„Man bereut nicht, was man getan, sondern das, was man nicht getan hat.“ Das soll bereits der römische Kaiser und antike Philosoph Mark Aurel beobachtet haben. Jetzt zeigten der renommierte Sozialpsychologe Thomas Gilowich und sein Kollege Shai Davidai in sechs Experimenten: Es sind vor allem nicht verwirklichte Träume und Ideale, denen Menschen besonders lange nachtrauern.
Die zwei Forscher unterschieden zwischen idealbezogenen Reuegefühlen (ideal-related regrets) und pflichtbezogenen Reuegefühlen (ought-related re-grets). Tut es mehr weh, dem eigenen Idealbild nicht gerecht geworden zu sein, also sich beispielsweise nie um die Arbeitsstelle bemüht zu haben, von der man schon als Jugendlicher geträumt hat? Oder bereut man eher, seiner Pflicht und Verantwortung nicht entsprochen zu haben, zum Beispiel den hochbetagten Eltern nicht genug Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt zu haben? Insgesamt 700 Probanden verfassten kurze Texte und füllten mehrere Fragenkataloge aus. Das Ergebnis: Es waren eindeutig die nicht erfüllten Ideale und Träume, die die Teilnehmer dauerhaft bereuten.
Wie die Wissenschaftler erklären, versuchen Menschen generell, schwere Nachlässigkeit gegenüber ihren Pflichten wiedergutzumachen. Denn diese Versäumnisse lösen unmittelbar „heiße“ Gefühle wie Angst und Schuld aus, heißt es. Ist der Fehler behoben, gehen die Reuegefühle zurück. Dagegen gehen Menschen mit ihren Träumen und tief gehegten Wünschen deutlich stiefmütterlicher um. Hat man sich Träume nicht erfüllt, stellen sich Enttäuschung und Entmutigung oft erst nach und nach ein, und die Reuegefühle bleiben, erläutern Davidai und Gilowich. Und selbst wenn sich heftige Reue darüber zeigt, ein Ideal nicht verwirklicht zu haben, wird es doch wieder hintangestellt, zugunsten von Verpflichtungen.
Shai Davidai, Thomas Gilowich: The ideal road not taken: The self-discrepancies involved in people’s most enduring regrets. Emotion, 18, 3, 2018. DOI: 10.1037/emo0000326