Mehr Verantwortung unter ungünstigen Umständen

Es tut gut und stärkt das Selbstwertgefühl, wenn einem im Job Verantwortung übertragen wird, solange die Umstände nicht zu stressig sind.

Im Stress werden wir anfälliger fürs Schwindeln, umso mehr, wenn wir viel Verantwortung haben. © Johner Images/Getty Images

Spornt eine Führungskraft die Mitarbeitenden dazu an, sich sozusagen selbst zu führen und überträgt ihnen damit Verantwortung und Vertrauen, steigt deren Arbeitszufriedenheit, Kreativität und Leistung. Diese Art der Führung, deren Vorteile in zahlreichen Studien belegt wurden, heißt empowering leadership. Offenbar kann aber Selbstermächtigung am Arbeitsplatz auch zu unethischem Verhalten führen. Die Wissenschaftler Tobias Dennerlein und Bradley Kirkman belegen in einer aktuellen Studie, dass Mitarbeitende womöglich häufiger lügen, wenn die vorgesetzte Person ihnen viel Verantwortung überträgt und sie gleichzeitig Stress erleben.

In dem Experiment sollten sich die 400 Teilnehmenden vorstellen, bei einem großen Unternehmen zu arbeiten. Der einen Hälfte wurde eine Führungskraft präsentiert, die Verantwortung überträgt und die Angestellten motiviert. Die andere Hälfte wurde von ihrer Chefin oder ihrem Chef nicht „empowert“. Neben dem Führungsstil wurde variiert, ob die Teilnehmenden von Stressfaktoren umgeben waren oder nicht. So war eine Gruppe ständig im Konflikt mit den Kolleginnen und Kollegen, erhielt widersprüchliche Aufgaben oder stand in ihrem Job vor großen bürokratischen Hürden. Die Aufgabe der Versuchsteilnehmenden war es dann, Anagramme zu lösen: Nur wenn mindestens drei der Wortpuzzle richtig enträtselt würden, könne das Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerb gewinnen – so lautete die Anweisung. Was die Teilnehmenden aber nicht wussten: Keines der Anagramme war tatsächlich lösbar.

Hohe Wahrscheinlichkeit, dass mehr gelogen wurde

Da die Antworten aber nicht direkt überprüft, sondern nur die eigenen Angaben über die Zahl der gelösten Anagramme berücksichtigt wurden, war Lügen möglich. Und genau das machte vor allem eine Gruppe der Teilnehmenden auch: Überraschenderweise waren es diejenigen mit der „empowernden“ Führungskraft. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus dieser Gruppe über die Anzahl der gelösten Anagramme log, war um ganze 75 Prozent höher als in der Vergleichsgruppe ohne „Empowerment“.

Wie die beiden Wissenschaftler erklären, logen die „empowerten“ Angestellten nur dann häufiger, wenn sie größerem Stress ausgesetzt waren. Offenbar können negative Umstände aus der Umwelt, wie Stress am Arbeitsplatz, positive Einflüsse, wie einen empowernden Führungsstil, unterminieren. Stress führt zu Erschöpfung und einer geringeren Selbstregulierungsfähigkeit. Befähigen Führungskräfte gestresste Mitarbeitende zu mehr Eigenverantwortung, stellen sie damit gleichzeitig mehr Anforderungen an ihre Selbstregulation: Angestellte müssen selbst ihre Zeit einteilen, Verantwortung übernehmen und sich dabei eben selbst regulieren.

Die Kombination von Empowerment und hohem Stress ist kognitiv also sehr anspruchsvoll. Um diese Anforderungen zu lösen, wenden sich Menschen schneller von ihrer Moral ab und verhalten sich unethisch, so die beiden Forscher: Die Konsequenzen der eigenen Handlungen werden nicht zu Ende gedacht oder schöngeredet, um mentale Ressourcen zu sparen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lügen so beispielsweise mit der Absicht, das eigene Unternehmen gut dastehen zu lassen. Sie verspüren den Druck, ihrem Unternehmen zu beweisen, dass sie die ihnen eingeräumte Autonomie auch verdienen.

Die beiden Wissenschaftler Dennerlein und Kirkman raten Führungskräften, das Arbeitsumfeld ihrer Mitarbeitenden im Blick zu behalten: Die Forschungsergebnisse zeigen, dass vor allem Stressfaktoren vermieden werden sollten. Unternehmen sollten darauf achten, dass die Angestellten ihre Aufgaben tatsächlich erfüllen können und nicht mit unlösbaren Problemen oder übermäßiger Bürokratie belastet werden. Und noch eine gute Nachricht: „Empowering“ kann unethisches Verhalten auch mindern. Denn wenn es nur wenige Stressfaktoren gab, logen die Studienteilnehmenden deutlich weniger, wenn sie „Empowerment“ anstelle eines anderen Führungsstils erlebten.

Tobias Dennerlein, Bradley Kirkman: The hidden dark side of empowering leadership: The moderating role of hindrance stressors in explaining when empowering employees can promote moral disengagement and unethical pro-organizational behavior. Journal of Applied Psychology, 107/12, 2022. DOI: 10.1037/apl0001013

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