In den letzten Jahren ist das Thema Hochsensibilität zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, in der psychologischen Forschung ist es aber nach wie vor umstritten. Auch wenn die drei nachfolgend besprochenen Bücher den wissenschaftlichen Nachweis ebenso schuldig bleiben, bieten sie wertvolle Einblicke in die Welt der Hochsensiblen.
Pionierin und unangefochtene Expertin in Sachen Hochsensibilität ist die Psychologin Elaine Aron, die den Begriff 1996 prägte. Aron sieht darin ein Temperamentsmerkmal, kennzeichnend dafür sei eine höhere sensorische Verarbeitungssensitivität. Hochsensibilität umfasse vier wesentliche Aspekte: die Tiefe der Wahrnehmungsverarbeitung, schnelle Überreizung, emotionale Empfänglichkeit und ein klares Gespür für feinste Reize. Schätzungsweise seien 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung hochsensibel.
In ihrem neuen Buch Hochsensible Eltern widmet sich Aron einem zentralen Thema von Hochsensiblen. Wenn das Elternsein im Allgemeinen schon eine Herausforderung darstelle, dann erst recht für Hochsensible, so die These Arons. Hochsensible Eltern litten schnell unter Reizüberflutung und sie bräuchten viel Zeit für sich selbst, um ihre Batterien wieder aufzuladen.
Ein Selbsttest und Erfahrungsberichte
Die Autorin erklärt das Phänomen Hochsensibilität gut verständlich, das Buch enthält einen Selbsttest für Leser sowie Erfahrungsberichte betroffener Eltern. Systematisch wird die ganze Palette möglicher Problemfelder erarbeitet: Überreizung, Entscheidungsschwäche im Erziehungsalltag, überbordende Emotionen, Schuldgefühle und Stress („Multitasking fällt gerade Hochsensiblen besonders schwer“), Konflikte in der Paarbeziehung oder mit dem Kind, der Umgang mit der ständig urteilenden sozialen Umgebung. Hier geben viele erprobte Übungen aus der Verhaltens-, der Achtsamkeits- oder Paartherapie konkrete Hilfestellungen.
„Hochsensible verleihen dem Elterndasein neue Tiefe“, so Arons Motto, sie seien sogar die besseren Eltern. In einer aktuellen Studie zeigt sie, dass Hochsensible das Elternsein zwar als „schwieriger“ erlebten, sie aber „ein besseres Gespür für ihre Kinder“ hätten als andere Eltern. Aron legt ein fachkundiges, in zugewandtem Ton verfasstes Buch vor, das umfassend spezifische Probleme hochsensibler Eltern behandelt.
Ihre Welt als Hochsensible und den Weg ihrer Selbstfindung beschreibt Kathrin Sohst, PR-Beraterin, „Emotional Leadership Practitioner“ und Coach, mit Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben. Dabei macht sie nicht Halt vor weitschweifigen Betrachtungen über Leben und Gesellschaft und die Rolle, die Hochsensible darin spielen sollten. Ihnen obliege die Aufgabe als Mahner, „so eine Art Frühwarnsystem der Gesellschaft“, wenn die Dinge aus dem Lot gerieten. Neben allem Persönlichen bietet das Buch „Impulse“ und Übungen, die allerdings sehr allgemeinen Rezepten entsprechen.
Emotional intensive und begabte Menschen
Das mit großem Sendungsbewusstsein und Idealismus vorgetragene Anliegen, dass Hochsensible durch ihre Feinfühligkeit die Welt zu einem besseren Ort machen könnten, ist gut gemeint – als Ratgeber für Betroffene ist das Buch nicht sonderlich ergiebig.
Wirklich auf die Nöte und Bedürfnisse hochsensibler Menschen zugeschnitten ist das bemerkenswerte Buch der Psychotherapeutin Imi Lo Sensibilität und emotionale Intensität. Auch wenn die Autorin die Arbeit Elaine Arons ausgiebig würdigt, wählt sie einen anderen Ansatz: Sie spricht nicht von Hochsensibilität, sondern von emotional intensiven oder emotional begabten Menschen. Worin bestehen deren Probleme? Menschen mit besonders feinen Antennen hätten oft ein angstbasiertes Selbstbild, sähen sich selbst „als zerbrechliches Wesen, das der Welt nicht gewachsen ist und daher beschützt und abgeschirmt“ werden müsse. Sie richteten ihr Leben auf Vermeidung statt auf Wachstum und Entfaltung ein. Imi Lo geht es nun darum, die „verborgenen Schmerzpunkte freizulegen“ und bei Betroffenen Resilienz aufzubauen.
Sie nennt die Dinge beim Namen, und so widmet sie der Frage „Was ist normal?“ ein ganzes Kapitel. Intensive Menschen entsprächen nun einmal nicht der Norm, ihre große Wissbegierde, ihre breitgefächerten Interessen, ihre Entscheidungsschwäche, Desorganisiertheit oder auch psychomotorische Erregbarkeit würden vielfach als „zu viel“, „zu exzessiv“ erlebt.
Vielfach überforderte Eltern
Sensitivität sei keine Krankheit; im klinischen Kontext, insbesondere in der Psychiatrie, komme es hier immer wieder zu Fehldiagnosen. So würden starke Gefühle „als bipolare Störung missverstanden“ oder extreme Stimmungsschwankungen als Borderlinepersönlichkeitsstörung interpretiert. Besonders interessant sind die Ausführungen zum Thema „Was es bedeutet, anders zu sein“. Viele emotionale Verletzungen ortet Imi Lo bereits in der Herkunftsfamilie, solche Kinder überforderten vielfach die Eltern, sie würden zum Sündenbock oder es komme zur Rollenumkehr, was toxische Scham- und Schuldgefühle erzeuge. Die Folgen seien ein mangelndes Selbstwertgefühl sowie überbordende Selbstkritik. Wie eine gute Persönlichkeitsentwicklung aussehen kann, zeigt die Autorin anhand bewährter Übungen aus Trauma- und Achtsamkeitstherapie.
Auch wenn manche Begriffe etwas ungewöhnlich anmuten – so wird etwa der Begriff Begabung in neuer Weise verwendet –, bietet das Buch eine brillante Analyse innerpsychischer Prozesse. Souverän führt Imi Lo durch den Dschungel der Gefühle sensitiver Menschen mit vielen anregenden Fragestellungen und Übungen. Ein Buch, das Betroffene mit großem Gewinn lesen werden.
Elaine N. Aron: Hochsensible Eltern. Zwischen Empathie und Reizüberflutung – wie Sie Ihrem Kind und sich selbst gerecht werden. Aus dem amerikanischen Englisch von Elisabeth Liebl. Mvg, München 2020, 296 S., € 17,99
Kathrin Sohst: Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben. Warum Sensibilität eine verborgene Kraft ist und wie sie uns die Welt eröffnet. Dtv, München 2020, 254 S., € 16,90
Imi Lo: Sensibilität und emotionale Intensität. Wie man als hochsensibler Mensch mit intensiven Gefühlen umgeht. Aus dem Englischen von Renate Weitbrecht. Junfermann, Paderborn 2020, 232 S., €