Die Biologie der Belastbarkeit

Resilienz hat viele Faktoren – Neueste Forschungen untersuchen dabei u.a. das Immunsystem und das biologische Geschlecht.

Resilienz nimmt ihren Ursprung an einem unwahrscheinlichen Ort. Der Psychologe und KZ-Überlebende Viktor Frankl soll den Terminus als Erster in seinen Arbeiten zum Holocaust benutzt haben. Resilienz gilt heute unter anderem als die Fähigkeit, negative psychische Konsequenzen nach extremem oder langfristigem Stress abzuwenden. Resilienz hat aber auch eine biologische Seite.

In einer Themenausgabe des Journals Biological Psychiatry halten die Amerikaner James Murrough und Scott Russo den Forschungsstand zur Physiologie der Resilienz fest. „Das Risiko für fast jede psychische Störung ist infolge von Stressbelastung erhöht“, betonen Murrough und Russo. Doch nicht jeder Mensch ist gleichermaßen anfällig. Worauf beruht diese individuelle Physiologie der Resilienz?

Genetische Unterschiede beeinflussen unter anderem das Immunsystem und dadurch auch die Belastbarkeit. In Stresssituationen wird der Immunbotenstoff Interleukin-6 bei manchen Personen stärker als bei anderen ausgeschüttet. Interleukin-6 geht mit verstärkten Entzündungsreaktionen im Organismus und auch mit mehr Ängstlichkeit einher. Auch die Blut-Hirn-Schranke kann in belastenden Situationen durchlässiger für Interleukin-6 werden – was manche von uns möglicherweise nervöser macht und das ruhige, konzentrierte Denken erschwert.

Auch studieren die Forscher den Einfluss des Geschlechts. So gibt es Hinweise darauf, dass Männer auf belastende Situationen, zum Beispiel in der Kindheit, eher zeitnah zu reagieren scheinen, Frauen hingegen reagieren öfter ­verzögert. Und die unmittelbaren physio­logischen Reaktionen auf Stress „sind anders als jene Reaktionen, die mit zeitlicher Verzögerung erfolgen“, so die Forscher. „Auch die Verhaltensweisen in den beiden Fällen unterscheiden sich.“ Woher diese Geschlechtsunterschiede rühren, ist noch offen.

Diskutiert wird ferner der Einfluss des Mikrobioms, also der Bakterien unseres Körpers. Wie sich zeigte, erhöht die Einnahme von Bifidobakterien, die etwa bei der Käseherstellung verwendet werden, zumindest bei Nagetieren die Belastbarkeit – und schmälert stressinduziertes Angstverhalten. Lässt sich unsere Resilienz also stärken, indem wir unserem Mikrobiom etwas Gutes tun? Dieser Frage gehen Wissenschaftler derzeit nach.

Pillen für mehr Widerstandskraft sind allerdings noch nicht in Sicht. „Derzeit gibt es keine zugelassenen Medikamente, die die Resilienz fördern“, berichten die Forscher. Hingegen kennen sie ein anderes Hilfsmittel: körperliche Betätigung. Sie hilft selbst in stressigen Lebenslagen, die psychische Balance und physiologische Homöostase aufrechtzuerhalten.

James W. Murrough, Scott J. Russo: The neurobiology of resilience. Biological Psychiatry, Special Issue, 86/6, 2019

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2020: Wer bin ich noch?
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