Es ist eine traurige Geschichte: Elisabeth Petrow, geboren 1971 und Tochter eines Arztes, hat soeben ihr Medizinstudium beendet, zum Dr. med. promoviert und mit großem Engagement die Tätigkeit als junge Assistenzärztin in einer psychiatrischen Klinik begonnen – da verändert eine heimtückische Krankheit, eine Entzündung des Gehirns (Enzephalitis) ihr Leben von Grund auf. Sie braucht lange, um halbwegs zu genesen, aber es bleiben schwerwiegende Einschränkungen zurück, den geliebten Arztberuf kann sie nicht mehr ausüben.
Jedes Jahr erleiden Tausende von Menschen solche oder ähnliche Schicksalsschläge. Wie schaffen sie es, mit diesen Brüchen im Leben umzugehen? Und welche Rolle spielen dabei die Ratschläge und Empfehlungen, mit denen die Mitwelt der Gesunden in aller Regel nicht spart?
Rund 20 Jahre nach dem Ausbruch ihrer Erkrankung hat Elisabeth Petrow basierend auf Gesprächen mit dem Psychiater Torsten Passie dazu das Buch Wenn Krankheit das Leben verändert veröffentlicht.
Die Kraft der eigenen Stimme
Ihr Bericht macht erschreckend deutlich, wie leichtfertig und oberflächlich die Gesunden, auch professionelle Helfer, oft mit dem Schicksal der Kranken umgehen. Petrow meint, die Bewältigung ihrer Erkrankung sei ihr umso besser gelungen, je stärker sie sich einer sich allmählich entwickelnden Instanz anvertraut habe, die sie ihren „inneren Heiler“ nennt. Die Ratschläge und Empfehlungen der Außenwelt seien bei dieser Entwicklung oft wenig hilfreich, bisweilen sogar schädlich gewesen.
Um dies zu verdeutlichen, formuliert Petrow am Ende des Kapitels „Psychologische Beratung“ drei Wünsche.
„Mein erster Wunsch zielt auf die Bereitschaft, sich selbst den in diesen Prozessen auftretenden ‚großen‘ Themen wie Endlichkeit, Behinderung oder Brüchigkeit von Lebensentwürfen innerlich zu nähern, sie zu spüren, die mit ihnen verbundenen Ängste in sich zu beruhigen und eine persönliche Haltung zu ihnen zu finden.“ Diese Bereitschaft bildet den Boden für ihren zweiten Wunsch: Ärzte sollen dem Patienten mit Achtsamkeit und Offenheit für seinen Weg begegnen. „Eine Begleitung, die vorrangig auf Lehrkonzepten oder empirischen Studien basiert, wird dem Patienten in der Regel nicht gerecht. Jeder Verarbeitungsprozess ist einzigartig …“
Es braucht Zeit und Langsamkeit
Um den eigenen Weg zu finden, brauche der Patient nicht nur eine auf therapeutischer Offenheit basierende Ermutigung, sondern auch schlichtweg Zeit, betont Petrow, die mittlerweile als Psychotherapeutin und existenzanalytische Beraterin tätig ist. „Ihm diese Zeit so gut wie möglich zu geben wäre mein dritter Wunsch – auch wenn mir bewusst ist, dass ökonomische Zwänge professionell Begleitenden vielfach äußerst enge Grenzen setzen. Verarbeitungsprozesse sind jedoch langsame Prozesse, die der charakteristischen Schnelligkeit unserer Zeit zuwiderlaufen.“
Diese Wünsche sind unter den heutigen Bedingungen hochaktuell. Wenn Petrow das Nachsinnen darüber fördert, wäre das äußerst hilfreich. Auch wenn das Buch nicht sehr flüssig geschrieben ist und dem Text etwas Straffung gutgetan hätte, ist diesem an- und berührenden Bericht viele Leser zu wünschen.