Das Infektionslabor

Chronischer Stress sowie konflikthafte soziale Beziehungen erschweren es offenbar dem Körper, Entzündungen zu bremsen.

Die sehr unterschiedlichen Verläufe von Covid-19 werfen für die Forschung eine Vielzahl an Fragen auf. Der US-Psychologe Sheldon Cohen untersucht seit mehr als drei Jahrzehnten die Frage, welche psychosozialen Risiken uns anfällig für schwerere Krankheitsverläufe nach einer Infektion mit Erkältungs- oder Grippeviren machen. In einem Überblicksartikel kommt der Wissenschaftler zu dem Schluss, dass sich daraus womöglich auch Rückschlüsse für Covid-19 ziehen lassen. Chronischer Stress sowie konflikthafte soziale Beziehungen erschweren es offenbar dem Körper, Entzündungen erfolgreich herunterzufahren.

Cohen befragte Freiwillige (die dafür bezahlt wurden) zunächst umfassend nach ihrem Leben, der Dauer und Qualität des Schlafs, ihrem Alkoholkonsum, dem Stresspegel und nach belastenden Lebensereignissen wie Arbeitslosigkeit oder Scheidung, aber auch nach der Qualität ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen. Anschließend infizierte er sie im Labor mit diversen Erkältungs- oder Grippeviren, schickte sie dann für ein paar Tage in Quarantäne – und beobachtete und maß den Verlauf einer eventuellen Erkrankung. Ein Teil der Probanden erhielt ein Placebo.

Zytokine als Schlüssel

Langandauernde belastende Lebensereignisse gingen bei den Patienten von Cohen mit dem häufigeren Auftreten von Krankheitssymptomen und mit schwereren Verläufen einher. Auch Teilnehmer, die über Konflikte in ihren persönlichen Beziehungen berichtet hatten, zeigten häufiger Symptome und erkrankten schwerer. Dagegen erwies sich eine hohe Anzahl positiver sozialer Bindungen und diverser sozialer Rollen als schützend.

Der Autor verweist auf die Schlüsselrolle entzündungsfördernder Substanzen wie Zytokine, die auch bei den schweren Covid-19-Verläufen nachgewiesen wurden. Sheldon Cohens Messungen zeigten, dass bei schwer erkrankten Probanden die Fähigkeit des Körpers reduziert war, die Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen abzuschalten. Seine Probanden waren im Schnitt zwischen 18 bis 55 Jahre alt und grundlegend gesund.

Sheldon Cohen: Psychosocial vulnerabilities to upper respiratory infectious illness: Implications for susceptibility to coronavirus disease 2019 (COVID-19). Perspectives on Psychological Science, 2020. DOI: 10.1177/1745691620942516

Artikel zum Thema
Gesundheit
Atemnot, Erschöpfung oder Angst: Die aktuelle Forschung zu Long Covid liefert neue Einblicke in Körper und Psyche und lässt auf Therapien hoffen.
Gesundheit
Was haben Herz-Kreislaufleiden mit der frühen Kindheit zu tun? Belastungen in den ersten Jahren können später zu „unerklärlichen“ Beschwerden führen.
Leben
Die aktuelle Weltlage bereitet uns allen Sorgen – doch wir können unsere Unsicherheitskompetenz verbessern und so besser damit umgehen.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2020: ​Toxische Beziehung
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft