Professor Sweeny, in Europa und den USA sitzen jetzt Millionen von Menschen zu Hause und warten tatenlos, malen sich Katastrophenszenarien aus. Kommt Ihnen dieser Zustand bekannt vor?
In der Tat. In der Psychologie sprechen wir von „Warten unter Unsicherheit“ – das ist mein Forschungsgebiet. Dennoch ist die derzeitige Situation besonders.
Inwiefern?
Normalerweise untersuche ich Wartesituationen, in denen es einen klaren Endpunkt gibt. Etwa wenn Studenten auf ihre Examensergebnisse warten. Oder wenn Patienten dem Befund einer medizinischen Untersuchung entgegenfiebern. Jetzt in der Coronakrise gibt es aber keinen definierten „Moment der Wahrheit“. Das dürfte die Unsicherheit für viele Menschen eher verschärfen.
Was passiert beim Warten unter Unsicherheit?
Für die meisten ist das eine sehr belastende Erfahrung voller Sorge und Angst. Beim Warten auf eine Krebsdiagnose versteht das jeder. Aber auch für die Examenskandidaten fühlt es sich an, als ginge es um Leben und Tod.
Sie haben im chinesischen Wuhan Daten gesammelt, als dort im Februar die Epidemie ausgebrochen ist. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Wir sind noch dabei, das auszuwerten. Es scheint aber ein paar Strategien zu geben, die eine Quarantäne erträglicher gestalten. Das ist vor allem der Fall, wenn Menschen einen Flow erleben, wenn sie sich also komplett in eine Tätigkeit vertiefen. Die quälende Zeit des Wartens scheint dabei auch schneller zu vergehen.
Was passiert bei denen, denen es nicht gelingt, sich so zu absorbieren?
Da sehen wir all die Stresssymptome, die wir schon aus früheren Studien kennen. Man fühlt sich einsamer – was unter Quarantäne natürlich nicht besser wird. Die Leute leben eher ungesund, sie trinken mehr Alkohol, als sie sollten, sie rauchen, ernähren sich schlecht. Und all das scheint sich mit der Zeit eher zu verschärfen.
In Ihren Studien beobachten Sie meist einen Verlauf in Form einer U-Kurve: Am Anfang ist das Warten pure Folter, dann beruhigt man sich ein wenig, um kurz vor dem Moment der Wahrheit wieder sehr gestresst zu sein. Erwarten Sie das auch in der Coronakrise?
Das ist schwer vorherzusagen. Ich würde aber nicht auf eine U-Kurve hoffen, eben weil wir keinen definitiven Endpunkt für die Krise haben. Ich rechne eher damit, dass die kommenden Wochen für viele Menschen sehr belastend werden.
Einige Spaßvögel gehen davon aus, dass wir in neun Monaten einen Anstieg der Geburtenzahlen haben werden. Wie sehen Sie das?
So ganz lässt sich das nicht von der Hand weisen. In manchen meiner Studien beschäftige ich mich mit Jurastudenten, die vier Monate lang auf die Resultate ihres Abschlussexamens warten müssen. Und da sagt eine nicht unerhebliche Minderheit, dass sie sich die Zeit auch durch mehr Sex vertreibt. Wenn die Menschen jetzt während einer Quarantäne ähnlich reagieren, könnten wir in der Geburtenstatistik durchaus einen Ausschlag nach oben sehen.
Wie vermeidet man einen Lagerkoller?
Dass man die ganze Zeit zu Hause sitzt, macht das Warten jedenfalls nicht leichter. Die Unterstützung unserer Mitmenschen hilft uns in unsicheren Zeiten. Deshalb sind die sozialen Medien jetzt unglaublich wichtig. Ich sehe das in meinem beruflichen Umfeld. Meine Uni ist geschlossen. Mit meinen Kollegen haben wir zum Beispiel eine eigene Facebookgruppe gebildet und versuchen jetzt, unsere Kurse und Vorlesungen in die Onlinewelt zu verlagern. Und ich habe schon den Eindruck, dass das die Sache erleichtert und soziale Unterstützung möglich macht.
Geben Sie uns zum Schluss noch ein wenig Hoffnung! Wie kann man sich das Warten unter Unsicherheit erleichtern?
Wir haben in den vergangenen Jahren zwei Dinge ausfindig gemacht, mit denen man Angst und Sorge reduzieren kann. Zum einen ist das Meditation. Achtsamkeitsübungen scheinen die Menschen zurück ins Hier und Jetzt zu bringen. Und das hilft. Die schlechten Gefühle nehmen ab. Wer mehr Achtsamkeit erlebt, ist beim Warten weniger gestresst und auch körperlich gesünder.
Meditation ist aber nicht jedermanns Sache!
Das stimmt. Es gibt noch einen zweiten Weg, den ich bereits erwähnt habe: Wir haben festgestellt, dass Flow-Erlebnisse die negativen Gefühle eindämmen können. Das bedeutet: Man geht ganz in einer Tätigkeit auf – und vergisst dabei seine Sorgen. So einen Flow erzeugt man am leichtesten, wenn man etwas macht, das einen herausfordert. Etwas, das einen nicht überfordert, das aber auch nicht langweilig ist.
Wie ein Computerspiel?
Das ist tatsächlich die Methode, mit der wir unsere Studienteilnehmer in einen Flowzustand versetzen. Das funktioniert ausgesprochen gut. Natürlich erlebt jeder seinen Flow bei etwas anderem. Und ich muss zugeben: Die Coronakrise verbaut uns den Weg zu vielen dieser Flow-Momente, etwa den Gang ins Büro oder ins Fitnessstudio. Da muss man sein Repertoire vermutlich ein wenig erweitern.
Wie wichtig ist eine optimistische Haltung?
Manche unserer Studienteilnehmer erleben die Wartezeit in der Tat als angenehmer, wenn sie versuchen, in allem, was passieren kann, noch etwas Positives zu sehen, sozusagen einen Silberstreif am Horizont. Auch das ist eine gute Strategie, sich von allem, was gerade passiert, nicht fertigmachen zu lassen.
Ein Porträt von Kate Sweeny und ihrer Forschung finden Sie demnächst in der August-Ausgabe von Psychologie Heute, die am 8. Juli in den Handel kommen wird. Alle unsere Ausgaben sind auch online portofrei zu bestellen über psychologie-heute.de/abo-shop/einzelhefte/2020.html