Machen E-Mails müde oder munter?

Extravertierte und zugleich ambitionierte Menschen werden wieder fit. Eher Gesellige ermüden, wenn sie eine neue Mail bekommen.

Extravertierte Menschen haben im Berufsleben gewisse Vorteile, weil der Umgang mit vielen Menschen ihnen guttut und sie nicht ermüdet. Sind sie zugleich ambitioniert und legen sie Wert auf Leistung (agentic extraversion), sind sie besonders in Wissensberufen am richtigen Ort: Dann beflügeln sie laut einer kleinen Studie auch E-Mails, die Kolleginnen und Kollegen schicken, sie fühlten sich dadurch wieder frischer als vorher, um so mehr, wenn sie vor dem Erhalt der Mail müde waren. 

Allerdings gilt das wohl nicht für alle extravertierten Menschen, wie die Untersuchung zeigt: Die besonders Geselligen unter 54 Arbeitnehmenden aus verschiedenen Branchen, die Wert auf Zuwendung und Warmherzigkeit legten (affiliative extraversion), fühlten sich nach der Bearbeitung einer neu eingegangenen Mail deutlich erschöpfter als vorher.

Der Grund: Für diejenigen der Extravertierten, die Geselligkeit und Zuwendung brauchen, enthalten die E-Mails, die bei der Arbeit bei ihnen eintrudeln, offenbar keinerlei Belohnung, keinerlei Stimulierung. Sie sind eine Art Basiskommunikation, bieten also keine Anregung und Hinweise, die zu mehr Kommunikation herausfordern oder motivieren. Eher im Gegenteil: Rein arbeitsbezogene Mails lenken eher von der Art des Kontaktes ab, die gesellige Extravertierte sich wünschen. Für die geselligen Extravertierten boten Mails anscheinend einfach keine Aufregung, keine Belohnung, sie strengen nur an.

Möglichkeit, etwas zu tun

Dagegen empfänden die ambitionierten Extravertierten neue elektronische Post als Anforderung, als Möglichkeit, etwas zu tun und gefordert zu werden – gerade dann, wenn sie sich zuvor erschöpft gefühlt hatten. Auch die Introvertierteren unter den Befragten neu eintreffende E-Mails anregend und sie fühlten sich nach der Bearbeitung weniger erschöpft.

Wie die Autorin und die beiden Autoren schreiben, sei es im Arbeitsleben nicht sinnvoll, Extraversion an sich als „Energiequelle“ aufzufassen oder nutzen zu wollen und auch nicht davon auszugehen, dass Introvertierte grundsätzlich nur müder werden, wenn sie beruflich mit Menschen zu tun haben. Introvertierte könnten sich zum Beispiel dadurch wieder fit machen, dass sie versuchen, sich auf die Bedeutung und den Inhalt einer E-Mail konzentrieren – dabei geht es weniger um Kommunikation oder Geselligkeit. Das Persönlichkeitsmerkmal Introversion sei auch nicht einfach das Gegenteil von Extraversion, schreiben die Forscherin und die Forscher. 

Emma Russell u. a.: Tired of email? Examining the role of extraversion in building energy resources after dealing with work-email. European Journal of Word and Organizational Psychology, 2022. DOI: 10.1080/1359432X.2021.1958782

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