Eigentlich hat Lea Haustein (Name geändert) ihren Job als Referentin bei einem großen Bildungsträger immer gern gemacht. Doch irgendwann fühlte sich die Diplompädagogin nur noch müde. Nicht von der Arbeit selbst, sondern von den vielen Umbrüchen im Unternehmen. Innerhalb eines Jahres gab es erst eine Fusion mit einem anderen Verband, mit neuen Chefs und Kollegen, dann einen Umzug in ein Gebäude am anderen Ende der Stadt und außerdem eine veränderte Aufgabenverteilung. Kurz darauf wurde das gerade bezogene Gebäude umgebaut. Nun arbeitet Haustein, die bisher ein Einzelbüro hatte, in einem Großraumbüro. Ihren Hund darf die 41-Jährige auch nicht mehr mitbringen.
Als einige Wochen später per Hausmitteilung angekündigt wurde, dass zeitnah umfangreiche Neuerungen der Computersysteme und entsprechende Schulungen anstünden, fühlte sich Haustein, als hätte jemand bei ihr den Stecker gezogen, „machtlos und resigniert“. Außerdem war sie wütend auf ihren Arbeitgeber, hatte kaum noch Lust, sich anzustrengen. Doch einen direkten Schuldigen fand sie auch nicht: Schließlich hatte man den Mitarbeitern erklärt, wie wichtig all die Veränderungsmaßnahmen seien, wenn man wettbewerbsfähig bleiben wolle. Dennoch war die Pädagogin unzufrieden: „Ich fühlte mich wie ein Spielball, der hin- und hergeworfen wird“, sagt Haustein. „Das kann doch kein Dauerzustand sein.“
Wir stecken mittendrin
Tatsächlich ist das Arbeitsleben vieler Menschen mittlerweile häufig von Wandel und Wechsel bestimmt. Das sieht man allein daran, dass seit einem Jahrzehnt der Umgang mit Veränderungsprozessen zu den meistdiskutierten Themen in Personalabteilungen, auf Fortbildungen für Führungskräfte und in der Arbeits- und Organisationspsychologie zählt. „Es wird viel von der flexiblen Arbeitswelt der Zukunft geredet. Doch wir stecken schon mittendrin“, sagt Michael Frese, Professor für Psychologie an der Leuphana-Universität Lüneburg und Experte für Innovationen und neue Arbeitsformen.
„Traditionelle Strukturen, in denen sichere und langfristige Beschäftigungsverhältnisse bei einem Arbeitgeber möglich waren, sind nicht mehr die Regel“, sagt Frese. Stattdessen gebe es immer mehr Projektstrukturen, Kurzzeitbeschäftigungen und Arbeitsplätze, in denen Aufgaben und Positionen immer mal wieder wechseln.
Das bekräftigt eine Langzeitstudie von Wirtschaftswissenschaftlern von der Universität Mannheim. Sie begleiteten 1259 Erwerbstätige über 20 Jahre und befragten sie immer wieder zu ihren Karrierewegen. Die Studie belegt, dass in den vergangenen beiden Dekaden nur noch 26 Prozent der Arbeitnehmer eine klassische Laufbahn innerhalb eines Unternehmens erlebten. Der Rest war bei verschiedenen Arbeitgebern nacheinander tätig, wechselte zwischen Teilzeit und Vollzeit, arbeitete selbständig oder fragmentiert – mal angestellt, mal freiberuflich.
Es ist also Dynamik in den Arbeitsmarkt gekommen und damit auch Veränderungen, Überraschungen und Hindernisse. Dass mittlerweile hinter jeder Ecke Wechsel lauert oder Change, wie man in Unternehmen meist sagt, hat laut Innovationsforscher Frese viele Ursachen: „Neben der Globalisierung und der Aufhebung von räumlich-zeitlichen Grenzen durchs Internet spielt auch wirtschaftlicher Druck eine Rolle. Er prägt Konzerne ebenso wie Non-Profit-Organisationen oder Kleinstbetriebe.“ Im Grunde, so Freses Fazit, betrifft uns das Thema Veränderung, solange wir arbeiten.
Die Schwarzer-Peter-Frage
Die Aussicht auf ständig neue Umstrukturierungen, neue Kollegen und Computerprogramme stimmt viele Menschen pessimistisch. Die Change-Fitness-Studie, eine Erhebung, die die Mutaree GmbH, eine auf Change-Prozesse spezialisierte Unternehmensberatung, jährlich in Auftrag gibt, zeigte bei den zuletzt ausgewerteten Ergebnissen etwa, dass heute nur noch 71 Prozent der befragten Mitarbeiter die Veränderungsvorhaben der Unternehmen mittragen. Vor einigen Jahren waren es noch 88 Prozent. Und eine Studie von Arbeitspsychologen der Universität Freiburg weist darauf hin, dass die Eingewöhnung in Großraumbüros vielen Menschen schwerfällt und sie dort unzufrieden bleiben.
Eine gewisse Resignation und Veränderungsmüdigkeit, wie sie auch Lea Haustein erlebt hat, scheint also verbreitet – auch im öffentlichen Dienst. Der Psychologieprofessor Theo Wehner von der ETH Zürich, Experte für Organisationsprozesse, hat in einer Studie 180 Schweizer Lehrpersonen dazu befragt, wie sie Reformen und Neuerungen im Schulsystem bewerten. 48 Prozent der Lehrer fühlten sich demnach überfordert und gaben an, dass die vielen Veränderungen nicht umsetzbar seien. Ein Drittel der Befragten fand die Reformen sogar sinnlos.
Wehner sieht in diesen Ergebnissen keine mangelnde Flexibilität aufseiten der Lehrer. „Man kann nicht einfach nur an den guten Willen der Mitarbeiter appellieren. Veränderung im Arbeitsbereich ist immer ein Organisationsprozess, in den Unternehmer die Mitarbeitenden angemessen einladen und einbeziehen müssen“, sagt Wehner.
Das alles führt zu einer Schwarzer-Peter-Frage, die das Thema oft begleitet: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass Veränderungen gelingen? Laut Organisationsentwickler Wehner ist hier zunächst immer das Unternehmen gefragt. Auf der anderen Seite betrifft die Flexibilisierung der Arbeitswelt jeden Einzelnen: Veränderung wird nicht nur am Arbeitsplatz oder im Joballtag an uns herangetragen, sondern zieht sich durch die gesamte persönliche Berufslaufbahn. Und für diese trägt man natürlich selbst die Verantwortung.
Ständiger Wandel
„Es ist deshalb ratsam, dass Beschäftigte versuchen, einen Weg im Umgang mit dem ständigen Wandel zu finden“, sagt Judith Volmer, Professorin für Arbeitspsychologie an der Universität Bamberg. Sie ist auf das Thema „Laufbahnentwicklung“ spezialisiert und erforscht unter anderem, welche Art der Karriereplanung heute Sinn ergibt – auch angesichts der Tatsache, dass sich kaum jemand mehr auf eine klassische Laufbahn innerhalb einer Firma verlassen kann.
In ihrer Arbeitsgruppe ist Volmer auf der Suche nach weiteren Kompetenzen, die uns helfen können, mit den immer neuen Anforderungen im Berufsleben umzugehen – ohne unter Druck zu geraten. „Verschiedene Fähigkeiten spielen eine Rolle: Offenheit für Neues, Proaktivität und eine gewisse Bereitschaft zur Mobilität“, sagt sie – wobei Mobilität nicht zwingend „Ortswechsel“ bedeuten müsse, sondern auch den regen Austausch mit Personen außerhalb der eigenen Firma beinhalte.
Außerdem beschäftigt sich Volmer mit dem Konzept der „laufbahnbezogenen Anpassungsfähigkeit“. Das von amerikanischen Forschern eingeführte und getestete Konstrukt besagt, dass Personen, die sich gut auf Veränderungen einstellen können und verinnerlicht haben, dass Neuorientierung eine immer wiederkehrende Aufgabe im Arbeitsleben ist, nicht nur erfolgreicher sind, sondern auch zufriedener mit ihrer Jobsituation. Es kann sich also auf jeden Fall lohnen, eine selbstverantwortliche Haltung und mehr psychologische Kompetenz im Umgang mit Veränderungen zu entwickeln. Wichtig dafür ist, zunächst einmal zu wissen, wie man selbst reagiert, wenn wieder mal ein Wandel ansteht.
Sich selbst kennenlernen
Jede Veränderung kostet Energie. „Deshalb ist es zunächst kein Wunder, dass Mitarbeiter bei der Ankündigung einer größeren Neuerung im Team mit Befürchtungen, Trauer oder Empörung reagieren“, sagt Axel Koch, Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning. Der Experte für individuelle Veränderungen hat ein kritisches Buch zum Thema geschrieben, in dem er Tipps gibt, wie Mitarbeiter mit Veränderungsprozessen umgehen können.
„Bevor man sich neu orientiert, braucht man Zeit für diese Trauer- und Verarbeitungsphase“, sagt Koch. Doch nach einigen Wochen – das weiß jeder, der im Team schon mal eine größere Veränderung mitgemacht hat – fangen einige an, sich zaghaft auf die Neuerungen einzustellen, während andere weiterhin verunsichert oder verärgert bleiben. Je nach Persönlichkeit gibt es Unterschiede im Umgang mit Neuem. „Zu wissen, wie man selbst in dieser Frage tickt, kann hilfreich sein“, sagt Koch. „Schließlich kann man dann reflektierter einschätzen, ob es lohnt, weiter an Traurigkeit und Wut festzuhalten oder zu versuchen, sich auch gegen die eigenen Vorlieben auf die Veränderung zuzubewegen.“
Wer wissen will, ob er eher ein „Bewahrer“ ist oder anstehende Neuerungen positiv sieht, dem geben Forschungsarbeiten von der Universität Jerusalem Orientierung: Der Arbeitswissenschaftler Shaul Oreg hat eine Skala entwickelt, mit der man den Widerstand gegenüber Veränderungen messen kann. Die „Bewahrer“, die mit Veränderungen Schwierigkeiten haben, sind vereinfacht gesagt eher rigide, haben oft feste Meinungen, lieben Routinen und reagieren ängstlich, wenn etwas Neues auf sie zukommt. Wenn man sich von dieser Beschreibung angesprochen fühlt, ist das aber kein Grund, sich selbst grundsätzlich verändern zu wollen, sofern das überhaupt geht. Das Zögern gegenüber dem Neuen habe auch eine Berechtigung, sagt Axel Koch. Wer allerdings merkt, dass er sehr abwehrend auf Veränderung reagiert, sollte nach einem konstruktiven Umgang suchen.
Kleine Schritte
Im Team heißt das: Die Bewahrerqualitäten einsetzen, indem man darauf hinweist, was am Bestehenden gut ist. Und für den persönlichen Veränderungsprozess gilt: „Sich nicht überfordern, eher kleine Schritte gehen.“ Während sich veränderungsfreudige Menschen zu fünf Fortbildungen anmelden, kann dem Bewahrertyp eine einzige reichen. Oder: Man übernimmt, wenn möglich, erst mal nur eine einzige neue Aufgabe im Team, die aber ohne Widerstand. „Wem das zu wenig erscheint, der sollte sich vor Augen führen, wie schwierig Veränderung generell ist“, erklärt Koch. „Jeder, der sich das Rauchen abgewöhnt oder der die Ernährung umstellt, weiß, dass man auch kleine Änderungen lange einüben muss.“
Doch das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen im Umgang mit Veränderung ist natürlich nicht alles. Will man gezielt Kompetenzen aufbauen, fällt schnell das Stichwort „Eigeninitiative“: Proaktiv zu handeln, umsichtig zu gucken, was in einer Situation erfolgversprechend ist, die eigenen Talente unaufgefordert einbringen – das sind Strategien, die laut Arbeitspsychologe Michael Frese gerade im Umgang mit Veränderungen Gold wert sind. „Viele Menschen verhalten sich zu passiv, lassen Neuerungen quasi über sich ergehen“, erklärt Frese. „So fühlt man sich aber ausgeliefert. Und wenn man nicht mitgestaltet, entwickelt sich eine Situation auch oft nachteilig für einen selbst.“
Als Psychologe weiß Frese natürlich, dass auch das Typsache ist: Nicht jeder ist von seiner Durchschlagskraft überzeugt, nicht jeder prescht mit Ideen nach vorn. Dennoch konnte Frese in mehreren Studien zeigen, dass man Eigeninitiative lernen kann. Mit Kollegen entwickelte er ein Training, bei dem Teilnehmer in verschiedenen Modulen üben, in beruflichen Fragen den ersten Schritt zu machen, Hindernisse zu überwinden und Möglichkeiten und Innovationschancen auch in verfahrenen Situationen zu sehen. Konkret arbeitete jeder Teilnehmer innerhalb weniger Tage ein klares berufliches Ziel heraus, legte die wichtigsten To-dos für dessen Gelingen fest und musste auch gleich mit der Umsetzung beginnen. Auf der anderen Seite gab es auch Aufgaben aus Kreativitäts- und Innovationstrainings, mit denen das Querdenken und Erkennen ungewöhnlicher Möglichkeiten geübt wurde.
Umbruchsituationen nutzen
Unter anderem testete Frese das einwöchige Eigeninitiativtraining mit 1500 Kleinunternehmern aus dem westafrikanischen Togo, die als Taxifahrer, Gemüsehändler oder Betreiber einer Garküche arbeiteten. Für sie erwiesen sich die Maßnahmen als sehr hilfreich: Sie steigerten ihre Umsätze deutlich – und zwar über mehrere Monate. Dieser wirtschaftliche Erfolg war viel größer als bei Teilnehmern einer Kontrollgruppe, die ein Standard-Management-Training mit Buchführung, Marketinggrundlagen, Akquise etc. durchlaufen hatten.
„Der Dreh- und Angelpunkt ist immer, selbst loszugehen, auch wenn niemand einem finanziell oder strukturell hilft oder einen sonst wie ermutigt“, fasst Frese zusammen. Eine solche Haltung könne auch Mitarbeitern in Veränderungsprozessen helfen oder einem hochqualifizierten Akademiker Antrieb geben, der einen neuen Job sucht. Wichtig ist dabei laut Frese, sich zunächst über die eigenen Ziele klarzuwerden und diese zu formulieren. Danach kann man gucken, wie und wo man die Umbruchsituation nutzt, um diese Ziele zu erreichen. Wer etwa gern Führungskraft werden will oder schon immer auf einen Tag im Homeoffice hoffte, könne während eines Change-Prozesses im Unternehmen oder bei einem Jobwechsel oft Gelegenheiten finden, diese Ziele auch anzugehen. Denn wo Veränderung ist, da ist auch vieles offen, sagt Frese.
In die Zukunft gucken
Doch in einem konkreten Umbruch auch noch Chancen oder Vorteile zu erkennen ist nicht immer ganz leicht. Laut Laufbahnforscherin Judith Volmer kann es deshalb wichtig sein, auch in Zeiten, in denen die Situation am Arbeitsplatz stabil ist, einen Fokus auf die eigene berufliche Entwicklung zu behalten. Das heißt: Ziele zu formulieren, die man mit etwas Weitblick im Auge hat. Zu recherchieren, wie sich die eigene Branche oder das eigene Unternehmen gerade entwickelt. Oder sich mit Kollegen zu vernetzen und zu reflektieren, welche Firma oder Position für einen noch in Frage käme. „Wir bezeichnen das als Sorge um die eigene Entwicklung“, sagt Volmer. Mit Karrierismus habe das nichts zu tun, eher mit Umsicht.
Diese „Sorge“ und eine gewisse generelle Planungsfähigkeit sind die wichtigsten Faktoren, wenn es um die bereits erwähnte „laufbahnbezogene Anpassungsfähigkeit“ geht. Kurz gesagt: Wer plant, sondiert und seine Karriere aktiv im Blick behält, kann sich auch bei anstehenden Veränderungen besser positionieren.
Die Krux ist, dass Menschen, die gerade glücklich am Arbeitsplatz sind, oft nicht über weitere berufliche Ziele nachdenken und sich auch keine Sorgen machen wollen. Wem es schwerfällt, immer mal wieder ohne jeden Anlass in die Zukunft zu blicken, für den lohnt sich die Investition in eine Karriereberatung, um den eigenen Berufsweg besser überblicken und steuern zu können.
Diesen Weg ist auch Lea Haustein gegangen. Nachdem sie sich noch ein halbes Jahr unmotiviert zur Arbeit geschleppt hatte, suchte sie sich einen Coach. Die Frage „Was will ich eigentlich?“ stand in den Sitzungen im Vordergrund. Haustein fand heraus, dass die vielen Veränderungen sie so verwirrt hatten, dass sie überhaupt nicht mehr wusste, was sie so unzufrieden machte. Nach wenigen Coachingstunden war klar, dass sie vor allem die Berufsvorbereitungstrainings mit Jugendlichen vermisste, die nach der Umstrukturierung nun zwei andere Kollegen durchführten. Sie sprach mit ihrer Chefin darüber und konnte tatsächlich nach und nach wieder mehr Trainings übernehmen. Angenehmer Nebeneffekt: Dabei stört auch Hausteins Hund nicht.
Die eigenen Grenzen kennen
Heißt das also: Wenn wir alle ein bisschen proaktiver, zukunftsorientierter und anpassungsfähiger werden, können wir sämtlichen Veränderungen gut begegnen? Das wäre zu simpel und fast zynisch. Psychologe Axel Koch ist jedenfalls der Ansicht, dass jeder Einzelne sich durchaus immer wieder fragen sollte, ob das Ausmaß, die Art und die Richtung der Veränderung im Job noch zu einem passen.
In manchen Konzernen würden etwa ständig alle Strukturen neu definiert. Andere Unternehmen sparten nach der Umstrukturierung so viel Personal ein, dass das Arbeitspensum nicht mehr zu schaffen sei, so Koch. „Es ist also legitim, sich einzugestehen, dass man mit einer Veränderungssituation in der Firma überfordert ist oder dass die Lage dort einem nicht mehr entspricht.“ Oft merke man selbst, ob man eine anstehende Veränderung noch mitgehen will. Wenn nicht, sei es angebracht, eventuell nötige Konsequenzen zu ziehen – und sich neue Wege zu einem Arbeitsplatz zu suchen, der besser zu einem passt. Auch das, findet Koch, kann eine gute Form der Anpassung an Veränderung sein.
Flexibel und neugierig
Wie können wir Veränderungen so begegnen, dass sie uns nicht stressen oder im Beruf in eine Sackgasse bringen? Antworten gibt das Konzept der laufbahnbezogenen Anpassungsfähigkeit, das der Psychologieprofessor Mark L. Savickas von der Universität Ohio erforscht hat. Er fand heraus, dass Menschen, die über ein bestimmtes Bündel an Fähigkeiten verfügen, besser mit Veränderungen umgehen können und diese in ihrem Sinn gestalten. Vier Faktoren sind dabei wichtig:
Sorge. Die Fähigkeit, sich immer wieder umsichtig die Frage zu stellen, wie sich der eigene Arbeitsplatz entwickelt und wie die Branche, was für Anforderungen in der Zukunft gefragt sind und wie man sich diese aneignen könnte.
Kontrolle. Eigenständige Entscheidungen in Bezug auf die eigene Berufslaufbahn treffen: sich Ziele setzen und verfolgen, den Job wechseln, wenn er nicht mehr passt, Positionen anstreben, die den eigenen Fähigkeiten entsprechen.
Neugier. Der Wunsch, im Alltag Dinge zu verstehen. Fragestellungen oder Probleme, die sich bei der Arbeit stellen, interessiert untersuchen. Generell Neues schätzen.
Selbstbewusstsein. Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Die Erfahrung, dass eigene Handlungen, Vorschläge oder Ideen dazu beitragen, dass eine Situation sich verändert oder verbessert.
Den Überblick behalten
Veränderung ist kein einzelnes Ereignis, sondern ein Prozess. Für Menschen, die sich beruflich umorientieren wollen oder im Unternehmen mit Veränderung konfrontiert werden, kann das Phasenmodell der Veränderung hilfreich sein, dass der Psychologe Kurt Lewin bereits 1963 formulierte und das in der Organisationsentwicklung noch immer angewendet wird.
Die Übersicht über die Phasen gibt Orientierung über den aktuellen Stand des Prozesses. Das Schema erinnert außerdem daran, dass man sich Zeit für alle drei Phasen nehmen sollte.
1. Phase: Auflösung oder Auftauen. Das bestehende Gleichgewicht, der Status quo wird infrage gestellt, es wird skizziert, was anders werden soll und was bewahrt wird. Gleichzeitig gilt es, Motivation und Bereitschaft für die Veränderung zu entwickeln. Für Unternehmen heißt das, Mitarbeitern die Veränderungsvorhaben zu erklären und sie in den Prozess einzubeziehen.
2. Phase: Verändern. Aktivitäten, die zum angestrebten Zustand führen können, werden nun initiiert. Die Veränderung kommt in Bewegung. Neue Standards und Muster werden entwickelt. Es geht sowohl darum, dass sich neue Organisationsstrukturen bilden, als auch darum, dass einzelne ihr Verhalten ändern oder etwas dazulernen.
3. Phase: Einfrieren. Das Neue will gefestigt werden. In dieser Phase werden die veränderten Verhaltensmuster verstärkt und außerdem ein neuer und fester Bezugsrahmen gebaut, der dabei hilft, dass wieder ein Gleichgewicht entsteht, der Prozess stabilisiert und abgeschlossen wird. Vorsicht: Bei Umstrukturierungen in Firmen wird dieser Phase oft zu wenig Zeit gegeben, oder sie wird komplett übergangen. Das kann dazu führen, dass weitere Veränderungsprozesse misslingen.
„Veränderungen sind immer Zumutungen“
Der Wirtschaftspsychologe Theo Wehner begleitet Umstrukturierungen in Organisationen als Wissenschaftler und Berater. Er erklärt, warum es Mitarbeitern hilft, wenn Unternehmen mehr Verantwortung für Veränderungsprozesse übernehmen
Herr Prof. Wehner, wenn sich Dinge am Arbeitsplatz ändern, muss das nicht negativ sein. Dennoch scheinen Arbeitnehmer heute von Veränderungen oft belastet zu sein. Warum ist das so?
Das hat unter anderem mit der Art zu tun, wie Veränderungsprozesse konkret durchgeführt werden. Seit ich solche Entwicklungen in Organisationen begleite, hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, dass ein erheblicher Teil sogenannter Change-Projekte die versprochenen Ziele nicht erreicht. Da wird eine Fusion oder eine neue digitale Strategie erst mit großen optimistischen Vorgaben angefangen, es werden ehrgeizige Ziele formuliert. Doch im Laufe des Prozesses verändert sich das. Oft werden Schwierigkeiten bei der Einführung von Neuerungen unter den Teppich gekehrt, man vermeidet es, die Fehler ins Visier zu nehmen. In Bezug auf diese Projekte entsteht dann eine Scheinrealität im Unternehmen: In der Außenwirkung werden Zahlen und Abschlussberichte dargelegt, die Erfolg dokumentieren. Im Hintergrund laufen aber viele Dinge weiterhin wie immer oder sind nur halb umgesetzt worden.
An welchem Punkt laufen Veränderungsprozesse konkret schief?
Interessant ist immer der Moment, an dem Hindernisse auftauchen oder Dinge nicht funktionieren. Dann wäre es gut, innezuhalten und zu reflektieren. Man müsste sich zusammensetzen, kommunizieren, neue Ansätze finden. Diese Tugend des Innehaltens habe ich in Unternehmen aber selten erlebt. Der Wunsch, immer nur nach vorn zu schauen, sich bei unerwarteten Ereignissen nicht allzu lange aufzuhalten, ist ausgeprägt. Diese Dynamik führt dann dazu, dass man aus Fehlern nicht lernt, dass Projekte irgendwo steckenbleiben und keiner sich mehr darum kümmert. Im Gegenteil, es wird dann oft sofort ein neues Projekt initiiert, das die Fehler des alten Projekts beheben soll. Manchmal kommt es mir vor, als sei die Arbeitswelt in einer Art Veränderungsdelirium.
Sind Organisationen wirtschaftlich so unter Druck, dass sie letztlich keine Zeit und keine Geduld für Veränderung haben?
Das ist kein reines Zeitproblem. Der Denkfehler liegt oft woanders: Eine Veränderung in einer Organisation ist kein einmaliges Ereignis, das man kurz und mit Paukenschlag einführt, und dann läuft alles. Es ist ein Prozess mit mehreren Phasen, die alle Aufmerksamkeit und Raum brauchen. Eine Veränderung muss eingeleitet, durchgeführt und gefestigt werden, sonst greift sie nicht.
In Unternehmen kommt die letzte Phase, die Konsolidierung neu eingeführter Aufgaben und Strukturen, oft zu kurz. Das überfordert die Mitarbeiter. Sie fangen dann an, sich gegen Neuerungen zu sperren. So kommen Organisationen in Bedrängnis. Sie können nicht mehr auf die Veränderungsbereitschaft ihrer Leute bauen, sondern müssen mit Notwendigkeiten drohen. Kurz: Sie demotivieren ihre Mitarbeitenden.
Wie könnte man aus psychologischer Sicht Change-Prozesse so durchführen, dass Mitarbeiter veränderungsbereit bleiben?
Entscheider sollten nie unterschätzen, wie viel Energie solche Projekte ziehen: Veränderungen sind immer Zumutungen. Man sagt damit dem Einzelnen, dem Team, der Abteilung oder der ganzen Firma, dass Dinge, die bisher als gut galten, so nicht mehr gehen und anders gemacht werden müssen. Man sagt damit indirekt auch, dass das Neue, was man nun anfängt, besser sein soll als das Alte, das bisher genügte. Damit ein solcher Prozess von allen mitgetragen wird, muss er mit Verantwortung und Sorgfalt durchführt werden.
Die anstehenden Veränderungen müssen handhabbar, verstehbar und sinnhaft sein. Es sollte Foren geben, wo jeder Bedenken oder Schwierigkeiten äußern kann, wo es Unterstützung gibt und die Möglichkeit, sich gemeinsam auf den neuesten Stand zu bringen.
Wie kann man eine offenere Kommunikation fördern?
Es gibt in der Organisationsentwicklung zahlreiche Instrumente, die Raum für Kommunikation und Reflexion schaffen. In Projekten, die wir begleiten, gibt es etwa regelmäßige feste Termine, sogenannte Veränderungszirkel, in denen man im Team und mit dem Vorgesetzten über den Stand und über Probleme sprechen kann. Außerdem helfen als schriftliche Dokumentation Veränderungstagebücher, in die ebenfalls jeder Mitarbeiter notieren kann, wie der Prozess gerade konkret läuft.
Wichtig ist, dass der Raum für so eine Partizipation ganz offiziell gegeben wird. Informelle Küchen- oder Kamingespräche reichen nicht. Nicht nur weil sie sehr kurz sind, auch weil sie das fatale Signal geben, dass Veränderung quasi nebenbei zu laufen hat.
Viele Manager beklagen, dass Mitarbeiter zu sehr an Routinen festhalten, wenig flexibel sind. Ist da etwas dran?
Auch wenn das im Einzelfall sein mag – die Blickrichtung stimmt nicht. Zum einen ist es nicht zielführend, wenn man vorsichtigere Mitarbeiter, die das Bestehende bewahren wollen, als ewig Gestrige abtut. Zum anderen ist der selektive Blick auf das Individuum hier nicht passend: Veränderungen im Arbeitskontext sind immer kollektive Prozesse.
Wenn man jemandem in einer Umstrukturierung sagt: „Du musst dich ändern“, führt das berechtigterweise zu Widerstand.
Es geht eher darum, als Führungskraft die Haltung „Wir alle müssen uns ändern“ zu vermitteln. Wenn wir bei Themen wie Umgang mit Veränderung oder auch Arbeitsbelastung immer nur an die Selbstmanagementfähigkeiten des Individuums appellieren, führt das zur Erschöpfung des Einzelnen. Erst wenn wir das verstehen und ändern, gelingt Veränderung in der Arbeitswelt.
Prof. Dr. Theo Wehner ist emeritierter Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich. Er forscht zum Thema Fehlerfreundlichkeit in Unternehmen und zu Veränderungsprozessen und begleitet Change-Prozesse in Konzernen und Behörden
Quellen:
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Annika F. Schüßlbauer u. a.: The goals paves the way: inspirational motivation as a predictor of career adaptability. Journal of Career Development, 2017, in press. DOI: 10.1177/0894845317718348