Heraus aus der Corona Depression

Die gefühlte Machtlosigkeit in der Coronakrise ähnelt einem Depressionserleben. Doch wie gelangen wir gestärkt wieder aus diesem heraus?

Das Foto zeigt eine Frau mit Maske verzweifelnd auf Stufen sitzend.
Die Coronakrise kränkt unsere Allmachtsfantasien radikal und zeigt unsere Schwächen auf. © Kiyoshi Hijiki // Getty Images

Seit dem Ausbruch von COVID 19 verändert sich die Welt drastisch. Die Corona Krise fordert uns Menschen Außergewöhnliches ab. Alltägliche Selbstverständlichkeiten brechen plötzlich weg und wir erleben eine tiefgreifende Ohnmacht nicht nur dem Virus, sondern auch den massiven Einschränkungen und Veränderungen unseres bisher gelebten Alltags gegenüber. Die erlebten Begrenzungen und Umgangsformen mit der Krise weisen Parallelen zu Zügen der Depression auf. Damit die Corona Krise nicht in eine gesellschaftliche Depression führt, muss sich mit eigenen und auch gesellschaftlichen Ansprüchen und Zielen auseinandergesetzt werden.

Noch bis vor der Krise wähnten wir uns im Besitz unendlicher Optionen zur Gestaltung unseres Lebens, einfach alles schien möglich. Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist eine radikale Kränkung dieser Allmachtsphantasien und dem Wunsch, alles im Griff und unter Kontrolle zu haben. Es ist der Knockout unseres Kontrollsystems und beschert uns eine Ohnmachtserfahrung, wie sie die meisten Menschen noch nicht erlebt haben. Die kränkende Beschneidung unserer Möglichkeiten wurde zu Beginn der Krise lediglich dadurch abgefedert, dass alle Menschen den gleichen Einschränkungen ausgesetzt waren.

Dies führte zu Solidarisierungsbewegungen und einer Vergemeinschaftung in der Krise. Trotz Abstandsgebot fühlten wir uns einander nahe. Dies hat sich mittlerweile verändert und ist oftmals einer Polarisierung und einem Argwohn gewichen. „Geht’s den anderen besser als mir?“, „Wer hält sich an die Regeln und wer nicht?“, „Wer wird bevorzugt von der Politik?“, Wer profitiert von der Krise und wer ist Krisenverlierer?“ sind nur einige der Fragen, die Menschen derzeit aufwühlen.

Die Ohnmachtserfahrungen ähneln dem Erleben in der Depression. Dem Gefühl, nichts mehr ausrichten zu können gegen Einschränkungen, die uns entgegenstehen, sind eine Kränkung unserer Allmacht. Wir erleben momentan: Wir können nicht mehr wie wir wollen.

Aus der Allmacht in den ‚neuen‘ Alltag.

Wenn wir mit den Menschen sprechen, wird deutlich, wie schwierig die Adaptation an den neuen Alltag ist. Menschen erleben sich zurzeit in einer sehr fragilen Übergangssituation. Sie spüren, es ist nicht mehr so wie früher und es wird auch in Zukunft nicht mehr so sein. Sie kennen diese neue Normalität noch nicht. Doch nichts ist so schwierig wie Veränderung. Das Festhalten an Idealen und die fehlende Auseinandersetzung mit Zielen, die nicht mehr realistisch sind, ist ein gravierender Aspekt hinein in eine Depression.

Nun sind Menschen durch die Corona Krise generell dazu gezwungen, sich an neue Umstände zu adaptieren und so auch mit früher gesetzten Idealen auseinanderzusetzen. Der Virus konfrontiert Menschen damit, sich mit neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Zugleich weckte der Lockdown Sehnsüchte, aus dem immerwährenden, schnelldrehenden gesellschaftlichen wie auch persönlichen Hamsterrad auszusteigen. Die Sehnsucht nach einer kollektiven Abbremsung und Ruhigstellung zeigt, wie sehr Menschen „am Rad gedreht“ und sich in Überforderungen hineinmanövriert haben. So wie wir uns momentan in Abstand üben müssen, müssen wir auch in einem angemessenen Abstand unsere Werte, Ziele, unser Leben neu bedenken.

Wege aus der Corona Depression

Eine ehrliche Auseinandersetzung mit Risiken und den Kränkungen, den diese Krise mit sich bringt, hilft zwar nicht zurück in die Allmacht, aber heraus aus der Ohnmacht zu kommen. Analog den sechs Wegen, die aus einer Depression herausführen, kann es auch uns als Gesellschaft gelingen, weder in der depressiven Stilllegung zu verharren, noch verantwortungslos alle Gefahren und Beschränkungen zu negieren und zu leugnen.

1. Entthronung der Ideale statt Festhalten an allerhöchsten Ansprüchen.

Unbewusst glauben wir an das ungemein attraktive Versprechen von der Möglichkeit der paradiesischen Erfüllung unseres Allmachtanspruchs. Das Gieren nach umfassender Selbstwirksamkeit führt dazu, dass jede Begrenzung als Kränkung erlebt wird. Dies ist typisch für unsere Kultur, führt aber unweigerlich in Überforderungen hinein. Die Corona Krise zwingt uns in die Auseinandersetzung mit den eigenen Idealen.

Dies ist Voraussetzung für den Weg heraus: Alte Muster müssen überdacht und losgelassen werden. Die neuen, mitunter auch schnell wechselnden Bedingungen bestimmen das Leben maßgeblich mit. Eine ehrliche, offene Auseinandersetzung mit sich selbst ist der Anfang, um aus der depressiven Enge herauszutreten. Die Corona Krise setzt die Spielregeln neu, nach denen wir uns ausrichten müssen und ist ein Lehrstück darin zu akzeptieren, dass wir nicht alles in der Hand haben.

2. Wertschätzung kleiner Erfolge statt kompromisslosem Alles-Oder-Nichts-Prinzip.

Durch den veränderten Blick auf das, was realistisch betrachtet machbar ist, kann nicht nur ein seelischer Umbau in Gang gesetzt werden und eine Wertschätzung kleiner Erfolge gelingen, sondern auch Wege aus dem kollektiven Lockdown gefunden werden. Einschränkungen werden dann nicht nur als umfassende Kränkung gesehen, sondern als Anstoß, neue Ziele anzuvisieren, in die es sich zu investieren lohnt.

3. Den Mantel des Schweigens ablegen, statt gnadenloser Stilllegung.

Indem wir über unsere Gefühle sprechen und sie beschreiben, gewähren wir anderen Einblick in unser Seelenleben. Das führt nicht nur in der Depression zu Heilung, sondern auch in der derzeitigen Corona Krise gelangen wir wieder in einen fruchtbaren Austausch, wenn wir über Dinge sprechen, die uns schwerfallen. Dies ermöglicht wieder Begegnungen, die heilsam sein können.

Über sein Befinden zu sprechen, ist der erste Schritt auf dem Weg dazu, wieder tätig zu werden. Trotz Maske heißt es nun, den Mund aufzumachen, zu reden über Schwierigkeiten, die die Krise mit sich bringt, aber auch über Ideen, die entstehen, wieder herauszutreten. Verantwortung für das eigene Tun zurückzuerlangen und trotz erheblicher finanzieller Einbußen, die Verantwortung nicht komplett an staatliche Institutionen, die Politik oder die ’anderen‘ zu delegieren aber deutlich machen, wenn man Unterstützung braucht.

4. Prioritäten- und Sinnfindung im Alltag statt großer Gleichgültigkeit.

Es lohnt sich, etwas zu tun, statt davor zu kapitulieren, nicht alles zu schaffen. Das selbstzerstörerische Alles-oder-nichts-Prinzip kann nur aufgelöst werden, wenn ein Reflexionsprozess einsetzt: Was ist wirklich wichtig und von welchen Ansprüchen oder Aufgaben kann man sich kurz- und langfristig verabschieden? In der Corona Krise haben viele Menschen durch die erzwungene Reduktion ihres Handlungsspielraum eine Verengung ihres Lebensraums auf einen kleinen Kreis erlebt.

Bei aller Schwierigkeit erlebten ihn viele auch als eine Chance, den Blick auf das zu richten, was trägt und von persönlicher Bedeutung ist. Die Krise kann helfen, wieder den Blick - wie durch ein Brennglas - auf das zu fokussieren, was wichtig ist, sich zwar nicht unbedingt leicht, aber richtig anfühlt.

5. Den Weg zurück ins aktive Leben finden, statt innerem Heißlaufen.

Wieder Lust und Drang zu verspüren, tätig zu werden, bedeutet einen wichtigen Schritt raus aus dem Schmoren im eigenen Saft. Das beginnt schon beim Aufstehen. Einfach machen – loslegen! Menschen in der Depression müssen aufs Neue lernen, dass jeder Weg mit einem ersten Schritt beginnt. Sich verändern und anpassen zu müssen, braucht Zeit und Einübung. Gelingt das Homeoffice nicht direkt, haben doch viele Menschen wie auch Firmen und Institutionen bemerkt, wenn man dranbleibt, kann man vieles lernen.

Es ist vielleicht nicht direkt fehlerfrei, aber es ist ein Anfang. Die Krise ermöglicht einen Schulterschluss bei vielen Menschen, die gemeinsam sich auf Neues einrichten müssen. Zu merken, dass nicht alle perfekt sind, weder perfekt gestylt in HO Meetings teilnehmen, Kinder zwischendurch auf der Ukulele spielen oder aber viele auch anfängliche Schwierigkeiten mit den digitalen Anforderungen haben. Darüber zu sprechen ist mitunter ein Kraftakt, ist aber heilsam.

6. Hinwendung und Öffnung zur Welt statt resigniertem Tunnelblick.

Die resignativ-verbitterte Symptombehandlung in der Depression verengt den Blick, sodass nur noch das gesehen wird, was nicht machbar ist. Im Zuge des (Selbst-)Behandlungsprozesses wird es wichtig, den Blick jenseits der Symptome schweifen zu lassen, also auf Erkundung auszugehen. Dies lenkt die Energie wieder nach außen. Viele Menschen spüren derzeit, wie wichtig es ist, sich wieder der Welt zu öffnen. Sich trotz Virus und allen Unwägbarkeiten wieder den Gefahren des Lebens zu stellen, raus aus dem warmen Nest.

Man schützte und wappnete sich gegen alles, was von außen das Kleine bedrohen könnte. Darin zu verharren führt jedoch zu einer gesellschaftlichen wie auch persönlichen Stilllegung. Diese Tendenz, wieder heraus zu wollen aus der kollektiven Ruhigstellung ist seelisch notwendig, um wieder in eine (neue) Entwicklung zu kommen.

Wir brauchen als Gesellschaft die Auseinandersetzung mit den Beschneidungen unserer Möglichkeiten, unserem Aufbegehren dagegen, ein Abwägen mit den Risiken und eine Entscheidung für unser Tun. In der Krise gibt es kein einfaches Entweder-Oder, sondern es muss immer wieder – je nach den Begebenheiten – neu ausgehandelt werden. Nicht das adäquate Einhalten von Regeln hemmt uns, sondern das unbewusste Festhalten an Zeiten ‚vor der Krise‘ zementiert und lähmt uns und verdeutlicht ähnlich wie die Depression: Indem depressive Menschen sich ihren Einschränkungen fügen und sich stilllegen, umgehen sie die so kränkende Beschneidung ihrer Möglichkeiten.

So können die Begrenzungen des Alltags, denen jede Person ausgesetzt ist, als Grund dafür herangezogen werden, dass nicht alles machbar ist. Indem man sich selbst lahmlegt und gar nicht erst versucht, gegen äußere Widrigkeiten, andere Meinungen etc. anzugehen, kann man immer noch für sich das Bild aufrechterhalten, »wenn man mich nur ließe, würde ich auch …«.

Der Weg in die Depression ist zu verstehen als ein verzweifelter Versuch, sich in unserer Machbarkeitskultur dem Konflikt zu entziehen, der sich zwangsläufig aus den überhöhten Ansprüchen auf der einen Seite und dem Scheitern angesichts der begrenzten Möglichkeiten auf der anderen Seite ergibt.

Wir spüren derzeit mehr denn je, wir sind nicht allmächtig, aber wir müssen auch nicht in dem erstarrten Zustand von bewegungsloser Ohnmacht verharren. Die Krise lehrt uns auf sehr drastische Weise Demut vor dem Leben und auch, dass Leben Veränderung heißt.

Birgit Langebartels ist Diplom-Psychologin und Leiterin Kids & Family Research beim Kölner Marktforschungsinstitut rheingold. Neben den Bereichen Kinder und Jugend forscht sie in den Gebieten Frauen, Familie, Gesellschaft/Kultur/Trends und Gesundheit. Sie ist zudem Gründerin der medizinisch-psychologischen Beratungsfirma Mediccoach. Birgit Langebartels lebt mit ihrer Familie in Köln.

Ihr aktuellstes Buch „Leben im Leerlauf“ ist 2019 erschienen (Beltz Verlag, 18,95€).

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