Trauer ist ein Teil von uns, eine Reaktion auf Verlusterfahrungen. Am häufigsten wird Trauer mit dem Tod eines nahestehenden Menschen assoziiert. Die Lyrikerin Olga Martynova, die um ihren Mann trauert, zeigt uns, wie einzigartig und komplex Trauergefühle sein können. Hilfe im Umgang mit Trauererfahrungen bieten zwei Ratgeber für unterschiedliche Zielgruppen.
Olga Martynova hat vier Jahre an ihrem literarischen Essay, den man auch als Tagebuch einer Grenzerfahrung lesen kann, gearbeitet: „Die Wunde ist heiß, offen, sie riecht nach seidenem Blut.“ Sie begreift sich als einen Menschen mit „herausgerissenem Herz und abgehacktem Kopf“. Doch Suizid ist für sie keine Option. „Ich will meine Trauer durchleben.“
Sigmund Freuds Vorstellung, dass man durch Trauerarbeit den Verlust einer nahestehenden Person überwinden könne, teilt sie nicht. Ihre Trauer sei hässlich, unästhetisch und immerwährend. Im Verlauf ihrer vier Trauerjahre nimmt sie Veränderungen an sich wahr. Zu der Trauer geselle sich Verzweiflung, für sie ein Zeichen für Selbstmitleid. Auch sei ihre Trauer selbstsüchtig geworden. „Trauer ist wie Liebe, fordernd und egoistisch.“ Konstant bleibt ein Schuldgefühl als ein starker Bestandteil ihrer Trauer um Oleg Jurjew, den Dichter, mit dem sie 37 Jahre zusammen war. Er war schon lange schwer krank, und doch kam sein Tod für sie völlig unerwartet. „Man hat das Gefühl, versagt zu haben.“
In der Literatur sucht die Dichterin nach Spuren der Auflehnung gegen die Anerkennung des Todes, und sie wird fündig, etwa beim Schriftsteller Elias Canetti, dem es ernst war mit seiner Todesfeindschaft. „Als wäre nicht jeder einzelne Tod, wer immer ihn erleidet, ein Verbrechen, das man mit allen Mitteln zu verhindern hätte!“ Der Philosoph Roland Barthes wollte nicht von Trauer sprechen, weil ihm das zu psychoanalytisch sei, er sprach lieber von „Kummer“. Martynova habe viel über die Trauer nachgedacht und gelesen, schreibt sie am Schluss ihres ergreifenden Textes. „Vielleicht habe ich über sie noch mehr Einzelheiten begriffen. Und sie noch weniger verstanden.“
Wie trauern wir richtig?
Um dieses Verstehen der Trauer, auch um das Integrieren der Trauergefühle in das Leben danach, geht es Sally Douglas und Imogen Carn. Die beiden Australierinnen haben einen Elternteil verloren und bemerkten einen Mangel an ehrlichem Austausch. Deshalb gründeten die zwei Kommunikationsberaterinnen einen Podcast, den man auf Instagram verfolgen kann und den sie jetzt als Ratgeber in Buchform herausgeben. Diskutiert werden unter anderem der Umgang mit Trauergefühlen, körperlichen Einschränkungen wie Erschöpfung, Angstzuständen oder Panikattacken, Selbstfürsorge und Einsamkeit.
Alle Themen werden mit Erfahrungsberichten illustriert und mit Hinweisen einer Psychologin und Erfahrungen anderer Trauernder ergänzt. Das Konzept der Trauerbewältigung in Form von mehreren Trauerphasen, das eine Zeitlang Allgemeingültigkeit beanspruchte, lehnen die Autorinnen ab. Sie unterscheiden eher persönlichkeitsabhängige „Trauerstile“ – etwa wenn Menschen Gefühle zuließen oder andere Trauernde einen rationalen Ansatz verfolgten.
„Es gibt keine richtige oder falsche Art zu trauern“, so ihr Credo. Alle Gefühle seien erlaubt, auch der Neid auf das Leben der anderen. Man müsse nicht mit der Trauer abschließen. „Deine Trauer darf einen Platz in deinem Leben haben und ein Teil von dir sein.“ Die Zielgruppe dieses Ratgebers sind Menschen in der Lebensmitte, die um Angehörige oder Freunde trauern; die Trauer von alten Menschen kommt nur am Rande vor. Auch fallen Inhalt und Form des Ratgebers auseinander. Mit netten Comics, Herzchen und Sternchen versucht man, das schwere Thema aufzulockern, signalisiert aber eher Oberflächlichkeit, was jedoch nicht mit dem Inhalt korrespondiert.
Zur Schmerzkontrolle verdammt
Schwergewichtiger wirkt dagegen der Ratgeber von zwei Expertinnen für Trauerbegleitung, die mit der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie in Stuttgart verbunden sind: Susanne Haller, Leiterin der Einrichtung, von Beruf Krankenschwester und Trauerbegleiterin, und Martina Reinalter, Referentin der Akademie und Trauerbegleiterin an einem Hospiz. Ihr praxisbezogener Ratgeber wendet sich an Menschen, die sich vorstellen können, professionell Trauernde zu begleiten, aber auch an Menschen in Trauer.
Trauerbegleitung ermögliche echte zwischenmenschliche Begegnung. Man müsse sich aber auch der Herausforderungen bewusstwerden, etwa wenn man durch die Arbeit mit Trauernden immer mit den eigenen Verlusten und der eigenen Sterblichkeit konfrontiert werde. Die Anforderungen an Trauerbegleitung – etwa die Beziehungsgestaltung und die Gesprächsführung – sowie das Erleben von Trauer – etwa Stressbewältigung und verschiedene Trauermodelle – stehen im Fokus dieses Ratgebers.
Männer und Frauen trauern unterschiedlich. Dazu gebe es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse, nur Beobachtungen. Die Männer seien eher „dazu verdammt“, ihren Schmerz unter Kontrolle zu halten, und sie versuchten, allein und still zurechtzukommen. Von 20 Menschen, die an einer Qualifizierung zur Trauerbegleitung an der Akademie teilnehmen, sind 18 weiblich.
Trauer ist ein Teil von uns. Alle drei Bücher können dabei helfen, die Verlustgefühle zu verstehen, die durch die Trauer ausgelöst werden.
Olga Martynova: Gespräch über die Trauer. S.Fischer 2023, 303 S., € 25,–
Sally Douglas, Imogen Carn: Deine Trauer und du. Wie du deine Gefühle zulässt und wieder Kraft fürs Leben schöpfst. Aus dem Englischen von Svenja Tengs. Knesebeck 2023, 296 S., € 18,–
Susanne Haller, Martina Reinalter: Trauernde begleiten. Trauer verstehen und Trauernde empathisch unterstützen. Trias 2024, 177 S., € 22,99