Lasst Pflanzen um mich sein!

Psychologie nach Zahlen: 4 Gründe, warum wir Wohnung und Büro begrünen sollten.

Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch vor seinem Computer und arbeitet, während er seine Pflanzen im Raum genießt
Wie sich herausstellt, bieten Zimmerpflanzen mehr als nur einen schönen Anblick. © Till Hafenbrak

Der Mensch von heute ist auf über 31 000 Spezies von Pflanzen angewiesen. Die meisten von ihnen brauchen wir als Arzneimittel sowie als Bau- und Kleidungsstoffe. Dagegen gelten die Ziergewächse im Blumentopf bloß als hübsche Dekoration. Doch wie sich herausstellt, bieten Zimmerpflanzen mehr als nur einen schönen Anblick.

1 Sie lindern Stress

Das zeigt unter anderem eine Studie in einem japanischen Unternehmen. Dort stellte das Forscherteam von Julia Ayuso Sánchez Töpfe mit dem gängigen wie beliebten Drachenbaum, der Aloe Vera und dem Bogenhanf in mehrere Büroräume. In dieser Umgebung gingen die Studienteilnehmer dann ihren Aufgaben nach. Um einen Vergleich zu schaffen und den Effekt der Pflanzen besser verstehen zu können, entfernten die Forscher die Topfpflanzen täglich für einige Zeit. „In der Nähe des Raumgrüns schätzten die Teilnehmer den Umfang ihrer Arbeit als weniger groß und unübersichtlich ein“, berichten Julia Ayuso Sánchez und ihre Kollegen. Das sei wahrscheinlich ein Grund, wieso die Probanden weniger Stress als sonst empfanden, sobald das Grün um sie war, meinen die Forscher. Dass der Belastungspegel tatsächlich sank, bestätigten sie auch mithilfe von Speichelproben, die sie auf Stresshormone untersuchten.

Eine besonders stresslindernde Wirkung entfalten Topfpflanzen offenbar dann, wenn wir uns aktiv mit ihnen beschäftigen. In einer taiwanesischen Untersuchung nahm eine Gruppe von Jugendlichen ein Semester lang eine Reihe von Gewächsen in ihre Obhut. Sie gossen sie, wischten den Staub von ihren Blättern und sorgten dafür, dass sie genug Sonnenlicht bekamen. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe hatten die Pflanzen zwar um sich, mussten aber keine dieser Aufgaben erledigen. „Die Zimmerpflanzen wirkten signifikant stärker stressmindernd auf jene Teilnehmer, die sie regelmäßig versorgten“, berichtet Ke-Tsung Han.

2 Sie senken den Blutdruck

Zimmerpflanzen fördern physiologische Prozesse und haben einen meditationsähnlichen Effekt auf uns – selbst wenn wir uns nur einige Minuten lang in ihrer Nähe aufhalten. Das zeigt eine Untersuchung von Jie Yin und seinen amerikanischen Kollegen. In ihrem Versuch reichten bereits fünf Minuten, um den Blutdruck der Versuchsteilnehmer stärker zu senken als nach einem fünfminütigen stillen Aufenthalt in einem pflanzenleeren Raum. Der systolische Blutdruck, also der obere Wert, nahm durchschnittlich um rund neun Einheiten (mmHG) ab, der diastolische (unterer Wert) um vier Einheiten. Dadurch wurden die Freiwilligen deutlich ruhiger. Japanische Forscher führten den Ruhezustand ihrer Probanden noch schneller herbei: Hier reichten bereits sechzig Sekunden. Die Freiwilligen betrachteten eine Minute lang eine Topfpflanze, während das wissenschaftliche Team ihre physiologischen Funktionen dokumentierte. „Die kurze Zeit war genug, um ähnliche körperliche Funktionen wie bei der Meditation hervorzurufen, nämlich eine signifikante Aktivierung des Parasympathikus“, berichtet das Team der Forscherin Chorong Song. Der Parasympathikus ist jener Teil des autonomen Nervensystems, der einen entspannten Zustand signalisiert.

3 Sie halten uns wach

Auch dies zeigte die Bürostudie von Sánchez und ihren japanischen Kollegen. „Der Anteil der Teilnehmer, die sich morgens und nachmittags sehr müde und schläfrig fühlten, sank, wenn Zimmerpflanzen im Büro standen“, schreiben die Forscher. Das könnte unter anderem auf die biochemische Wirkung von Pflanzen auf unseren Wohnraum zurückzuführen sein: Pflanzen verarbeiten nicht nur einen Teil des Kohlendioxids, bereiten also die verbrauchte Atemluft auf, sondern sie haben noch andere, von uns kaum bemerkbare Eigenschaften. So beeinflussen Topfpflanzen die Raumfeuchte und entziehen der Zimmerluft Schadstoffe wie Trichlorethylen, Formaldehyd, Ammoniak und Benzol. Das erklärt nicht nur, wieso wir in grünbestückten Räumen weniger müde sind, sondern auch, warum wir uns dort besser konzentrieren können. Wissenschaftler sprechen von der attention restoration theory. „Von der positiven Wirkung der Zimmerpflanzen profitiert auch unser Gedächtnis“, berichten Jie Yin und seine Kollegen in ihrer Studie an der Harvard University. Sie ließen ihre Probanden fünf Minuten lang in einem pflanzengesäumten Raum sitzen – und fünf Minuten lang in einem Raum ohne Topfpflanzen. Die Anwesenheit der grünen Gefährten verbesserte die Gedächtnisleistungen der Teilnehmer um 14 Prozent.

4 Sie therapieren Leiden

Generell scheint die Wirkung von Zimmerpflanzen denen der Natur draußen stark zu ähneln. Daher beschäftigen sich Forscher auch mit dem therapeutischen Potenzial des Binnengrüns, etwa im Rahmen der Ökotherapie. „Pflanzen bieten ökotherapeutische Ansätze, die zur Bekämpfung von Stressabbau und Stimmungsschwankungen eingesetzt werden und dadurch unter anderem zum besseren Umgang mit einer posttraumatischen Belastungsstörung beitragen können“, so die amerikanischen Wissenschaftler James Summers und Deborah Vivian in ihrer aktuellen Metastudie. Auch bei Verhaltensstörungen wie ADHS und neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz könne Zimmerbepflanzung eine positive Wirkung entfalten. Dabei habe sie sogar besondere Vorteile. „Topfpflanzen sind beispielsweise für ältere Menschen, die nicht spazieren gehen können, hilfreich“, so die amerikanischen Wissenschaftler. Auch in Metropolen, in denen Parks und Grünflächen rar gesät sind, stellen Topfpflanzen eine wertvolle therapeutische Alternative dar.

Allerdings bleiben noch zahlreiche Fragen offen. Etwa wie Topfpflänzchen sich am effektivsten in eine Therapie einbeziehen lassen, ob bestimmte Arten des Grüns besser für uns sind als andere und welche Anzahl von Gewächsen die optimale Wirkung erzielt. Fest steht: Wer Zimmerpflanzen mag und sie daheim gedeihen lässt, tut sich etwas Gutes.

Literatur

Kanchane Gunawardena, Koen Steemers: Living walls in indoor environments. Building and Environment, 148, 478–487, 2019

Julia Ayuso Sanchez u.a.: Quantitative improvement in workplace performance through biophilic design: A pilot experiment case study. Energy and Buildings, 177, 316–328, 2018

Jie Yin u.a.: Physiological and cognitive performance of exposure to biophilic indoor environment. Building and Environment, 132, 255–262, 2018

Ke-Tsung Han: Influence of passive versus active interaction with indoor plants on the restoration, behaviour and knowledge of students at a junior high school in Taiwan. Indoor and Built Environment, 27, 818–830, 2018

Chorong Song u.a.: Physiological effects of viewing bonsai in elderly patients undergoing rehabilitation. International Journal of Environmental Research and Public Health, 15, 2018. DOI:10.3390/ijerph15122635

James Summers, Deborah Vivian: Ecotherapy – a forgotten ecosystem service: A review. Frontiers in Psychology, 2018. DOI: 10.3389/fpsyg.2018.01389

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2019: Bin ich gut genug?
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