Der griechische Mathematiker Archimedes soll einst in die Wanne gestiegen sein und dort seine entscheidende Idee zur Auftriebskraft bekommen haben. Daraufhin sei er begeistert (und splitterfasernackt) durch Athens Straßen gelaufen und habe „Heureka!“ gerufen: „Ich hab’s gefunden!“ Von Archimedes können wir heute nicht nur Physik und Mathematik lernen – sondern auch, wie man auf neue Ideen kommt. Denn die Forschung hat bestätigt: Beim konzentrierten Grübeln am Schreibtisch sind Geistesblitze eher rar. Es sind ganz andere Orte, die unseren Einfallsreichtum beflügeln.
1. Im Humorbad
Archimedes lag richtig. Die Badewanne ist tatsächlich ein Ort der Kreativität. Forschende haben inzwischen Anhaltspunkte gefunden, wieso das so ist. Zum einen können wir beim Baden unseren Gedanken freien Lauf lassen. Aber der geistige Durchzug reicht nicht. „Das freie Umherschweifen der Gedanken scheint nur dann mit kreativer Ideenfindung einherzugehen, wenn wir unmittelbar zuvor oder aber gleichzeitig angenehmen und unterhaltsamen Aktivitäten nachgehen“, berichtet ein wissenschaftliches Team um Zachary Irving. „Das Baden und das Duschen sind solche Aktivitäten.“
Das schlussfolgern die Forschenden aus ihren Experimenten. In einer ihrer Untersuchungen hatten 222 Studierende genau 90 Sekunden Zeit, um sich möglichst viele alternative Verwendungsmöglichkeiten für einen Ziegelstein und eine Büroklammer auszudenken. Anschließend schaute eine Gruppe der Freiwilligen eine unterhaltsame dreiminütige Szene aus einer Komödie. Die zweite Gruppe hingegen musste sich ein dreiminütiges Video ansehen, in dem Wäsche zusammengelegt wurde. Danach bekamen beide Gruppen zusätzlich 45 Sekunden Zeit, um zu ihrer ursprünglichen Aufgabe weitere Ideen hinzuzufügen.
Zwar hatten die Mitglieder beider Gruppen nach den Clips neue Ideen, aber die Komödiengruppe fiel durch unerwartete und deutlich kreativere Einfälle auf. Eine andere Studie, an der etablierte Physiker und Physikerinnen sowie Autoren und Autorinnen teilnahmen, zeigt ebenfalls: Kreative Einfälle und wichtige Problemlösungen fallen gerade dann ein, wenn die Gedanken angenehmen und entspannten Leerlauf bekommen.
2. Auf der grünen Wiese
Je grüner unsere Umgebung ist, desto einfallsreicher sind wir. Das stellen nicht nur Psychologen und Psychologinnen immer wieder fest, sondern zum Beispiel auch Fachleute der Hortikultur und Landschaftsarchitektur. So hat jüngst ein dreiköpfiges taiwanesisches Team insgesamt hundert Freiwillige in einer städtischen Umgebung rekrutiert. Die Forschenden um Chun-Yen Chang teilten die Freiwilligen in drei Gruppen ein, die für die Dauer des Experiments vor einem unterschiedlich stark begrünten Hintergrund ihren Einfallsreichtum unter Beweis stellen sollten.
Bei einer Gruppe war es eine Wiese mit Bäumen, ohne dass die Stadt zu sehen war. Bei der zweiten Gruppe war es unter anderem eine von hohen Bäumen umsäumte Straße. Die dritte Gruppe hingegen sah kaum Natur – lediglich einen kleinen Rasen vor Stadtbauten. Alle drei Gruppen absolvierten den Abbreviated Torrance Test for Adults, ein Inventar, das kreatives Denken misst.
„Die ersten zwei Gruppen waren der dritten Gruppe hinsichtlich kreativer Einfälle klar überlegen“, berichtet das Team von Chun-Yen Chang. Das galt nicht nur für die Anzahl der Gedankenblitze, sondern auch für deren Qualität. „Die Ideen der ersten und zweiten Gruppe waren detailreicher“, so die taiwanesischen Forschenden. Wer also an einem kniffligen Problem arbeitet, der sollte im Grünen nach Eingebung suchen.
3. In hohen Altbauräumen
Auch der Altbau ist ein potenzieller Ort für kreative Einfälle. Das liegt einer kanadischen Studie zufolge an seinen hohen Decken. In der Untersuchung von Joan Meyers-Levy und Rui Zhu zeigten sich die Freiwilligen kreativer, wenn die Deckenhöhe volle 3 Meter statt der gängigen 2,3 Meter betrug. Rund 150 Teilnehmende lösten mehrere Aufgaben zur kreativen Problemlösung in Räumen mit unterschiedlich hohen Decken. Dabei lenkten die Forscherinnen die Aufmerksamkeit ihrer Freiwilligen bewusst auf die jeweilige Zimmerdecke.
„Höhere Decken schienen unseren Freiwilligen mehr Freiraum und Freiheit zu suggerieren, hingegen wirkten niedrigere Decken einengend und einschließend“, so die beiden Forscherinnen. Waren sie sich der Deckenhöhe gewahr, schlug sich das auf der Stimmung der Freiwilligen nieder. Eine niedrige Decke drückte auf die Laune und schränkte auch die kreative Problemlösung ein, eine hohe Decke hingegen verschaffte beidem Auftrieb.
Wer nicht im Altbau wohnt, kann dennoch von dem Konzept der Forscherinnen profitieren – mit ein paar innenarchitektonischen Tricks. So wirkt ein Raum, der mit einer vertikal gestreiften Tapete versehen ist, höher als ein Raum, der einfarbig gestrichen oder mit horizontalen Streifen verziert ist. Bücherregale und Vertäfelungen mit aufrechten Proportionen und Fenstervorhänge, die direkt auf den Boden fallen, sind weitere optische Tricks, durch die die Decke höher wirkt und Ideen leichter fallen könnten.
4. In der Ferne
Für kreative Lösungen von kniffligen Problemen lohnt es sich, den Arbeitsschreibtisch oder das Büro weit hinter sich zu lassen – etwa für einen kurzen Urlaub. Denn die Entfernung macht unerwartet kreativ. Das suggeriert die construal level theory (CLT). Laut CLT regt die physische Nähe zu einem Problem oder einem Thema eine konkrete und analysierende Denkweise an, während die Entfernung das abstrakte Denken fördert und somit potenziell den Einfallsreichtum mehrt.
„Menschen lösen Aufgaben kreativer, wenn sie denken, die Aufgabe stamme von einem weit entfernten Ort“, berichtet ein Team um den Forscher Lile Jia. In ihren Experimenten informierten die Forschenden einen Teil ihrer Freiwilligen, dass der Aufgabenkatalog, den sie erledigen sollten, an einem Forschungsinstitut in Kalifornien, das über 3000 Kilometer entfernt lag, entwickelt worden sei. Die zweite Gruppe hörte, dass die Aufgaben an einer lokalen Einrichtung entworfen worden seien. Die Kontrollgruppe bekam keinerlei Information zur Herkunft desselben Aufgabenkatalogs.
„Die Freiwilligen in der ersten Gruppe lösten mehr Aufgaben und fanden kreativere Lösungen als die Teilnehmer in der zweiten und in der Kontrollgruppe“, berichten die Forschenden – und erklären das Phänomen: „Die Aufgaben, die aus der Ferne zu stammen schienen, waren weniger unmittelbar und dadurch leichter lösbar.“ Manchmal kann es helfen, das Weite zu suchen, um überraschend originelle Lösungen für ein Problem zu finden.
Quellen
Zachary Irving u.a.: The shower effect: Mind wandering facilitates creative incubation during moderately engaging activities. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 2022. https://doi.org/10.1037/aca0000516
Chun-Yen Chang, Chin-Wen Yeh, Shih-Han Hung: The influence of natural environments on creativity, Front. Psychiatry, 2022. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2022.895213
Joan Meyers-Levy und Rui (Juliet) Zhu: The Influence of Ceiling Height: The Effect of Priming on the Type of Processing That People Use. Journal of Consumer Research, 2007. https://doi.org/10.1086/519146
Shelly Gable, Elizabeth Hopper, Jonathan Schooler: When the Muses Strike: Creative Ideas of Physicists and Writers Routinely Occur During Mind Wandering, Psychological Science 2019. DOI: 10.1177/0956797618820626
Lile Jia, Edward Hirt, Samuel Karpen: Lessons from a Faraway land: The effect of spatial distance on creative cognition, Journal of Experimental Social Psychology, 2009. Doi:10.1016/j.jesp.2009.05.015