Dass Gesellschaften freier wurden und alternative Lebensstile sichtbarer, dass das klassische Familienbild durch andere Modelle ergänzt wurde, aber auch dass Menschen aus muslimischen Kulturen ihre Religion sichtbar mitgebracht haben: Darauf ist der Rechtspopulismus eine Reaktion – europaweit. Parteien dieses Spektrums lehnen diese Veränderungen ab.
Wir sehen das in Studien: Menschen, die beispielsweise die AfD, die FPÖ in Österreich, den Rassemblement National in Frankreich oder anderswo rechtspopulistische Parteien wählen, haben zwei Merkmale, die ihre Wahlentscheidungen maßgeblich bestimmen. Das eine: Sie haben eine sehr negative Einstellung zu Migration. Das andere: Die Parteien stehen für eine große Unzufriedenheit mit dem Zustand der Demokratie – sowie für ein anderes Demokratiemodell. Ihre Wähler haben selbst populistische, teils auch autoritäre Einstellungen.
Hochholen, was schon da war
Die rechtspopulistischen Parteien reden den Menschen diese Einstellungen aber nicht ein: Wir sprechen in der Forschung davon, dass sie aktiviert werden. Sie waren also schon da. Aber erst, wenn Menschen ökonomische und politische Krisen wahrnehmen, wählen sie diese Parteien auch. Viele der Menschen, die solche Einstellungen haben, haben vorher demokratische Parteien gewählt – oder gar nicht.
Wer in Europa rechtspopulistische Parteien unterstützt, fühlt sich als Teil einer schweigenden Mehrheit, also der Gruppe, die Populistinnen und Populisten als das „wahre Volk“ adressieren. Gleichzeitig fühlen die Menschen sich oft bedroht, haben die Wahrnehmung: Da draußen sind Leute, die uns alles wegnehmen wollen.
Da spielt auch die Globalisierung mit hinein, also die internationale Vernetzung und Arbeitsteilung über Ländergrenzen hinweg. Sie hat ökonomische Auswirkungen: Bestimmte Qualifikationen in der Industrie werden nicht mehr nachgefragt, weil Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden und dort billiger produziert werden können.
Kompliziert und gefühlt nicht transparent
Wir finden Globalisierung auch auf der politischen Ebene, beispielsweise in der Europäischen Union, wo sich Staaten vernetzen. Die EU ist sowohl Treiber als auch eine Antwort auf Globalisierungsprozesse. Aber gleichzeitig sind ihre Verfahren oft kompliziert und wenig transparent. Das führt bei Bürgerinnen und Bürgern zu der Wahrnehmung, dass die Politik nicht mehr in der Lage ist, die großen Probleme, wie Flucht, Klima oder Migration, zu lösen. Die Populistinnen verkaufen das dann nicht als strukturelles Problem, sondern als Schuld der Eliten selbst. Und das kommt bei vielen an.
Die Unzufriedenheit, das Misstrauen in die Politik und gegen die Eliten, also „die da oben“, ist ein wesentliches gemeinsames Merkmal rechtspopulistischer Parteien in Europa. Nach dem Motto: „Die Politiker machen nicht, was wir wollen.“ Dazu kommt: Es gibt kaum Rechtspopulistinnen oder -populisten, die proeuropäisch sind, die meisten sind stark gegen die EU. Dabei sind die ökonomischen Gründe inzwischen sekundär. Egal, ob es gegen die EU oder die „Feinde im eigenen Land geht“, es geht vor allem darum zu sagen: „Unsere nationale Souveränität und Identität werden von diesen gesichtslosen Eliten und Technokraten zerstört.“ Hierbei spielen oft auch antisemitische Verschwörungstheorien eine Rolle, in denen Juden als böswillige, übermächtige Strippenzieher beschrieben werden. Besonders ausgeprägt ist das in einigen mittelosteuropäischen Ländern und wird etwa von der ungarischen Regierungspartei Fidesz betrieben.
Wir wissen, was nicht funktioniert
Was gegen den Rechtspopulismus helfen könnte, lässt sich aus der Forschung nicht so einfach schlussfolgern – wohl aber, welche Strategien nicht funktionieren. Beim Thema Migration gibt es unter den anderen Parteien immer wieder den Versuch, den Wählerinnen und Wählern der rechtspopulistischen Parteien ein Stück weit entgegenzukommen, also beispielsweise ähnlich über Migrantinnen und Migranten zu sprechen. Da zeigt jüngere Forschung eindeutig, dass gerade die konservativen Parteien mit einer „halben“ rechtspopulistischen Strategien keine Wähler zurückgewinnen. Im Gegenteil: Das spielt eher den Rechtspopulistinnen und -populisten in die Hände.
Ich bin skeptisch, ob der Rechtspopulismus in Europa kurzfristig verschwinden wird. Ich glaube, dass die Rechtspopulistinnen und -populisten sich in den Parteiensystemen weiter etablieren und dass ihre Themen so schnell nicht vergehen werden, sondern im Diskurs bleiben. Und ich vermute auch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis man auch in Frankreich, Österreich oder in Deutschland auf Länderebene die Rechtspopulisten in irgendeiner Form an der Regierung sieht.
Aber wir sehen auch, gerade in Deutschland, dass der Erfolg solcher Parteien Menschen dafür mobilisiert, die Demokratie zu verteidigen. Wir wissen noch nicht, ob die Demonstrationen gegen die AfD dazu führen werden, dass diese Partei in den anstehenden Wahlen nicht weiter erstarkt. Aber immerhin eröffnet sich eine Chance dafür.
Zur Person. Marcel Lewandowsky ist Politikwissenschaftler und Privatdozent an der Bundeswehr-Universität Hamburg. Er forscht zu Demokratie, Populismus und Parteien. Im Mai erschien sein Sachbuch „Was Populisten wollen“ bei Kiepenheuer und Witsch