Wann wird aus Furcht eine Phobie?

In der Interview-Reihe „Sagen Sie mal“ äußert sich Hans Morschitzky zu Phobien, Angst und Furcht. In seinem Buch beschreibt er ein Selbsthilfeprogramm.

Die Illustration zeigt den Autoren, Psychologen und Psychotherapeuten, Hans Morschitzky
© Jan Riekhoff

Die Begriffe Angst, Furcht und Phobie werden umgangssprachlich oft synonym verwendet. Worin unterscheiden sie sich?

Angst ist ein Gefühl der Bedrohung durch zukünftig mögliche Ereignisse. Es bestehen dabei entweder konkrete Befürchtungen oder mehr oder weniger diffuse Erwartungsängste, etwa wenn jemand sehr belastende „Was wäre, wenn…?“-Horrorszenarien im Kopf hat. Furcht ist dagegen das Gefühl einer realen oder vermeintlichen Bedrohung in der unmittelbaren Gegenwart durch ganz bestimmte Objekte und Situationen. Eine Phobie ist eine krankheitswertige Furchtreaktion. Krankhafte, das heißt stark lebensbeeinträchtigende Angst- und Furchtreaktionen werden als Angststörungen bezeichnet.

Sie schreiben in Ihrem Buch, bestimmte Angststö­rungen entstünden typischerweise in bestimmten Lebensabschnitten. – Können Sie das erläutern?

Spezifische Phobien – also die Furcht vor ganz bestimmten Situationen wie etwa geschlossenen Räumen oder vor bestimmten Objekten wie beispielsweise Spinnen oder Spritzen – treten mehrheitlich bereits in der Kindheit auf. Soziale Phobien setzen gewöhnlich in der Pubertät ein, wenn es um die Bedrohung des Selbstwertgefühls und des Sozialprestiges geht. Die Panikstörung und die Agoraphobie entfalten sich gewöhnlich im jungen Erwachsenenalter. Die generalisierte Angststörung zeigt sich oft erst in den 30er- und 40er-Jahren des Lebens, wenn alles, was man im Leben erreicht hat, bedroht ist.

Es gibt eine Vielzahl von zum Teil auch sehr skurril anmutenden Phobien: von der Ablutophobie – Angst vor dem Waschen – über die Friggaphobie – Angst vor Freitagen – bis hin zur Zemmiphobia, der Angst vor Nacktmullen… Haben solche sehr spezifischen Ängste in der klinischen Praxis Bedeutung?

Im Internet findet man Listen mit hunderten von spezifischen Phobien. Die meist aus dem Altgriechischen stammenden Bezeichnungen wirken auf den ersten Blick wie Krankheitsbezeichnungen. Die jeweilige Phobie weist jedoch oft keine Krankheitswertigkeit auf, weil das entscheidende Kriterium der erheblichen Lebensbeeinträchtigung fehlt. Wann begegnet man schon mal dem in Ostafrika beheimateten Nacktmull – außer im Zoo?

Eine spezifische Phobie ist umso behandlungsbedürftiger, je mehr die Lebensqualität anhaltend beeinträchtigt ist – entweder durch das ständige Vermeidungsverhalten oder durch die Tatsache, dass die gefürchtete Situation nicht vermieden werden kann, wodurch die Betroffenen ständig in belastende Angstzustände geraten. Viele Betroffene leiden unter ihrer Flugangst eher wenig, andere dagegen sehr stark, weil sie unbedingt fliegen möchten oder aus beruflichen Gründen fliegen müssen.

Inwieweit kann das Selbsthilfeprogramm, das Sie in Ihrem Buch beschreiben, den Betroffenen den Gang zum Therapeuten ersparen?

Das Selbsthilfeprogramm kann bei allen spezifischen Phobien leichteren Ausmaßes eine Psychotherapie ersetzen oder zumindest erheblich verkürzen. Wenn jedoch eine jahrelange Chronifizierung vorliegt oder wenn anzunehmen ist, dass der Störung tiefere, nicht selbst zu bewältigende Ursachen – etwa ein Trauma – zugrunde liegen, ist eine Psychotherapie dringend angezeigt. Dies gilt vor allem auch dann, wenn eine erhebliche psychische Belastung besteht, so dass die schulische, berufliche und familiäre Funktionsfähigkeit bedroht ist, oder wenn weitere psychische Störungen wie Panikattacken oder depressive Reaktionen aufgetreten sind.

Dr. phil. Hans Morschitzky ist klinischer Psychologe und Psychotherapeut in freier Praxis. Er arbeitete über drei Jahrzehnte in den Abteilungen Psychiatrie und Psychosomatik an der Landesnervenklinik in Linz, Österreich. Sein Spezialgebiet sind Angst- und psychosomatische Störungen

Hans Morschitzkys Buch Wenn Furcht zur Phobie wird. Spezifische Phobien verstehen und bewältigen ist bei Patmos erschienen (208 S., € 18,–)

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 1/2020: Bilder der Kindheit
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