Unter den etwa 15 bis 20 Prozent Hochsensiblen in der Bevölkerung sind sehr viele Frauen. Insofern ergibt es Sinn, dass sich Sylvia Harke mit ihrem Ratgeber Wenn Frauen zu viel spüren speziell dieser Gruppe zuwendet.
Mit ihren Erkenntnissen und Ideen, wie hochsensible Frauen Schutz und Stärkung erlangen können, wendet sie sich ausdrücklich an spirituell, ja esoterisch orientierte Frauen. Sich selbst sieht sie als Vorbild und Berufene – ihren Leserinnen verheißt sie „Perlen der Erkenntnis über die weibliche Psyche“.
Anfällig für Schuldgefühle
Teile von Harkes Ausführungen sind interessant, auch solche, die nicht auf wissenschaftlicher Forschung basieren: So arbeitet sie etwa heraus, dass viele hochsensible Frauen zu ausgeprägter Leistungsfixierung neigen, somit auch zur Selbstausbeutung; dass ihr ausgeprägtes Verantwortungsgefühl sie anfällig für Schuldgefühle macht und zu potenziellen Opfern von „Energievampiren“. Spannend ist auch, was die Autorin über die Gruppe der High Sensation Seekers schreibt, die etwa ein Drittel der Hochbegabten ausmachen und nicht in das Bild der introvertierten, scheuen Hochsensiblen passen.
Nachdenkenswert ist schließlich manches, was sich im Kapitel über die „sieben Schlüssel zur Stärkung hochsensibler Frauen“ findet. Hier präsentiert die Autorin praktische Übungen, die Frauen unter anderem dabei unterstützen, die eigenen Grenzen zu schützen, sich von Leistungsdruck zu befreien, der eigenen Intuition zu vertrauen und das Vergleichen mit anderen einzustellen.
Manche Thesen sind simpel und klischeehaft
Innere Prozesse beschreibt die Autorin indes an einigen Stellen wie harmlose Spaziergänge. Ähnlich verhält es sich mit der Selbstliebe: Es klingt, als bräuchte es nur ein paar Bannsprüche und Heilkreise, um Zuwendung und Fürsorge sich selbst gegenüber aufzubauen.
Insgesamt rücken im Verlauf des Buches immer öfter „genuin feminine Kräfte“ allgemein in den Fokus, geht es nur noch punktuell direkt um hochsensible Frauen, die Harke freilich unvermindert feiert: Wenn sensitive Frauen kreativ werden, sind die anderen von der Schönheit des Geschaffenen gleich überwältigt – und bei Frauen, die „in ihre Kraft kommen“, wird es mindestens ekstatisch oder gar heilig.
Leider argumentiert die Autorin mit hanebüchenen, überholten Klischees. Frauen wollen heutzutage keineswegs „in männliche Rollen schlüpfen“. Vielmehr definieren (feministisch engagierte) Frauen, die selbstbewusst für die eigene Persönlichkeit, eigene Perspektiven und Ziele eintreten, ihre Eigenart nicht mehr in Abgrenzung zu „männlichen Energien“, sondern als Teil eines für Diversität offenen Spektrums.
Das Erstlingswerk der Autorin mag, wie sie betont, zu den meistverkauften Ratgebern zum Thema „Hochsensibilität“ gehören – das nun vorliegende werden Frauen, die an wissenschaftlicher Forschung interessiert sind, vermutlich rasch verärgert auf die Seite legen.
Sylvia Harke: Wenn Frauen zu viel spüren. Schutz und Stärkung für Hochsensible. Knaur, München 2017, 288 S., € 18,–