Schattenseiten der Religion

Im Buch „Himmel und Hölle“ fragen Psychotherapeut Burkhard Ciupka-Schön und Pfarrer Hartmut Becks, wie man religiöse Zwänge erkennen und bewältigen kann.

Nachdem der widerstandsstärkende Nutzen von Religiosität in den letzten Jahren vielfach empirisch bestätigt wurde, beleuchtet das Buch Himmel und Hölle die Schattenseiten der Religion. Die Vorstellung eines kontrollierenden und strafenden Richtergottes kann Menschen, die in streng religiösen Umgebungen aufwachsen, regelrecht krank machen. Das Besondere dieses Buches ist die Zusammenarbeit zwischen einem Psychotherapeuten und einem Pfarrer.

Da sie seit vielen Jahren miteinander arbeiten, wissen Burkhard Ciupka-Schön und Hartmut Becks, dass Menschen mit religiös-moralischen Zwängen sich meistens zunächst an Geistliche und Seelsorger wenden. Oft dauert es sehr lange – die Autoren rechnen im Schnitt mit etwa zehn Jahren –, bis der krankhafte Charakter einer Zwangsstörung (an)erkannt und professionelle psychologische Hilfe einbezogen wird.

Wie hängen religiöse Überzeugungen und Zwangsverhalten zusammen?

Hier bietet das Buch wichtige Aufklärung und weist auf kausale Zusammenhänge zwischen bestimmten religiösen Überzeugungen und Zwangsverhalten hin. An vielen anschaulichen Fallbeispielen wird verdeutlicht, wie Psychotherapie und Seelsorge sich in der Behandlung solcher spezifischer Störungen konstruktiv ergänzen können.

Ciupka-Schön ist Experte für Zwangserkrankungen und geht davon aus, dass in Deutschland etwa 120 000 Menschen unter religiös-moralischen Zwängen leiden. Leider stammen alle Fallbeispiele aus dem christlichen, meistens katholischen Milieu. Bleibt die Frage, ob sich das Gottes- und Menschenbild im traditionellen Islam in ähnlicher Weise negativ auf das Wohlbefinden von praktizierenden Muslimen auswirken kann.

Emotional negativ getönte Religiosität monokausal als Zwangsstörung zu betrachten greift zu kurz. Im Pietismus, einer konservativen Strömung im Protestantismus, wird dazu angeleitet, die Abhängigkeit von Gott als Glück wahrzunehmen. Viele fromme Menschen – nicht nur Christen – können gut (und ohne eine Zwangsstörung) damit leben.

Ungesunder Glaube

Ein weiteres Problem des Buches: Die Abschnitte aus psychotherapeutischer und seelsorglicher Feder wechseln häufig und sind manchmal nur am Schrifttyp zu unterscheiden. Die Gefahr einer Vermischung von Seelsorge und Therapie liegt auf der Hand und wird manche Leser ohne entsprechendes Vorwissen verwirren, weil lernpsychologische und theologische Zusammenhänge anders begründet werden.

Leider haben die Autoren auch versäumt, sich die Einsichten der Religionspsychologie zunutze zu machen. Faktoren wie Vorurteile, rigide Sexualmoral und mangelnde Offenheit gegenüber fremden Kulturen machen den Glauben ebenfalls eng und starr. Ungesunder Glaube ist nicht in allen Fällen auf Zwangsgedanken zurückzuführen. Auch die therapeutisch und seelsorglich anspruchsvolle Behandlung von Sektenaussteigern bleibt in diesem Buch unberücksichtigt, obwohl die Zahl von Betroffenen und deren Angehörigen groß ist.

Burkhard Ciupka-Schön, Hartmut Becks: Himmel und Hölle. Religiöse Zwänge erkennen und bewältigen. Patmos, Ostfildern 2018, 187 S., € 17,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2019: Vom Glück, Verantwortung zu teilen
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