Frau L. ist nicht nur die älteste (in diesem Jahr ist sie achtzig geworden), sondern auch die schillerndste meiner Patientinnen, nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne, etwa was ihren exaltierten Kleidungsstil betrifft. Man muss sich Frau L. als einen glücklichen Menschen vorstellen (nein, es handelt sich bei ihr nicht um das weibliche Pendant zum camusschen Sisyphos), als eine gelungene Mischung aus (gewagt formuliert) Elfriede Jelinek, der roten Zora und Peter Pan. Mit Letzterem hat sie gemein, dass auch sie dem Erwachsensein (sie würde sagen: Erwachsenwerden) – vorsichtig ausgedrückt – eher skeptisch bis ablehnend gegenübersteht.
Dabei war ihre Kindheit durchaus nicht einfach: Ihre Mutter ist früh gestorben (sie redet weiterhin mit ihr); der Kontakt zum Vater war sporadisch, aber durchweg innig, wenn sie sich begegneten. Ihr ausgeprägtes Autonomiestreben hindert sie nicht an intensiven Freundschaften zu anderen Menschen, die ihre Großzügigkeit und Freundlichkeit zu schätzen wissen und sie für ihre unkonventionelle Art bewundern.
Der Grund, warum sie zu mir in die Analyse kommt? „Bei Ihnen kann ich all die Geschichten erzählen, die mir keiner glaubt, ohne dass ich ständig unterbrochen werde.“ Wenn ich ihr am Ende der Sitzung mitteile, dass unsere Zeit für heute abgelaufen ist, springt sie fröhlich mit immer demselben Satz von der Couch auf: Das sei ja prima, denn wenn sie jetzt nicht gehen würde, könnte sie morgen ja auch nicht wiederkommen.
Aus welchem Buch stammt die beschriebene Patientin? Hier finden Sie die Auflösung.