Lustige TikTok-Videos, die Suche bei Google für das nächste Referat, eine Nachricht per WhatsApp an die Freunde – digitale Medien gehören zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Einerseits können sich Heranwachsende vernetzen trotz räumlicher Distanz. Andererseits erfordern digitale Medien eine gewisse Medienkompetenz. Und: sie bergen potenzielle Gefahren.
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind seelisch belastet. Diagnosen wie Depression, ADHS, Essstörung nehmen zu – auch schon vor Ausbruch der Coronapandemie. Welche Rolle spielt dabei die Mediennutzung? Diese Frage wird „Psychologie Heute“-Chefredakteurin Dorothea Siegle mit Expertin Dr. Anna Felnhofer am 30. November 2022 ab 19 Uhr diskutieren. Das Online-Event „Die Krise der Kinder und Jugendlichen“ gehört zur Reihe Psychologie Heute live! Die digitale Veranstaltung richtet sich an alle Interessierten. Die Anmeldung ist kostenlos.
Doppelt so viele Depressionen wie vor zehn Jahren
Wie stark psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren angestiegen sind, zeigen beispielsweise Zahlen der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), eine der größten Krankenkassen in Deutschland. Für die Analyse wurden Daten von rund 200.000 jungen Versicherten hergenommen. Demnach wurde bei Versicherten zwischen 13 und 18 Jahren im Jahr 2020 fast doppelt so häufig eine Depression diagnostiziert, als es noch 2010 der Fall war. Ein weiteres Beispiel: Essstörungen verzeichneten ein Plus von 37,5 Prozent.
Wenn es um Behandlungsangebote oder Tipps für Eltern geht, kann das Internet hilfreich sein. Jedoch sind mit Pro-Ana und Pro-Mia online auch problematische Netzwerke zu finden. Auf diesen Websites werden Anorexie beziehungsweise Bulimie verherrlicht. Betroffene erleben dort ein starkes Wir-Gefühl. Gleichzeitig ziehen strenge Regeln und Challenges sie noch stärker in die Essstörung.
In dem Buch Problematische Mediennutzung im Kindes- und Jugendalter, bei dem Anna Felnhofer Mitautorin ist, lautet ein Tipp für Eltern: Ruhe bewahren und Informationen sammeln. Mit zu viel Druck würden sie eher das Gegenteil erreichen und möglicherweise den Kontakt zu ihrem Kind verlieren.
Was macht mein Kind im Internet?
Mobile Endgeräte sind für junge Menschen jederzeit verfügbar und liegen oft nur maximal eine Armlänge entfernt. Allgemein gelte, dass „nicht die Technologie per se problematisch ist, sondern die Art und Weise wie sie genutzt wird“, schreiben Felnhofer und die Co-Autoren in Problematische Mediennutzung im Kindes- und Jugendalter. Aber was ist ein problematischer Medienkonsum? Und wissen Eltern eigentlich, was ihr Kind am Smartphone macht?
Die aktuelle Studie Cyberlife IV des Bündnisses gegen Cybermobbing und der Techniker Krankenkasse legt nahe, dass junge Menschen in Deutschland häufiger Online-Dienste nutzen, als es ihre Eltern vermuten. Die abgegebenen Einschätzungen gingen unter anderem bei Social Media besonders stark auseinander.
91 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen sagten, dass sie mindestens einmal pro Woche Videoplattformen wie YouTube oder TikTok nutzten. Unter den Eltern vermuteten 82 Prozent eine ähnliche Häufigkeit. Fotobasierte Netzwerke wie Instagram oder Snapchat verwenden 71 Prozent der jungen Befragten mindestens wöchentlich. Lediglich die Hälfte der Eltern ging von derselben Häufigkeit aus.
Jedes sechste Schulkind erfährt Cybermobbing
Social-Media-Plattformen befriedigen menschliche Bedürfnisse auf eine zugängliche und stets verfügbare Art und Weise. Social Media kann sich ebenso auf den Selbstwert auswirken. So wird es im Buch Selbstwert bei Kindern und Jugendlichen erläutert, bei dem Anna Felnhofer ebenfalls Mitautorin ist. Exemplarisch kann eine eher passive Nutzung von Sozialen Netzwerken mit „einem niedrigeren allgemeinen Wohlbefinden und einem höheren Risiko für Depressionen“ zusammenhängen.
Welche weitere Gefahr online lauert, zeigt sich beim Blick auf das Thema Cybermobbing. Junge Menschen werden selbst gezielt attackiert. Die Täter sind meist anonym. Mobbing spielt sich schon lange nicht mehr nur auf dem Schulhof ab. Cybermobbing (auch Cyberbullying genannt) durchdringt die bisher geschützten Wände des Kinderzimmers. Jeder sechste Schüler beziehungsweise jede sechste Schülerin war bereits Opfer von Cybermobbing. Je umfangreicher die tägliche Internutzung ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, attackiert zu werden. So lautet die Schlussfolgerung der Cyberlife IV Studie.
Mögliche Warnzeichen dafür, dass das eigene Kind von Cybermobbing betroffen ist, können selbstverletzendes Verhalten, Schlafprobleme oder Angst vor der Schule sein. Auf weitere mögliche Warnzeichen wird Anna Felnhofer auch im digitalen Gespräch „Die Krise der Jugendlichen“ eingehen.
Mehr über die Referentin Dr. Anna Felnhofer
Felnhofer ist Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Wissenschaftlerin. Sie arbeitet an der Medizinischen Universität (MedUni) in Wien. Sie ist Teil der Klinischen Core Unit (KCU) für Pädiatrische Psychosomatik der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Ethik in der Pädiatrie sowie der Einsatz neuer Medien in der Pädiatrie, insbesondere Virtuelle Realitäten (VR). In dem Zusammenhang hat Felnhofer unter anderem ein Virtuelles Realitäts-Labor (PedVR-Lab) gegründet.
In den vergangenen Jahren hat sie neben wissenschaftlichen Publikationen in Fachzeitschriften auch drei Sachbücher herausgegeben:
Therapie-Tools: Problematische Mediennutzung im Kindes- und Jugendalter, Beltz
Therapie-Tools: Selbstwert bei Kindern und Jugendlichen, Beltz
Ethik in der Psychologie, UTB
Anmeldung zum Online-Event am 30. November
Am Mittwoch, 30. November 2022, wird Anna Felnhofer ihre Expertise und Erkenntnisse aus jahrelanger Forschung mit Ihnen teilen. Mit „Psychologie Heute“-Chefredakteurin Dorothea Siegle spricht sie darüber, warum immer mehr junge Menschen erkranken und welche Rolle der Medienkonsum dabei spielt.
Das Psychologie Heute live!-Event startet ab 19 Uhr auf der Plattform Zoom und richtet sich an alle Interessierten. Während der Veranstaltung können Sie Ihre Fragen direkt in den Chat stellen.
Hier können Sie sich kostenlos anmelden.
Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.
Quellen:
Anna Felnhofer u. a.: Therapie-Tools: Problematische Mediennutzung im Kindes- und Jugendalter. Beltz, Weinheim 2020
Anna Felnhofer u. a.: Therapie-Tools: Selbstwert bei Kindern und Jugendlichen. Beltz, Weinheim 2022
Bündnis gegen Cybermobbing e. V., Techniker Krankenkasse: Cyberlife IV Studie: Spannungsfeld zwischen Faszination und Gefahr. Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern. Karlsruhe 2022
Kaufmännische Krankenkasse: Angst und Anorexie als Folgen der Pandemie? Starke Zunahme psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Kkh.de, 29.03.2022, abgerufen am 9.10.2022