Vor vier Jahrhunderten sinnierte René Descartes über die genaue Lage der Seele im menschlichen Körper. Der berühmte Philosoph hatte da eine Vermutung: Die kleine kegelförmige Zirbeldrüse müsse – da genau in der Mitte des Kopfes gelegen – jener Ort sein, an dem das unsterbliche Ich mit dem vergänglichen Körper verbunden ist.
Zwar wissen wir heute, dass die Identität eines Menschen nicht in diesem neuronalen Winzling ruht, der nur wenige Millimeter groß ist. Dennoch neigen wir beinahe automatisch dazu, unser Selbst irgendwo im Gehirn zu verorten. Dabei ist unsere Persönlichkeit deutlich komplexer und vielseitiger mit unserem Körper verknüpft.
1. Die Hirnfalten
Eine neurowissenschaftliche Forschungsgruppe um Luca Passamonti von der University of Cambridge verortet Charakterzüge nicht nur im menschlichen Gehirn – sondern bringt sie auch mit dessen äußerer Beschaffenheit in Verbindung. Das Team studierte magnetresonanztomografische Scans von über 500 gesunden Probanden. Außerdem füllten die Freiwilligen ein Persönlichkeitsinventar aus.
Tatsächlich fanden sich Zusammenhänge zwischen der Form sowie dem Aufbau der Gehirne und den fünf großen Persönlichkeitsdimensionen, den Big Five. Dieser Studie zufolge tendieren Menschen, deren Gehirn eine dickere und weniger faltige Außenschicht besitzt, zu neurotischen Persönlichkeitszügen. Dagegen hätten aufgeschlossene, offene Menschen eine vergleichsweise dünne äußere Gehirnschicht, die außerdem an bestimmten Stellen mehr Furchen und Falten aufweist.
Generell schafft die Faltenform des Gehirns eine größere Oberfläche und bietet dadurch mehr Kapazität, etwa für das Denken und Fühlen. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass das einzigartige individuelle Muster der neuronalen Furchen und Kurven mit der Persönlichkeit in Verbindung steht.
2. Die Körperbakterien
Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen – ob Psychologie, Medizin oder Neurowissenschaft – stellten fest, dass unsere Mikrobiome eine Rolle für unsere Persönlichkeit spielen. Laut einem Team an der Arizona State University fördern bestimmte Mikroben unsere Widerstandskraft gegenüber Stress. Eine starke und ruhige Persönlichkeit könnte also auch mit einem gelungenen Teamwork zwischen den nützlichen Mikroben und dem Körper zu tun haben.
Vor allem bei dem Darmmikrobiom ist die Verbindung zu Gehirn und Psyche vielfach nachgewiesen –Fachleute sprechen von der gut-brain axis, der „Darm-Hirn-Achse“. So scheint die individuelle Persönlichkeit mit der Zusammensetzung der Bakterienpopulation im Darm zusammenzuhängen. Unter anderem wird eine hohe Anzahl sogenannter Gammaproteobakterien mit hohem Neurotizismus in Verbindung gebracht. Zu geringer Gewissenhaftigkeit neigende Personen zeigen wiederum eine höhere Menge von Proteobakterien und eine geringere Anzahl von Lachnospiraceae.
Laut Katerina Johnson von der University of Oxford geht auch die Diversität des Darmmikrobioms mit Unterschieden in der Persönlichkeit einher. Johnson zufolge sind diejenigen Menschen geselliger, die eine höhere Vielfalt der lebenswichtigen Mikroben aufweisen. Angst und Stress scheinen wiederum mit einer geringeren Diversität der Darmbakterien zusammenzuhängen.
3. Das Immunsystem
Ein Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Immunsystem wird seit über einem halben Jahrhundert diskutiert. Bereits 1964 vermuteten die amerikanischen Forscher Rudolf Moos und George Solomon, dass der Ausbruch der rheumatoiden Arthritis – einer Autoimmunerkrankung – mit einem Spektrum von Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhängt, einschließlich des Perfektionismus und der übersteigerten Selbstaufopferung.
Entzündungsprozesse spielten dabei eine zentrale Rolle, so Moos und Solomon. Damals war das Spekulation. Inzwischen gibt es tatsächlich Indizien dafür, dass Eigenschaften wie Selbstkontrolle, Offenheit für Neues und Extraversion mit einem stärkeren Immunsystem einherzugehen scheinen. Allerdings ist nach wie vor nicht geklärt, ob die Abwehrkräfte des Körpers unsere Persönlichkeit prägen oder ob umgekehrt unser Naturell über unser Verhalten, Denken und Empfinden Einfluss auf das Immunsystem nimmt. Es könnte beides zutreffen.
Für die Verkoppelung von Immunsystem und Persönlichkeit sind evolutionspsychologische Gründe vorstellbar: Ein Mensch, der ein vergleichsweise schwächeres Immunsystem hat, könnte diesen Nachteil ein Stück weit ausbalancieren, indem er introvertiert und zurückhaltend agiert – und dadurch potenziell besser vor Ansteckung und Infekten geschützt bleibt als eher extravertierte, abenteuerlustige Artgenossen.
4. Die Gene in jeder Zelle
Die kleinste Manifestation unseres Wesens steckt im Kern jeder unserer Körperzellen – in Gestalt der Gene. Die menschliche Persönlichkeit ist laut Zwillings- und Adoptionsstudien bis zu 60 Prozent vererbbar. Hinzu kommt eine Weitergabe auf epigenetischem Weg, bei der Gene entweder angeschaltet werden und die Produktion bestimmter Proteine prägen oder aber inaktiv bleiben. Womöglich können so Traumata – etwa infolge von Kriegserlebnissen – an nächste Generationen weitergereicht werden.
Hinweise darauf finden sich vor allem in Tierstudien. Zum Beispiel brachte man Mäusen bei, den Duft von Kirschen zu fürchten, indem man ihn mit einem Elektroschock koppelte. Ihre Mäusekinder und sogar deren Kinder reagierten dann ebenfalls ängstlich, wenn sie Kirschen rochen – obwohl sie ja die schmerzhafte Erfahrung nie selbst gemacht und die Assoziation nicht eigens gelernt hatten. Die Frage, wie genau genetische Prozesse unsere Persönlichkeit mitgestalten, ist allerdings noch kaum erforscht und verstanden.
Literatur
Luca Passamonti u.a.: Surface-based morphometry reveals the neuroanatomical basis of the five-factor model of personality. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 12/4, 2017, 671–684.
Han-Na Kim u.a.: Correlation between gut microbiota and personality in adults: A cross-sectional study. Brain, Behavior, and Immunity, 69, 2018, 374–385.
Katerina Johnson: Gut microbiome composition and diversity are related to human personality traits. Human Microbiome Journal, 15, 2020, 100069.
George Solomon, Rudolf Moos: Emotions, immunity, and disease. A speculative theoretical integration. Archives of General Psychiatry, 11/6, 1964, 657–674.
Ewen Callaway: Fearful memories haunt mouse descendants. Nature, 2013, nature.com/articles/nature.2013.14272.
Entdecke dich selbst. Psychologie Heute compact Nr. 68 zum Thema Identität, zu beziehen über unsere Website: psychologie-heute.de/compact.