Wie wandelbar sind wir?

Wie wandelbar ist die Persönlichkeit? Auf einem Event von Psychologie Heute und The School of Life antwortete Persönlichkeitsforscherin Jule Specht.

Haben Sie oft Angst, dass andere Menschen Sie nicht mögen? Zweifeln Sie an der Beständigkeit Ihrer Beziehungen? Wenn ja, dann könnte das – neben anderen Indizien – ein Hinweis darauf sein, dass Sie eine „emotional instabile“ Persönlichkeit haben. Sie grübeln oft, machen sich Sorgen, haben Selbstzweifel. Und was machen Sie nun mit dieser Information? Müssen Sie sich damit abfinden und arrangieren, dass Sie nun mal so sind? Oder gibt es die Chance, dass Sie sich ändern, also lernen, selbstsicherer und zuversichtlicher durchs Leben zu gehen?

„Kann ich mich ändern?“ – Das war der Titel eines Vortragsabends mit der Persönlichkeitsforscherin Jule Specht, präsentiert von der internationalen Bildungseinrichtung The School of Life und Psychologie Heute in Berlin in einem bereits vorab ausverkauften Saal vor mehr als 200 Zuhörern. Die hatten Gelegenheit, in einem kleinen Selbsttest abzuschätzen, wie es um ihre eigene emotionale Stabilität bestellt ist. Dann Spechts Frage ins Auditorium: „Wenn Sie sich daran erinnern, wie Sie vor zehn Jahren waren: Wer von Ihnen hat den Eindruck, heute emotional stabiler zu sein als damals?“ Lautes Rascheln, die überwältigende Mehrheit hob die Hand.

Und das freute Jule Specht, Psychologieprofessorin an der Humboldt-Universität, denn es stimmt wunderbar mit ihren und anderen Forschungsbefunden überein: Die weitaus meisten Menschen glauben, dass sie sich, verglichen mit früher, zumindest ein bisschen verändert haben und in ihrer Persönlichkeit gereift sind. Und meist haben sie damit recht: Tatsächlich wächst die emotionale Stabilität gerade in den jungen Erwachsenenjahren: Das Bewältigen der ersten Herausforderungen des Lebens lässt Menschen gefestigter zurück.

Die Illusion der Beständigkeit

Interessant wird es, wenn man die Gegenfrage stellt: Werden Sie in zehn Jahren anders sein als heute? Dann, so Specht, sind die meisten davon überzeugt, dass sie auch in Zukunft noch immer derselbe Mensch mit denselben Eigenschaften sein werden. Doch diese sogenannte End-of-history-Überzeugung ist, wie Moderator Martin Ebeling schon einleitend verriet, „ein Irrglaube“: in der Politik sowieso, aber eben auch im Hinblick auf das eigene Selbst.

In einem kurzen Forschungsrückblick zeigte Jule Specht, dass auch die Wissenschaft lange von der Unverrückbarkeit der Persönlichkeit überzeugt war. Spätestens im Alter von 30 Jahren sei diese „fest wie Gips“, verkündete William James vor einem Jahrhundert, und spätere Studien schienen dies zu bestätigen. Doch das, so Specht, ist heute nicht mehr haltbar. Gerade im vergangenen Jahrzehnt hätten Untersuchungen rund um den Globus gezeigt: Unsere Persönlichkeit ist stabil, aber nicht festgemeißelt. Menschen verändern sich, sogar bis ins hohe Alter.

Das Ich im Wandel

Anhand von Kurvenverläufen demonstrierte Specht ihren Zuhörern, welchen Verlauf diese Persönlichkeitsveränderungen bei den meisten Menschen nehmen. Zum Beispiel werden die meisten von uns im Lauf der Jahre immer verträglicher und umgänglicher. Die Gewissenhaftigkeit hingegen bleibt nach einem steten Anstieg in jungen Jahren über das Erwachsenenalter ziemlich stabil. Unsere Offenheit für Neues macht einen Bogen: Erst steigt sie bis zur Lebensmitte steil an, dann aber mit fortschreitendem Alter noch steiler ab.

Spechts Fazit: Ja, wir ändern uns. Aber können wir uns auch gezielt verändern? Abermals ist die Antwort ein Ja, doch diesmal ein eher zögerliches mit Vorbehalten. Das beste Beispiel, dass gezielter Persönlichkeitswandel möglich ist, ist für die Humboldt-Forscherin die Psychotherapie. Forscher haben nachgewiesen, dass Menschen nach einer erfolgreichen Therapie tatsächlich emotional stabiler sind – sogar auf längere Sicht. Möglicherweise können wir auch andere Eigenschaften von uns verändern, wenn wir das gezielt und sehr hartnäckig trainieren.

Der Traum von der Selbstoptimierung

Doch das führte Jule Specht zu ihrer letzten Frage: Wollen wir uns überhaupt verändern? 90 Prozent wollen es, wie Umfragen zeigen. Sie wollen extravertierter, gelassener, selbstdisziplinierter und vieles mehr sein. Sie wollen „besser“ sein. Specht hat da ein paar Einwände: In der Persönlichkeit gibt es kein Gut und Schlecht. Manchmal sind unerwünschte Eigenschaften sehr nützlich: zum Beispiel Sorgen. Sorgenvolle Menschen gehen öfter zum Arzt, und deshalb leben sie nachweislich länger.

Dann sind da die Nebenwirkungen: Wenn ich mich im großen Stil verändere, dann verändere ich womöglich auch Dinge an mir, die ich gar nicht ändern will. Das, meint Specht, könne im Leben allerlei unerfreuliche Turbulenzen mit sich bringen. Und überhaupt: Wie wäre das denn, wenn 90 Prozent aller Menschen mit derselben durchoptimierten Persönlichkeit herumlaufen würden? Gerade unsere Unterschiedlichkeit ist doch das Schöne, findet Jule Specht. Sie jedenfalls mag es, wenn im Team neben freundlichen Das-finde-ich-auch-Sagern auch streitbare Naturen vertreten sind: „Ich bin ein Fan von unverträglichen Menschen!“

Weitere Veranstaltungen finden Sie unter www.theschooloflife.com

Persönlichkeit ist auch das Thema unseres Sonderhefts „Ich bin ich“ aus der Reihe Psychologie Heute compact.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2018: Manipulation durchschauen
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