Von einem guten Arbeitsklima und einem kooperativen Umgang unter Kollegen profitieren Mitarbeiter – dennoch können Unternehmen Mobbing und schädliches Verhalten einzelner gegenüber Kollegen nicht gänzlich ausschließen. Psychologen belegen jetzt in einer Studie, dass so genannte „sekundäre Psychopathie“ bei Betroffenen kontraproduktives Verhalten bei der Arbeit zur Folge hat. Betroffene neigen dazu, Kollegen respektlos zu behandeln, andere auszugrenzen und Konflikte zu erzeugen.
Die Psychologen wollten wissen, welche psychologischen Mechanismen Personen antreiben, die unter einer sekundären Psychopathie leiden. Sie gilt in der Psychologie als eine erworbene affektive Störung, und sie verlaufe anders als die bekanntere primäre Psychopathie: Betroffene fielen im Berufsleben oft nicht negativ auf, sondern seien im Gegenteil oft besonders erfolgreich. Sie verhielten sich kontrolliert, strategisch und sozial geschickt. Oft sei ihr Auftreten charmant und sie wirkten sehr intelligent. Sie neigten nicht zu Schuldgefühlen oder Angst und könnten sich deshalb gerade in kritischen Situationen hilfreich verhalten.
Enthemmt und negativ
Zentrales Merkmal der sekundären Psychopathie sei hingegen unkontrolliertes, enthemmtes Verhalten und Denken. Die Betroffenen litten unter einem hohen Maß an emotionaler Labilität (Neurotizismus) und neigten zu Schuldgefühlen. Sie könnten außerdem nicht gut planen oder sich langfristige Ziele setzen. Zudem empfänden Betroffene schnell Langeweile, fühlten sich also nicht gefordert und seien gleichzeitig davon getrieben, ihre emotionalen Bedürfnisse schnell und sofort zu befriedigen – dabei dächten sie nicht über mögliche schädliche Folgen ihres Verhaltens nach. Auch ihre Entscheidungen träfen sie selten überlegt, sondern impulsiv, ohne vorher Informationen zu sammeln und darüber nachzudenken. Alltägliche Anforderungen im Job erlebten sie als hinderlich dabei, sofort persönliche emotionale Befriedigung zu finden und da ihnen dies oft nicht gelinge, fühlten sie sich bedroht. Darüber hinaus seien sie generell oft von negativen Affekten geplagt und neigten zu Boshaftigkeit (ein Merkmal, das primäre und sekundäre Psychopathie gemeinsam haben). Diese Züge ihrer Persönlichkeit verbinden sich bei Menschen, die unter sekundärer Psychopathie leiden, zu einer ungünstigen Mischung, die bestimme, wie Betroffene ihren Arbeitsalltag bewerteten.
Die Forscher testeten ihre Hypothesen an 470 Befragten aus deutschen Unternehmen und Organisationen unterschiedlicher Branchen, etwa Industrie, Dienstleistung und Gesundheitswesen, ein Teil von ihnen in einer Führungsposition. Bei der Anfangserhebung testeten sie, inwieweit die Befragten von Verhaltensweisen der sekundären Psychopathie berichteten. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden anschließend an 4 Tagen zwei Mal täglich befragt, direkt nach der Arbeit und kurz vor dem Schlafengehen. Dabei sollten sie angeben, wie sie ihren Arbeitstag erlebt hatten, wie sie den Tag kognitiv einschätzten, welche Emotionen aufgetreten waren und wie sich die Befragten verhalten hatten.
Kann Achtsamkeit helfen?
Die negative Bewertung des Arbeitsalltags könnte aus Sicht der Forscher ein Schlüssel dazu sein, dass die Befragten ihr schädliches Verhalten aufgeben. Techniken für das Erlernen von Achtsamkeit, wie Meditation, Atemübungen oder Yoga, könnten zu einer freundlicheren und wohlwollenderen Einschätzung ihrer Arbeit verhelfen. Die Forscher räumen aber auch ein: Dies sei für sekundär psychopathische Menschen eine besondere Herausforderung eben wegen ihrer Impulsivität und ihren negativen Emotionen. Für bestimmte Berufe, etwa im Gesundheitswesen, wo Geduld, Wertschätzung, Empathie und Einfühlung wichtig seien oder im Management, wo es um förderliches und vorbildliches Verhalten gehe, seien sekundär psychopathische Menschen nur bedingt geeignet.
Miriam Schilbach u. a.: Why employee psychopathy leads to counterproductive workplace behaviours: an analysis of the underlying mechanism. Journal of Work and Organizational Psychology, 2020. DOI: 10.1080/1359432X.2020.1739650