„Mehr psychische Erkrankungen, weniger Geld.“

Die psychische Gesundheit in Deutschland verschlechtert sich. Für ihre Erforschung wird jedoch weniger ausgegeben; das stört Andreas Meyer-Lindenberg.

Der Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut,  Andreas Meyer-Lindenberg, ist Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim
Andreas Meyer-Lindenberg ist Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Die Kosten, die dem Gesundheitswesen unmittelbar aufgrund psychischer Erkrankungen entstehen, beliefen sich im Jahr 2020 in Deutschland auf rund 56,4 Milliarden Euro. Sie sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen: Im Jahr 2015 waren es noch 42,7 Milliarden. Psychische Erkrankungen verursachen 13 Prozent der gesamten Krankheitskosten, nur die Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems erzeugen mehr.

Hier besteht also langfristig erheblicher Bedarf an „translationaler“ Forschung, das meint Forschung, die in neue Therapien und Präventionsansätze mündet. Der Start des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) im Jahr 2023 war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. 27 Forschungseinrichtungen an sechs Standorten in Deutschland forschen hier an neuen Methoden zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung psychischer Erkrankungen. Dank neuer Methoden – etwa in der Charakterisierung von Umweltfaktoren, sozialen Interaktionen, Neurobiologie, Genetik und Bildgebung – sowie durch neue Auswertungstechniken mithilfe künst­licher Intelligenz kann die Komplexität psychischer Erkrankungen wissenschaftlich zunehmend adäquat abgebildet werden.

Wenn die Therapieansätze präzise auf die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten zugeschnitten werden, wenn sie deren individuelle biologische, psychische und soziale Rahmenbedingungen berücksichtigen und wenn die Behandlungsansätze zudem passgenau in die Lebenswelten der Betroffenen integriert werden, dann wird sich die Wirksamkeit von Therapien erheblich verbessern. Dafür benötigt man geeignete Strukturen und muss die besten Köpfe gewinnen. Man benötigt aber auch entsprechende Mittel.

Ein erhebliches Missverhältnis

Die wichtigsten Förderer für die Erforschung psychischer Erkrankungen sind in Deutschland das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungs­gemeinschaft (DFG) und der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Addiert man die Ausgaben dieser Einrichtungen, liegt die Förderung für die Erforschung psychischer Erkrankungen insgesamt seit 2016 durchschnittlich bei rund 75,2 Millionen Euro pro Jahr. Dies entspricht in etwa 0,06 Prozent der Gesamtausgaben für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung in Deutschland.

Trotz Anzeichen dafür, dass sich die psychische Gesundheit der Menschen in Deutschland in den letzten Jahren verschlechtert hat, wird damit eher weniger für die Erforschung psychischer Gesundheit ausgegeben. Im Jahr 2020 betrug der Anteil der Psychiatrieforschung an den Gesamtausgaben für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung noch 0,09 Prozent. Das ist auch im internationalen Vergleich viel zu wenig. Nach einer Untersuchung gab Frankreich zwei Prozent seines Gesundheitsforschungsbudgets für psychische Störungen aus, Großbritannien sieben Prozent und die Vereinigten Staaten sogar 16 Prozent (5,2 Milliarden Dollar).

Dieses erhebliche Missverhältnis muss im Sinne der psychisch Kranken deutlich kleiner werden.

Andreas Meyer-Lindenberg ist Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut. Er ist Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim.

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Quellen

Bundes GD (2023) Krankheitskosten in Mio. € für Deutschland 2015-2020. In:

Chevreul K, Mcdaid D, Farmer CM et al. (2012) Public and nonprofit funding for research on mental disorders in France, the United Kingdom, and the United States. Journal of Clinical Psychiatry

Meyer-Lindenberg A, Falkai P, Fallgatter AJ et al. (2023) The future German Center for Mental Health (Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit): a model for the co-creation of a national translational research structure. Nature Mental Health 1:153-156

Robert Koch-Institut (2023) Bericht Quartal 3/2023: Aktuelle Ergebnisse zur Entwicklung der psychischen Gesundheit der erwachsenen Bevölkerung bei hochfrequenter Beobachtung. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/MHS/Quartalsberichte/MHS-Quartalsbericht.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff am 10.11.2023)

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 5/2025: Ziele loslassen
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