Wer sich nach Enkelkindern sehnt, hat schon eigene Kinder. Woher kommt der Wunsch nach den Enkeln?
Dorry: Menschen haben ein Grundbedürfnis nach Generativität. Eigene Kinder − aber auch Enkelkinder − helfen, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Menschen, die Enkelkinder haben, berichten oft, dass der Kontakt zu ihnen als sinnstiftend und erfüllend erlebt wird. Es überrascht also nicht, dass Menschen sich Enkelkinder wünschen, allerdings gibt es einen entscheidenden psychologischen Unterschied zur Elternschaft: Wir haben keinen Einfluss darauf, ob wir Großeltern werden. Dies hängt allein von den erwachsenen Kindern ab.
Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter Sehnsucht?
Wiese: Der Psychologe Paul Baltes beschäftigte sich als einer der Ersten mit der Psychologie der Sehnsucht. Auf seine Theorie beziehen wir uns. Darin wird Sehnsucht als eine persönliche Utopie des eigenen Lebens beschrieben, in der sich in besonderer Weise die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verknüpfen. Die der Sehnsucht innewohnende Vorstellung eines vollkommenen und letztlich unerreichbar perfekten Lebens wird von ambivalenten Gefühlen begleitet.
Und das, worauf sich eine Sehnsucht bezieht, hat für Menschen einen symbolischen, über konkrete Ereignisse oder Errungenschaften hinausgehenden Wert. Die geschilderten Merkmale lassen sich sehr gut auf die Sehnsucht nach Großelternschaft anwenden.
Was haben Sie in Ihrer Studie zur Sehnsucht nach Großelternschaft herausgefunden?
Dorry: Es zeigte sich: Je ausgeprägter die Sehnsucht, desto unzufriedener waren die Befragten mit ihrem Leben. Wir haben 477 Personen im Alter von 40 bis 81 Jahren befragt, die mindestens ein erwachsenes Kind hatten. Die allermeisten lebten in einer festen Beziehung.
War denn bei allen Befragten ein negativer Zusammenhang zwischen der Sehnsucht nach Großelternschaft und der eigenen Lebenszufriedenheit festzustellen?
Wiese: Es gab Personen, bei denen dies nicht so war. Bei jenen, die den eigenen Partner, die eigene Partnerin hinsichtlich dieser Sehnsucht als verständnisvoll erlebten, zeigte sich kein Zusammenhang zur Lebenszufriedenheit.
Außerdem kamen optimistische Personen mit der Sehnsucht nach Großelternschaft besser zurecht. In diesem speziellen Fall scheint eine Zuversicht, die unabhängig vom eigenen Zutun ist, gar nicht schlecht zu sein. Meistens ist es ja vorteilhaft, wenn man auf seine eigene Fähigkeit vertraut, bestimmte Ziele erreichen zu können. Aber die Großelternschaft ist eben etwas, auf das wir bestenfalls hoffen dürfen.
Warum wollen manche Menschen unbedingt Großeltern werden und andere nicht?
Dorry: Das haben wir mit dieser Studie nicht untersucht. Wir gehen aber in unserer aktuellen Forschung der Frage nach, ob Personen, die im Rückblick auf die eigene Elternschaft Dinge bereuen, eine besonders große Sehnsucht nach Enkelkindern haben. Möglicherweise ist ein sehr starkes Sehnen nach Enkelkindern in Teilen Ausdruck des Wunsches, frühere Versäumnisse wiedergutzumachen.
Jasmin Dorry und Bettina S. Wiese sind Psychologinnen und forschen an der RWTH Aachen.
Quelle
Jasmin Dorry u.a.: Longing for grandparenthood: Its association with life satisfaction in late middle adulthood. Psychology and Aging. DOI: 10.1037/pag0000723