Arbeiten: Suchthaft oder gelassen

Selbständige und Führungskräfte arbeiten häufiger exzessiv und zwanghaft, ergab die erste große Studie zum Vorkommen von Arbeitssucht in Deutschland.

Selbständige und Führungskräfte werden offenbar leichter zu Workaholics als andere. Das zeigte die erste große Studie zur Häufigkeit der Arbeitssucht in Deutschland. Dafür befragten das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und die TU Braunschweig rund 8000 zufällig ausgewählte Erwerbstätige. Ergebnis: Knapp 10 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiten auf eine süchtige Weise, die ihnen dauerhaft nicht guttut. Psychische und gesundheitliche Probleme können die Folgen sein, das Spektrum reicht von Schmerzen, oder Schlafproblemen bis hin zu emotionaler Erschöpfung, Burnout, Depression. 

Regulierung wirkt der Entwicklung von Arbeitssucht entgegen

Offenbar, dies zeigten die Studieergebnisse, können die Kultur, die Hierarchien, die formellen Regeln einer Organisation oder eines Unternehmens suchthaftes Arbeiten fördern – oder auch hemmen. Weiterhin spiele offenbar die Betriebsgröße eine Rolle: Bei den Beschäftigten aus sehr kleinen Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitenden berichteten 12,3 Prozent davon, suchthaft zu arbeiten, bei den großen Firmen mit mehr als 250 nur 8,3 Prozent. Letzteres könnte auf die in größeren Firmen zumeist stärkere Regulierung zurückgeführt werden, vermuten die Forscherinnen und der Forscher. 

Denn es fand sich auch ein hoch signifikanten Zusammenhang mit dem Vorhandensein eines Betriebsrats: In Unternehmen mit Betriebsrat trat bei 8,7 Prozent der Befragten zwanghaftes und exzessives Arbeiten auf, in Betrieben ohne Betriebsrat waren es 11,9 Prozent. Betriebsvereinbarungen seien ein wichtiges Instrument der betrieblichen Regulierung, das exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken könne, schreiben die Wissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler. 

Bei der Betrachtung der Berufe selbst fanden sich nur zwei auffällige Zusammenhänge. So zeigte sich süchtiges Arbeiten sehr stark in Berufen der Landwirtschaft, Forst- und Tierwirtschaft sowie Gartenbau (19 Prozent), hingegen seien Erwerbstätige in den Bereichen Naturwissenschaft und Informationstechnologie am wenigsten davon betroffen (sechs Prozent).

Insgesamt ließen sich die mehr als 8000 befragten Erwerbstätigen in vier Gruppen unterteilen: Davon stellten die „gelassen Arbeitenden“ die größte Gruppe mit fast 55 Prozent. Exzessiv, aber nicht süchtig arbeiten laut dieser Erhebung 33 Prozent. Knapp zehn Prozent gehören zu den suchthaft Arbeitenden (exzessiv und zwanghaft) und nur 2,4 Prozent arbeiten zwanghaft, aber nicht exzessiv. Merkmale wie das Geschlecht, der Familienstatus oder die Bildung hatten geringere Einflüsse darauf, ob Personen zur Arbeitssucht neigten. Den Begriff „workaholic“ gibt es schon seit den 1970er Jahren.

Unter einer Arbeitssucht leiden Menschen, die gleichzeitig exzessiv, also sehr lange und besonders schnell arbeiten, und meist mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen, die das aber auch zwanghaft tun, also wenig Spaß daran haben, stets hart arbeiten, auch wenn es ihnen damit nicht gut geht, sich ungern frei nehmen und die in der Freizeit „Entzugserscheinungen“ bekommen, sie entwickeln Schuldgefühle oder können sich nicht entspannen. 

Beatrice van Berk u. a.: Wer hat nie richtig Feierabend? Eine Analyse zur Verbreitung von suchthaftem Arbeiten in Deutschland. Arbeit, 31/3, 2022. DOI: 10.1015/arbeit-2022-0015

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