Herr Schredl, haben sich unsere Träume während der Coronapandemie verändert?
Ja. Das war nach der sogenannten Kontinuitätshypothese auch zu erwarten: Wir träumen von allem, was uns tagsüber beschäftigt. Und wenn es eine Pandemie gibt, die weltweit Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat, dann spiegelt sich das natürlich auch in den Träumen wider.
Auf welche Weise?
Einerseits geben bei Befragungen 10 bis 15 Prozent der Teilnehmenden an, öfter Albträume zu haben. In unserer Studie hing das stark mit dem subjektiv erlebten Stress im Wachzustand zusammen: Diejenigen, die besonders unter der Pandemie litten – sei es, weil sie finanzielle Sorgen hatten, sich einsam fühlten oder ihnen die Situation allgemein Angst machte –, hatten auch mehr Albträume. Was die Traumthemen anbelangt, gibt es leider noch keine schönen Vergleichsstudien zu Träumen aus Nichtcoronazeiten. Es gibt jedoch ganz typische Motive, die direkt mit der Pandemie zusammenhängen, etwa die Angst vor Ansteckung: Ich bin in einer Menschenmenge und keiner trägt eine Maske. Oder die Sorge um Angehörige: Eine nahestehende Person ist schwer erkrankt und ich bin traurig darüber; so einen Traum habe ich selbst schon gehabt. Aber es gibt auch metaphorische Träume. Eine Teilnehmerin hat in unserer Studie berichtet, sie sei in einer Box eingesperrt gewesen, die immer kleiner geworden sei. Die Erfahrungen im Wachzustand finden sich also entweder direkt im Traum wieder oder werden in kreative Bilder umgesetzt.
Fast ein Drittel Ihrer Befragten gab zudem an, sich öfter an die Träume erinnern zu können. Warum?
Das hat möglicherweise mit dem veränderten Schlaf-wach-Rhythmus zu tun: Abends bleibt man nicht so lange auf, weil es weniger Angebote gibt. Und am nächsten Morgen kann man länger schlafen, weil man im Homeoffice ist. Mehr Schlaf heißt mehr Träumen und in der Regel auch bessere Traumerinnerung.
Kann man durch Träume seine Ängste besser verarbeiten und bewältigen?
Nein, das ist Quatsch. Die meisten Menschen fühlen sich durch die schlechten Träume zusätzlich belastet. Deshalb empfehlen wir auch, gegen wiederkehrende Albträume anzugehen. Unsere Faustformel lautet: Wer einmal pro Woche oder häufiger darunter leidet, sollte etwas dagegen tun.
Prof. Michael Schredl ist Psychologe und leitet das Schlaflabor am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit