Jenseits der Zweisamkeit

Psychologie nach Zahlen: „Die sind oberflächlich gebunden!“ Fünf Vorurteile gegen Menschen, die nicht monogam leben – und was die Forschung dazu sagt

Die Illustration zeigt ein Mann mit zwei Frauen, die alle nackt und glücklich sind und sich zu einer Herzform verschlungen haben
Eröffnet man die Beziehung über Zweisamkeit hinaus, sieht man sich Vorurteilen ausgesetzt – lebt aber erfüllter. © Till Hafenbrak für Psychologie Heute

Romantische oder gar sexuelle Beziehungen mit mehr als einem anderen Menschen genießen nicht den besten Ruf. Dabei hat oder hatte ein Fünftel der nordamerikanischen Bevölkerung schon solch ein unkonventionelles Verhältnis. Da gibt es die Polyamorie, bei der eine Person emotionale oder sexuelle Bande zu mehreren anderen hat, manchmal leben die Beteiligten sogar zusammen. Daneben existieren offene Beziehungen. Bei denen sind sich die Beteiligten einig, dass sie auch mit anderen schlafen dürfen. Und schließlich ist Swinging eine mögliche Form, also gemeinsame sexuelle Abenteuer eines Paares mit anderen.

Menschen, die so leben, sollten gut überlegen, bevor sie das laut sagen – die meisten Mitmenschen haben keine hohe Meinung von denjenigen, die nicht nur eine Partnerin oder einen Partner zur gleichen Zeit haben. Die Psychologieprofessorin Amy Moors von der kalifornischen Chapman University hat diese Abneigung in mehreren Studien untersucht. Sie legte amerikanischen Frauen und Männern kurze Geschichten über glückliche Menschen vor, in denen beispielsweise auf ihre Hobbys eingegangen wurde. Die Porträtierten unterschieden sich nur in einem Detail: Entweder sie lebten monogam oder in einvernehmlichen nichtmonogamen Beziehungen.

Im zweiten Fall gaben die Befragten lauter negative Einschätzungen zu Protokoll. Sie vermuteten nichtmonogame Menschen in unbefriedigenden Beziehungen, hielten sie für schlechte Eltern und unterstellten ihnen, sie verbreiteten Geschlechtskrankheiten. Sie gingen sogar davon aus, dass die Nichtmonogamen säumige Steuerzahler seien und nicht verlässlich mit dem Hund spazieren gingen. Egal was gefragt wurde – die Menschen in festen Partnerschaften schnitten besser ab.

Aber haben die anderen ihr schlechtes Image wirklich verdient? Amy Moors stellte zusammen, was die Forschung über nichtmonogame Beziehungen herausgefunden hat, mit denen alle Beteiligten einverstanden sind. Sie konnte fünf Mythen widerlegen:

1 „Ein andersartiger Typ Mensch“

Zwei repräsentative US-Umfragen mit mehr als 8700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigen: Nichtmonogame unterscheiden sich von anderen nicht in Lebensalter, politischer Überzeugung, Religion, Ethnie, Bildung, Einkommen und der Gegend, in der sie leben. Sie sind mithin alt oder jung, links oder konservativ, weiß oder farbig, katholisch, atheistisch, buddhistisch oder etwas anderes. Einzige Ausnahme: Schwule, lesbische und bisexuelle Menschen sind oder waren dreimal so häufig in einer nichtmonogamen Beziehung.

Bei den Persönlichkeitseigenschaften gibt es erkennbare, aber nicht fundamentale Unterschiede. Nichtmonogame sind eher offen für neue Erfahrungen. Sie sind weniger gewissenhaft und halten sich nicht so streng an Normen wie andere.

2 „Wollen bloß ihre Beziehung retten“

In einer Umfrage berichteten 540 nordamerikanische Menschen, warum sie gegenwärtig in nichtmonogamen Beziehungen waren. Einige hielten klassische Beziehungen für zu traditionell oder zu eng. Andere hatten praktische Gründe, beispielsweise lebten sie in einer Fernbeziehung. Wieder andere hofften, sie oder ihre Partnerin, ihr Partner würden an der nichtmonogamen Beziehung wachsen. Manche wollten sexuelle Wünsche ausleben – aber keine einzige Person gab an, so die Beziehung reparieren zu wollen.

Allerdings wollten einige auf diesem Weg ihre Beziehung erhalten und ihre Partnerin oder ihren Partner nicht verlieren. Diejenigen, die planten, die eigene monogame Beziehung zu öffnen, oder dies bereits taten, empfanden die Qualität dieser Beziehung sogar normalerweise als hoch.

3 „Sind sich oberflächlich verbunden“

Tatsächlich fanden sich keine Unterschiede, als Moors und ihr Team gut 2100 Menschen nach der Liebe, der Verbindlichkeit und der Zufriedenheit in ihren monogamen oder nichtmonogamen Beziehungen fragten. Die Nichtmonogamen berichteten sogar von mehr Vertrauen, größerer sexueller Zufriedenheit und weniger Eifersucht. Weitere Studien bestätigten diese Befunde, sie konstatierten außerdem mehr Kommunikation und ein größeres Investment in diese Beziehungen.

Unklar ist, wie lange nichtmonogame Beziehungen halten. Einige Studien konstatierten genau wie bei monogamen eine durchschnittliche Dauer von zehn Jahren. Eine kam auf eine kürzere Haltbarkeit (sieben gegenüber siebzehn Jahren), eine andere auf eine längere (fünf gegenüber vier Jahren).

Unabhängig von der Dauer bieten nichtmonogame Beziehungen einige Vorteile: Bedürfnisse können besser befriedigt werden und die Intimität mit mehreren Partnerinnen oder Partnern fördert das persönliche Wachstum, so eine Untersuchung. Dazu kommt eine Möglichkeit, die sich nur Partnern in nichtmonogamen Beziehungen bietet: Sie können Freude über die anderen Beziehungen der oder des Geliebten empfinden. In Englischen hat das Phänomen sogar einen Namen: compersion, was etwa „Mitfreude“ bedeutet und manchmal „das Gegenteil von Eifersucht“ genannt wird.

4 „Haben riskanten Sex“

Zwar haben Nichtmonogame Sex mit mehr unterschiedlichen Partnerinnen oder Partnern – eine Befragung kam bei ihnen auf durchschnittlich gut sechs Sexualpartner im bisherigen Leben, gegenüber vier bei den Monogamen. Aber Chlamydien, Herpes und ähnliche auf sexuellem Weg übertragbare Infektionen werden bei ihnen genauso selten oder häufig diagnostiziert wie bei (vorgeblich) Monogamen. Vielen im Prinzip Monogamen wird wohl zum Verhängnis, dass sie sich Seitensprünge leisten und dabei seltener als Nichtmonogame Kondome oder ähnlichen Schutz verwenden.

5 „Keine guten Eltern“

Diese Behauptung wird von mindestens zwei Studien infrage gestellt. Eine verfolgte über 15 Jahre das Leben von 175 Eltern, die in Polyamorie lebten, und das ihrer Kinder. Die Eltern konstatierten zahlreiche Vorteile ihrer Lebensform. Es standen mehr Geld und mehr Zeit für die Kinder zur Verfügung, außerdem mehr mögliche Vorbilder. Die Kinder freuten sich über mehr Aufmerksamkeit und Rat von mehr Erwachsenen – frei nach dem angeblich afrikanischen Sprichwort „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“. In der zweiten Studie sahen die befragten Kinder nur einen Grund zur Klage: Wegen ihrer Familienverhältnisse und der über sie vorherrschenden Mythen wurden sie stigmatisiert und diskriminiert.

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Quelle

Amy C. Moors: Five misconceptions about consensually nonmonogamous relationships. Current Directions in Psychological Science, 32/5, 2023, 355–361

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2024: Glückliche Stunde gesucht
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