Herausforderung Corona

Drei Neuerscheinungen widmen sich den psychischen Auswirkungen der Coronapandemie.

Die Coronapandemie ist unter die Globalisierung gefallen wie unter ein Mikroskop. Noch nie wussten so viele Menschen so schnell, wie sich ein Virus ausbreitet, wie Staaten auf die Pandemie reagieren und welche Folgen das für die Zahl der Erkrankten und der Todesopfer hat. Es war die Stunde der Epidemiologen. Sie wurden in die Zentren der Macht gerufen und fanden Gehör. Andere Wissenschaftler mit Wissen über andere Gefahren kämpfen nach wie vor seit Jahren vergeblich um Aufmerksamkeit.

Das Buch COVID-19. Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche kommt aus der Schweiz. Sein Herausgeber Charles Benoy arbeitet als leitender Psychologe an der psychiatrischen Uniklinik Basel und ist in der kognitiven Verhaltenstherapie gut vernetzt. Er hat die Aufgabe auf viele Schultern verteilt und eine ganze Reihe von Kollegen – vor allem Verhaltenstherapeuten, aber auch Psychiater, Philosophen, Arbeitsmediziner und Spezialisten für Krankenpflege – gebeten, bis Mitte Mai ihre Gedanken zu Covid-19 aufzuschreiben.

Natürlich war da die Forschungslage noch sehr mager; es wird aus der Tagespresse zitiert, weidlich bekannte Aussagen über die Entstehung und Behandlung von traumatischen Ängsten werden wiederholt – die Grußworte von deutschen (Jens Spahn), schweizerischen und luxemburgischen Politikern sind nicht eben aufschlussreich. Aber Benoy hat kluge Leute inspiriert, die über den Tellerrand gucken und herausfinden wollen, was die aktuelle Pandemie sonst noch sagen könnte. Er geht auch auf Aspekte ein, die sonst oft zu kurz kommen, wie Arbeitsmedizin, Arbeitspsychologie und Psychohygiene für Pflegende.

Globalisierungskritik

Ebenfalls in dem Sammelband vertreten ist der Zürcher Philosoph Olivier Del Fabbro, der in seinem Geleitwort über die Macht der Mikroben nachdenkt und fragt, wo sich Corona als Globalisierungskritik lesen lässt, als Werkzeug, das Brüche im Gesundheitssystem sichtbar macht, etwa die Auslagerung der Produktion von Antibiotika nach China, das in der Krise seine Grenzen dichtmachte und die eigene Bevölkerung priorisiert.

Auch der Psychosozial-Verlag, sonst eher als Burg psychoanalytischen Denkens bekannt, gibt in Die Pandemie als psychologische Herausforderung einem prominenten Vertreter der kognitiven Verhaltenstherapie die Möglichkeit, „Ansätze für ein psychosoziales Krisenmanage­ment“ zu entwickeln. Der Autor Steven Taylor arbeitet als Professor für klinische Psychologie in Kanada und ist wie Benoy ein Spezialist für Angststörungen.

Der vermeintliche Nachteil, dass sein Buch kurz vor dem Ausbruch der Coronakrise geschrieben wurde, entpuppt sich für den Leser fast als Vorzug. Taylor hat sich intensiv in die Geschichte der Pandemien eingearbeitet und würzt seinen gut gegliederten Text mit Beispielen. So berichtet er etwa von der Spanischen Grippe mit ihrer extrem hohen Sterblichkeit: Junge Menschen, die morgens die ersten Symptome zeigten, waren oft am Abend schon tot. Im kanadischen Winter überlebte eine Achtjährige als einziges Mitglied ihrer Familie; es dauerte Wochen, bis sie gefunden wurde, in der Zwischenzeit hatten die Schlittenhunde die Leichen ihrer Eltern gefressen.

Konstruktion von „Schuldigen

Bei SARS (schweres akutes respiratorisches Syndrom), dessen Erreger Covid-19 ähnlich ist, werden die psychischen Folgeschäden als gravierender eingeschätzt als die organischen. Neben einer Untersuchung der redundant erscheinenden Frage, ob Krankheitsangst ein Persönlichkeitszug (trait) oder eine situative Reaktion ist, geht Taylor erfreulich weit über den engeren therapeutischen Rahmen hinaus.

Er befasst sich ausführlich mit den Verschwörungstheorien im Gesundheitswesen im Allgemeinen und dem „Verhaltens­immunsystem“, das in Bedrohungen aufgebaut wird, um sich durch die Konstruktion von „Schuldigen“ zu schützen. Die Folgen können verheerend sein. Plakate, auf denen deutsche „Coronakritiker“ Immunologen beschimpfen, wirken geradezu zivilisiert gegenüber einer Aktion im afrikanischen Womé, wo 2014 sieben Experten verschwanden, die über Ebola forschen wollten. Man fand sie später erschlagen in einem Abwassertank.

Taylor zitiert eine amerikanische Studie, die sehr deutlich macht, wie viel Arbeit noch geleistet werden muss, wenn im Umgang mit Gesundheitsproblemen funktionale Lösungen angestrebt werden. Zur Zeit der Spanischen Grippe, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, waren die Deutschen als Sündenbock gefragt. So wurde die deutsche Firma Bayer verdächtigt, Aspirin mit dem Influenzavirus zu präparieren, was durch eine eigene Studie entkräftet werden musste. Hartnäckig hielt sich auch eine nie belegte Anekdote von der deutschen Krankenschwester, die den Erreger in einem Krankenhaus verbreitete und deshalb hingerichtet wurde.

Nicht neu, aber hilfreich

37 Prozent der Befragten einer repräsentativen Stichprobe waren 2014 überzeugt, dass die Gesundheitsbehörde auf Druck der Pharmaindustrie wirksame Mittel gegen Krebs unterdrücke; 20 Prozent glauben, dass die Regierung Kinder immer noch impfen lassen wolle, obwohl sie wisse, dass Impfungen Autismus verursachten; 12 Prozent sind der Meinung, dass Trinkwasser nicht deshalb mit Fluorid angereichert wird, um Karies zu bekämpfen, sondern um schädliche Abfälle der chemischen Industrie loszuwerden.

Weder Bonoy noch Taylor sprechen direkt zu den Menschen, die in einer von Gesichtsmasken und Kontaktverboten geplagten Welt psychologische Hilfe suchen. Das bietet Gabriele Frohme, die als Psychotherapeutin in Wuppertal arbeitet und sich vor allem an dem eingängigen System der Transaktionsanalyse orientiert. Sie rät in ihrem Buch Corona. Wie Sie die psychischen Herausforderungen meistern, Gelassenheit und Ruhe zu entwickeln, zwischen dem zu unterscheiden, was verändert werden kann und was ertragen werden muss. Neu ist das eben nicht, aber das sind hilfreiche therapeutische Grundsätze ohnehin selten.

Charles Benoy (Hg.): COVID-19. Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche. Einschätzungen und Maßnahmen aus psychologischer Perspektive. Kohlhammer, Stuttgart 2020, 129 S., € 24,–

Steven Taylor: Die Pandemie als psychologische Herausforderung. Ansätze für ein psychosoziales Krisenmanagement. Psychosozial, Gießen 2020,185 S., € 19,90

Gabriele Frohme: Corona. Wie Sie die psychischen Heraus­forderungen meistern. Trias, Stuttgart 2020, 159 S., € 14,99

Artikel zum Thema
Gesundheit
Viele Covid-19 Patientinnen und Patienten kämpfen nach der Infektion mit neurologischen und psychischen Spätfolgen der Infektion.
Gesellschaft
Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt: Verschwörungsmentalität und Aberglauben spielen beim Umgang mit der Pandemie eine wichtige Rolle.
Die Gründung ihres Unternehmens "Radbonus" verlief für Nora Grazzini überraschend einfach. Doch als das Geld knapp wurde, kam die Angst.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2020: ​Toxische Beziehung
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft