Toleriert werden heißt eher, geduldet zu werden, als dass die Mehrheit einem Wertschätzung und Respekt entgegenbringt. Zu diesem Fazit kommen Psychologen in einem Forschungsüberblick, in dem sie die Schattenseiten der Toleranz diskutieren – und zwar aus Sicht derer, die toleriert werden, also der Minderheiten oder Andersdenkenden in Gesellschaften.
Sozialpsychologische Forschungen zeigen: Das Gefühl, nur toleriert, aber nicht respektiert zu werden, ist sehr verbreitet. Wer sich toleriert fühlt, steht unter Druck: Den Angehörigen anderer Kulturen oder Religionen ist bewusst, dass einige ihrer Lebensweisen abgelehnt und nur ertragen werden. Das verbrauche kognitive Ressourcen und bedrohe das Gefühl von Kontrolle und Vorhersagbarkeit, schreiben die Psychologen. Gleichzeitig verstärke es Gefühle der Skepsis und Unsicherheit.
So scheint Toleranz ein zwiespältiges Phänomen zu sein. Sie sei zentraler Bestandteil aller Demokratien, denn sie sei eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Diversität funktioniert, schreiben die Forscher. „Wir tolerieren das, wogegen wir auch Einwände haben können.“ In demokratischen Gesellschaften kommt es immer wieder zu Situationen, in denen die Mehrheit mit abweichenden Überzeugungen, anderen Religionen oder fremden Verhaltensweisen konfrontiert ist. Tolerant zu sein hält dann davon ab, die gefühlte Ablehnung unreflektiert in Handlungen umzusetzen. Insofern dient Toleranz als Barriere gegen offene Diskriminierung.
Doch diese Art von Duldung bedeutet eben noch lange nicht Akzeptanz oder gar Empathie. Toleranz kann laut den Autoren sogar signalisieren, dass man sich in einer Position moralischer Überlegenheit sieht.
Für diejenigen, die nur toleriert, aber nicht respektiert und wertgeschätzt werden, ist es schwer, ihre soziale Identität zu definieren und Selbstvertrauen zu entwickeln.
Maykel Verkuyten u.a.: The negative implications of being tolerated: Tolerance from the target’s perspective. Perspectives on Psychological Science, 2020. DOI: 10.1177/1745691619897974