Vokabelmut zum Sprachen lernen

Psychologie nach Zahlen: Zum Lernen einer Fremdsprache müssen Sie nicht unbedingt Grammatik pauken ► 5 ungewöhnliche Methoden zum angenehmeren Lernen.

Personen aus verschiedenen Ländern sitzen fröhlich trinkend am Tisch und prosten sich in ihrer jeweiligen Landessprache zu
Ein Gläschen, und schon flutscht es mit der Aussprache! © Till Hafenbrak

Als ich das letzte Mal eine Fremdsprache lernen wollte, lebte ich in einem italienischen Vorort von Sydney. Auf den wöchentlichen Unterricht in einer italienischen Schule folgten unweigerlich eine Portion Pasta und einige Gläser Wein. Das war fraglos angenehmer als mein Deutschunterricht in der Schule, zudem machte ich erstaunliche Fortschritte. Man muss nämlich nicht unbedingt stundenlang Vokabellisten und Grammatikregeln pauken, um in einer neuen Sprache besser zu werden. Wichtig ist auch, worauf man nicht achtet.

1 Einfach hören

Hören Sie der Sprache auch dann zu, wenn Sie keine Ahnung haben, was gesagt wird – und Sie müssen nicht einmal aufpassen. Eine Schwierigkeit beim Lernen sind spezifische Sprachlaute, die Sie aber gar nicht heraushören, weil Ihnen die Sprache fremd ist. Für kleine Kinder ist dies kein Problem – setzt man sie einer Sprache eine Zeitlang aus, lernen sie deren fremde Laute durch ständiges Hören. Lange ging man davon aus, dass Erwachsene dies nicht mehr können, aber eine neue Studie kommt zu einem optimistischeren Schluss.

Finnische Muttersprachler hörten an vier aufeinanderfolgenden Tagen jeweils zwei Stunden lang Sprachlaute des Mandarin, während sie mit anderen Aufgaben beschäftigt waren. Obwohl sie ausdrücklich angewiesen worden waren, die Laute zu ignorieren und sich auf einen Stummfilm zu konzentrieren, wiesen ihre Gehirnwellen darauf hin, dass sie die Sprachlaute immer besser unterschieden. Nach Ansicht der Forscher könnte ein solches Passivtraining das Spracherlernen tatsächlich erleichtern. Sie empfehlen, die fremde Sprache zu hören, während man etwas anderes tut – beispielsweise im Sportstudio ist oder kocht; es sollte nur kognitiv nicht allzu anspruchsvoll sein.

2 Grammatik nicht pauken

Kinder lernen auch die Grammatik einer Sprache leichter als Erwachsene. Eine Ursache könnten die höherentwickelten kognitiven Fähigkeiten von Erwachsenen sein. In einer Studie von Amy Finn schnitten die erwachsenen Probanden umso schlechter ab, je verbissener sie sich bemühten, die Wortstämme, Suffixe und Präfixe einer künstlichen Sprache zu erfassen. Nach einer Theorie der Linguistin Elissa Newport tun sich Erwachsene deshalb so schwer, weil sie versuchen, zu viele Informationen gleichzeitig zu analysieren. Was wäre die Alternative? Einige Studienteilnehmer sollten, während sie die künstliche Sprache hörten, ein einfaches Rätsel lösen oder etwas kolorieren – ausgerechnet diese Gruppe erwarb die neue Grammatik am besten. Vielleicht lernt man so effektiv wie ein Kind, wenn man sich wie eines verhält…

3 Timing

Sprachunterricht für Erwachsene findet oft am Abend statt. Doch diese Zeit ist vor allem für ältere Menschen nicht optimal. 60- bis 82-jährige Studienteilnehmer konnten sich morgens zwischen 8.30 und 10.30 Uhr besser konzentrieren und schnitten bei Gedächtnisprüfungen besser ab als zwischen 13 und 17 Uhr. Das lag – wie Gehirnscans zeigten – daran, dass ihr Default Mode Network nachmittags aktiver war. Dieses Ruhenetzwerk wird dann aktiv, wenn wir nicht denken, sondern tagträumen.

Eine andere Studie legt allerdings nahe, dass abendliches Lernen durchaus erfolgreich sein kann – aber nur, wenn ein guter Nachtschlaf und eine Lernwiederholung am nächsten Morgen folgen. Die Forscher vermuten, dass der Schlaf kurz nach dem Lernen Gedächtnisinhalte besser festigt. Zwei Lerneinheiten – eine kurz vor dem Schlafengehen und eine zweite kurz nach dem Aufwachen – scheinen eine effektive Art des Lernens zu sein.

4 Lange Pausen

Der Vorschlag, zwischen dem Vokabellernen und dem Wiederholen des Gelernten eine möglichst lange Pause einzulegen, klingt erst einmal widersinnig. Doch beim Erstellen eines Lernplans tut man gut daran, diesen „Intervalleffekt“ zu berücksichtigen. Nach den Erkenntnissen einer Studie von 2007 sollten Sie dabei der Zehn-Prozent-Regel folgen: Danach sollen die Intervalle zwischen den Lernwiederholungen etwa zehn Prozent des Gesamtzeitraums betragen, in dem Sie das Gelernte behalten möchten. Wenn Sie also in einem Monat eine Prüfung haben, müssen Sie das heute Gelernte in etwa zwei bis drei Tagen wiederholen. Wenn Sie aber das jetzt erworbene Wissen erst in einem Jahr anwenden möchten, müssen Sie das fragliche Material bis dahin einmal monatlich wiederholen.

Die kontraintuitive Idee, dass eine lange Pause dem Erlernen einer Sprache nutzen kann, wird von weiteren Forschungsergebnissen gestützt. Für eine Studie erlernten 19 Probanden eine künstliche Sprache, darauf folgte eine drei- bis sechsmonatige Pause. Danach schnitten die Probanden bei einem Grammatiktest genauso gut ab wie unmittelbar nach dem Lernen. Mehr noch: Ihre Hirnaktivitäten bei der Sprachverarbeitung ähnelten nach der Pause eher jener von Muttersprachlern. Die Forscher vermuten, dass während der Auszeit die Repräsentation dieser Sprache vom deklarativen ins prozedurale Gedächtnis überführt wird – vergleichbar mit dem Spielen eines Instruments oder dem Fahrradfahren.

5 Ein Gläschen Wein?

Alkohol steht nicht unbedingt im Ruf, die Denkfähigkeit zu fördern. Man sollte also meinen, dass ein Schwips das Sprechen einer fremden Sprache erschwert. Doch in einer Studie von Fritz Renner und Kollegen erwies sich Alkohol sogar als hilfreich. Die Probanden waren Deutsche, die Holländisch lernten und so viel Wodka getrunken hatten, dass sie einen Blutalkoholpegel von 0,4 Promille erreichten. Als die Testpersonen bei einem Kurztest auf Holländisch für oder gegen Tierversuche argumentieren sollten, fanden unabhängige Muttersprachler, dass die alkoholisierte Gruppe flüssiger Holländisch sprach als jene Probanden, die nur Wasser getrunken hatten. Vielleicht weil manche Menschen gehemmt sind, wenn sie eine Fremdsprache sprechen, und Alkohol Hemmungen herabsetzt.

© British Psychological Society. Reproduced with permission of the Licensor through PLSclear

Übersetzung: Ebba D. Drolshagen

Literatur

L. O. Kurkela u.a.: Passive exposure to speech sounds modifies change detection brain responses in adults. NeuroImage, 188, 2019, 208–216

Renée K. Biss u.a.: Distraction can reduce age-related forgetting. Psychological Science, 24/4, 448–455

Joshua K. Hartshorne, Joshua B. Tenenbaum, Steven Pinker: A critical period for second language acquisition: Evidence from 2/3 million English speakers. Cognition, 177, 2018, 263–277

Amy S. Finn u.a.: When it hurts (and helps) to try: The role of effort in language learning. PLOS One, 2014, DOI: 10.1371/journal.pone.0101806

John A. E. Anderson u.a.: Timing is everything: Age differences in the cognitive control network are modulated by time of day. Psychology and Aging, 29/3, 2014, 648–657

Johannes Holz u.a.: The timing of learning before night-time sleep differently affects declarative and procedural long-term memory consolidation in adolescents. PLOS One, 2012, DOI: 10.1371/journal.pone.0040963

Stéphanie Mazza u.a.: Relearn faster and retain longer: Along with practice, sleep makes perfect. Psychological Science, 27/10, 2016, 1321–1330

D. Rohrer, H. Pashler: Increasing retention time without increasing study time. Current Directions in Psychological Science, 16, 2007, 183–186

Kara Morgan-Short u.a.: Second language processing shows increased native-like neural responses after moths of no exposure. PLOS One, 2012, 10.1371/journal.pone.0032974

Fritz Renner u.a.: Dutch courage? Effects of acute alcohol consumption on self-ratings and observer ratings of foreign language skills. Jounal of Psychopharmacology, 32/1, 2018, 116–122

Artikel zum Thema
Die Medien schaden uns, so die weit verbreitete Annahme. Doch das ist umstritten. Denn Facebook & Co können auch positive Erfahrungen ermöglichen.
Wenn Menschen mit eingeschränkter Intelligenz psychisch erkranken, äußert sich das oft anders - und auch die Psychotherapie muss andere Wege gehen.
Nicht immer ist es angenehm, wenn man angelächelt wird. Es kommt ganz auf die Art des Lächelns an!
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2020: Emotional durchlässig
Anzeige

Newsletter
Aus der Redaktion

Mit Infos zu unseren Schwer­punkt­themen und inhaltlichen Highlights.

Ihre Daten nutzen wir, wie es in der Datenschutzerklärung erläutert ist

Bei der Newsletter-Registrierung ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.
Sie wurden erfolgreich für den Newsletter registriert.
Psychologie Heute Compact 79: Das Leben aufräumen