Freiheit spielt eine zentrale Rolle in Luis Alegres Lob der Homosexualität. Das Buch beschreibt Homosexualität nicht nur als eine persönliche Vorliebe, sondern als eine Lebenshaltung, durch die Gesellschaften als Ganze zu größerer Freiheit gelangen können.
Das ist eine durch und durch politische Botschaft. Der Madrider Philosophieprofessor Alegre, selbst homosexuell, gilt denn auch als wichtige Stimme der spanischen Linken.
Der Titel seines Buches ist jedoch insofern irreführend, als Alegre nicht darauf abzielt, eine alte Norm – jene der Heterosexualität – durch eine neue, gleichgeschlechtliche zu ersetzen. Ihm geht es vielmehr darum, zu zeigen, dass es keiner moralischen Rechtfertigung bedarf, egal ob sich jemand auf der einen oder der anderen Seite des Spektrums von Hetero- und Homosexualität einordnet – oder irgendwo dazwischen.
Alegre zeigt, dass die unzweideutige Heterosexualität, die in unserer Kultur nach wie vor bestimmend ist, für viele zum seelischen Gefängnis werden kann – nicht weil an der Heterosexualität als sexueller Ausrichtung an sich etwas falsch wäre, sondern weil sie oft gebündelt mit einer ganzen Reihe von Stereotypen daherkommt, die bis ins Detail vorgeben, wie man zu sein habe. Viele Menschen verbrächten auf diese Weise ihr ganzes Leben damit, „eine Melodie zu spielen, die man nicht komponiert hat“, schreibt Alegre.
Von der Offenheit der LSBTTIQ*-Community lernen
Hier kommt die zentrale Behauptung des Autors ins Spiel: Homosexuelle stünden von jeher stärker außerhalb solcher Traditionen und Normen und seien deshalb auch stärker dazu gezwungen, auf die Frage nach ihrer Identität bessere, differenziertere Antworten zu finden. Sie seien in höherem Maße in der Lage, mit Widersprüchen umzugehen: Erhabenes und Dämonisches könne bei ihnen nebeneinander bestehen.
Als Beleg führt Alegre die Tatsache ins Feld, dass in der schwulen Szene neben der romantischen Liebe auch dem Abgründigen viel Raum gegeben werde. Dies zeige die „Vielfalt an Formaten, speziellen Reizen, Mottopartys oder bestimmten Profilen und Praktiken“, die die Szene präge.
Von der Offenheit und Verspieltheit der LSBTTIQ*-Community insgesamt können auch jene etwas lernen, die sich ihr nicht zugehörig fühlen: An dieser Grundthese des Buches ist zweifelsohne etwas dran. Durch empirisches Material jenseits der persönlichen Erfahrungen eines konkreten männlichen Homosexuellen untermauert wird sie indes nicht.
Im Wesentlichen handelt es sich hier um ein Manifest – mit all den Zuspitzungen, die diese Stilform mit sich bringt. Das mag der Grund sein, weshalb allzu oft holzschnittartig von „den“ Heterosexuellen und „den“ Homosexuellen die Rede ist, denen dann kategorisch bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Schade eigentlich, denn das ist genau das Klischeedenken, gegen das der Autor eigentlich vorgehen will.
Luis Alegre: Lob der Homosexualität. Aus dem Spanischen von Thomas Schultz. C. H. Beck, München 2019, 220 S., € 18,–