Geheime Koalitionen

Warum glauben manche Menschen an Verschwörungstheorien? Die Gründe dafür liegen in der Evolution, meint der Psychologe Jan-Willem van Prooijen.

Illustration zeigt eine Frau mit Hut, aus dem zwei Augen schauen
Verschwörungstheorien gibt es auf der ganzen Welt. Warum sind sie so reizvoll? © Joni Majer

Der Widersacher ist nicht in Millionen fliehender Migranten zu suchen – der Feind arbeitet in vielerlei subtiler Form an bislang für die meisten Leute unbekannten Nahtstellen.“ Wovon ist hier die Rede? Der Satz stammt von der ehemaligen Tagesschausprecherin Eva Herman, die im Internet ihre Gedanken über Geflüchtete darlegt – eine Verschwörungstheorie. Die Theorie handelt von dem geheimen Plan eines nicht näher definierten Kollektivs – vermutlich Politiker und Regierungen –, das ahnungslose Menschen nach Europa schickt, um dieses auf diesem Weg zu zerstören.

Überzeugungen solcher Art gibt es seit jeher in allen Kulturen. In der Psychologie sei das Interesse an diesem Thema in den vergangenen zehn Jahren stark gewachsen, berichtet der niederländische Psychologe Jan-Willem van Prooijen. Wegen des irrationalen Charakters und der möglichen negativen Folgen von Verschwörungstheorien hält er es für wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Eine Reihe dieser Überzeugungen habe das Potenzial, gesundheitlichen Schaden anzurichten. Andere, nämlich jene, die für politische Zwecke eingesetzt würden, förderten Aggressionen, Rassismus und Diskriminierung.  

So kursierten in Südafrika seit langem diverse unwissenschaftliche Vorstellungen über das HI-Virus. Pharmaunternehmen hätten heimlich und gemeinschaftlich die Mär dieses Krankheitserregers in die Welt gesetzt, um überteuerte und schädliche Medikamente verkaufen zu können. Ein überzeugter Anhänger dieser und ähnlicher Theorien, der frühere südafrikanische Präsident Thabo Mbeki, zog daraus Konsequenzen: Er sorgte dafür, dass staatliche Behandlungsprogramme für Aidskranke nicht umgesetzt wurden. Und der US-Präsident Donald Trump nutzte Verschwörungstheorien in seiner Wahlkampfstrategie, etwa die, wonach der Klimawandel eine Erfindung „ausländischer Mächte“ sei, die die amerikanische Wirtschaft kaputtmachen wollten. Dies sei dazu angetan, Menschen davon abzuhalten, mehr auf umweltverträgliches Verhalten zu achten, meint van Prooijen. Er weist darauf hin, dass politische Verschwörungsüberzeugungen sowohl links- als auch rechtspopulistisch sein können.

Uralte Denkmuster

Aus Sicht des Psychologen entspringt der Glaube daran universalen psychologischen Mustern, die sich im Verlauf der Evolution entwickelt haben. Diese tragen wir alle in uns, aber nicht jeder neigt in gleichem Maß dazu, sie auch zu nutzen. Als Erstes nennt van Prooijen die Neigung, sich die Welt zu erklären und dafür Muster und Zusammenhänge zu suchen. Weil das mitunter ein schwieriges Unterfangen sei, könne es passieren, dass wir Zusammenhänge sehen, wo in Wirklichkeit keine sind. Menschen, die an Verschwörungsvorstellungen glauben, hielten oft unbewiesene Erklärungen für plausibel, wie etwa die Annahme, dass eine „übernatürliche Macht“ für die Entstehung der Menschheit verantwortlich sei. Oder wie in den Theorien zum HI-Virus: Dieses gelte nicht als Teil der Natur, sondern als menschengemacht.

Damit hänge ein weiteres Muster eng zusammen: die Suche nach verborgenen Motiven anderer Menschen. Ein ausgeprägtes Bedürfnis danach habe zur Folge, dass Zufälle nicht als Erklärung akzeptiert werden könnten und stattdessen Unterstellungen konstruiert würden: wie etwa die, dass es Pharmaunternehmen gewesen sein sollen, die das HI-Virus im Labor produziert hätten. Oder dass die aus Sicht der USA ausländischen Mächte den Klimawandel eigens erfunden hätten, um die USA zu täuschen. 

Diese beiden Mechanismen allein machten noch keine vollständige Verschwörungstheorie aus. Solche Vorstellungen hätten eine soziale Dimension und handelten von Gruppenkonflikten, erklärt van Prooijen: Nicht näher benannte feindliche Bündnisse werden darin beschrieben, die beispielsweise Regierungen, politische Parteien oder Unternehmen heimlich miteinander eingegangen seien. Es existierten auch Theorien, bei denen Minderheiten – angeblich mächtige Bündnisse – als Verschwörer gelten. Genau beschrieben würden sie aber nicht, nur angedeutet. Auch hier gibt es einen evolutionären Hintergrund: In der frühen Menschheitsgeschichte konnte es überlebenswichtig sein zu wissen, ob sich Feinde gegen die eigene Gruppe zusammengeschlossen hatten.

Misstrauisch und ängstlich

Damit Menschen an Verschwörungstheorien glauben, müssten aber zu den evolutionären Mustern spezielle Persönlichkeitsmerkmale hinzukommen, erläutern die US-Psychologen Joshua Hart und Molly Graether. Die beiden Forscher schließen aus zwei Studien, dass es sich um Eigenschaften handelt, die unter dem Begriff „Schizotypie“ subsummiert werden: starkes Misstrauen und soziale Angst sowie die Neigung zu verzerrtem Wahrnehmen. Auch glaubten die Anhänger häufig, die Welt sei prinzipiell sehr gefährlich. Und oft schätzten sie sinnlose Sachverhalte wegen ihrer Neigung zu verzerrtem Denken als bedeutsam ein. 

Verschwörungstheoretiker genießen den Ruf, hartnäckig an ihren Überzeugungen festzuhalten. Doch der Psychologe van Prooijen zitiert Forschungen, wonach Teilnehmer psychologischer Experimente, die zu rationalem Denken angeregt wurden, sich von einer solchen Vorstellung abbringen ließen.

Quellen

Jan-Willem van Prooijen, Karen M. Douglas: Belief in conspiracy theories: Basic principles of an emerging research domain. European Journal of Social Psychology, 48/7, 2018. DOI: 10.1002/ejsp.2530

Jan-Willem van Prooijen, Mark van Vugt: Conspiracy theories: Evolved functions and psychological mechanisms. Perspectives on Psychological Science, 13/6, 2018. DOI: 10.1177/1745691618774270

Joshua Hart, Molly Graether: Something's going on here: Psychological predictors of belief in conspiracy theories. Journal of Individual Differences, 2018. DOI: 10.1027/1614-0001/a000268

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2019: Zwischen Liebe und Pflichtgefühl
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