nicht als positiven Teil ihrer Persönlichkeit. Sensibilität wird eher bei Frauen als bei Männern akzeptiert. Diese Jungen hatten das Gefühl, anders zu sein, erlebten früh Ausgrenzung, weil sie emotionaler waren als andere“, so Falkenstein.
In dem Zusammenhang spricht Falkenstein in seinem Buch von einer „Männlichkeitskrise“. Damit meint er, dass Männer häufiger Suizid begehen als Frauen, häufiger an Suchterkrankungen leiden, öfter an Krebs erkranken, früher sterben. Und sie geraten häufiger mit dem Gesetz in Konflikt. Er glaubt, dass es Männern häufig nicht gutgeht und sie sich oftmals nicht mit ihrer Gesundheit und ihrer Rolle auseinandersetzen.
Wie könnte das Konzept der hochsensiblen Männer dazu beitragen, diese Krise zu lösen? „Indem hochsensible Männer authentisch mit ihrer Veranlagung umgehen und dadurch Sensibilität und Emotionalität bei Männern enttabuisieren. Sie stellen ganz automatisch das sehr rigide Männerbild der Gesellschaft infrage. Wenn ein hochsensibler Mann einem nicht hochsensiblen mit Akzeptanz begegnet und dem vermittelt, dass es in Ordnung ist, aufgeregt oder emotional zu sein, dann kann das sehr viel bewirken“, sagt Falkenstein.
Das vollständige Interview mit Tom Falkenstein finden Sie in unserem Themenheft der Reihe Psychologie Heute compact: Still und stark: Wie sich sensible und introvertierte Menschen in einer lauten Welt behaupten