I. Nur Geduld!
Nichts ist gefährlicher, als angesichts unsicherer Situationen in Aktionismus zu verfallen oder gar hektisch oder panisch zu reagieren. Auch das andere Extrem hilft selten – in Angststarre zu verharren wie das Kaninchen vor der Schlange. Am besten ist: die Lage analysieren, so gut es geht, und dann langsam, aber sicher nach Antworten zu suchen. Ruhe, Geduld und Sorgfalt – das entspricht dem Kaizen, der japanischen Lehre, entwickelt in der Blütezeit der japanischen Industrie. Es geht darum, ein Problem durch hartnäckige, stetige, geduldige Verbesserung zu lösen.
Dieser evolutionäre Ansatz ist gerade bei komplexen Problemen dem revolutionären Handstreich überlegen. Eine Strategie der kleinen, aber kontinuierlichen Schritte ist zudem fehlerfreundlich und ermöglicht Korrekturen, ohne gleich das große Ganze verwerfen zu müssen. Die Lehre der Achtsamkeit ist heute auch deshalb so in Mode gekommen, weil der technische Fortschritt, vor allem die neuen Informations- und Kommunikationsmedien uns zur Ungeduld und zu sofortigen Wunscherfüllungen erzogen haben. Wir erwarten Sofortlösungen für jedes kleine Problem und Instantbefriedigungen aller Wünsche und Impulse. Das beste Gegenmittel zu dieser Unruhe ist Achtsamkeit – gerade in unsicheren Zeiten und bei komplexen Problemen: das ruhige, konzentrierte und wertungsneutrale Beobachten dessen, was um uns herum wirklich geschieht.
II. Keine einfachen Lösungen
Das Unbehagen, das durch Unsicherheit entsteht, weckt in uns den kindlichen Wunsch, diesen Zustand so schnell wie möglich zu beenden: Es soll wieder so werden, wie es vorher war! Aber wir sollten lernen, den einfachen Lösungen zu misstrauen und den schnellen Antworten zu widerstehen. Krisen und Zeiten großer Verunsicherung sind Boomzeiten für die Vereinfacher – in der Politik, in der Wirtschaft, im privaten Leben. Sie bieten uns vermeintliche Erklärungen an – meist monokausal, simpel, unterkomplex.
Wir erliegen nur zu oft selbsternannten Experten – jemand bietet sich als Führer durch unsichere Zeiten oder als Problemlöser an, und wenn er genügend Charisma hat, vertrauen wir ihm blind. Aber ob es um Finanzen, Ernährung, Gesundheit, Karriereplanung oder andere potenzielle Krisenbereiche geht – wir sollten den einfachen Rezepten misstrauen. Es gibt keine Wunderpillen, Wunderdiäten, Geheimtipps oder Zauberformeln. Der amerikanische Satiriker Henry Louis Mencken hat dies so zusammengefasst: „Für jedes menschliche Problem gibt es immer eine Lösung: die ist klar, einleuchtend – und falsch.“
III. Vorausdenken
In unsicheren Zeiten gipfelt die emotionale Trias aus Unsicherheit, Verlustangst und Furcht vor Kritik häufig in der lähmenden Fantasie, völlig zu scheitern und wieder bei null anfangen zu müssen. Dann beherrscht uns ein Worst-Case-Szenario – und wir lassen die Finger von allem, was einen unsicheren Ausgang haben könnte. Also von ziemlich vielen Dingen. Wir verharren im sicheren Mittelmaß. Besser wäre, sich drei Szenarien so realistisch und detailliert wie nur möglich vorzustellen.
1. Was wäre wirklich, wenn etwas schiefgeht? Wäre es wirklich das Schlimmste, wieder bei null anzufangen? Das ist sicher schmerzhaft, aber meist nicht so sehr, wie man befürchtet hat. In der Regel geht man klüger und stärker aus dem Scheitern hervor. Deshalb gehört zu diesem Vorausdenken auch das Szenario: Wie könnte ich wieder auf die Beine kommen?
2. Was, wenn ich nichts tue? Das ist, wenn man es ehrlich zu Ende denkt, fast nie eine Option. Etwas aussitzen und abwarten, ob es von selbst besser wird, mündet in Stagnation und geistiger Trägheit.
3. Was, wenn alles gutgeht? Was, wenn eine Entscheidung richtig war? Sich das Gelingen so realistisch wie möglich vorzustellen kann die lähmende Unsicherheit überwinden helfen.
IV. Vorbereitet sein
Szenarien vorauszudenken ist ganz besonders in Zeiten von Krisen und schneller Veränderung die beste „Breitbandstrategie“. Aus der Resilienzforschung ist bekannt, dass bei allem, was plötzlich und unerwartet passiert, manche Menschen oder Institutionen effektiver reagieren als andere. Weil sie besser vorbereitet sind auf das, was passieren könnte. Sie können also etwa bei Katastrophen fast automatisch reagieren und so schneller helfen, weil sie sich auch das Unerwartete vorgestellt und mögliche Reaktionen eingeübt haben. Notfallpläne sind ausgearbeitet und können sofort umgesetzt werden – während andere Institutionen noch diskutieren und analysieren. Negative Szenarien zu entwickeln, aus vergangenen Katastrophen zu lernen und auch auf das Schlimmste vorbereitet zu sein: so entsteht eine Art Immunsystem, das uns gegen die Attacken des Schicksals hilft.
V. Nicht alles ist unsicher
In unsicheren Zeiten besteht die Gefahr, dass man nur noch das Instabile wahrnimmt und das, was immer noch sicher ist, aus den Augen verliert. Die Frage: „Was ist noch sicher in meinem Leben, worauf kann ich zählen, was ist mir geblieben?“, stellt man dann oft nicht, sondern konzentriert sich nur auf das Gefühl der Unsicherheit. Doch Ungewissheit lässt sich am besten aushalten, wenn man die nach wie vor vorhandenen Stützpfeiler erkennt. Wer es schafft, auch in unsicheren Zeiten positive Gefühle wie Dankbarkeit, Freude oder Verbundenheit mit anderen zu erleben, kann dem Wunsch nach schnellen Lösungen besser widerstehen.