Anorexia nervosa: Magersucht erkennen & behandeln

Was umgangssprachlich als Magersucht bezeichnet wird, ist eine schwere Essstörung. Was sind erste Anzeichen, Symptome und Therapiemöglichkeiten?

Eine sehr dünne Frau schaut kritisch in den Spiegel und betrachtet ihren Körper
Menschen mit Anorexia nervosa empfinden sich selbst als zu dick, obwohl sie objektiv betrachtet zu wenig wiegen. © vadimguzhva/GettyImages

Definition: Was ist Magersucht?

Anorexia nervosa - umgangssprachlich auch als Magersucht bezeichnet - ist eine schwere Essstörung, die mit einem starken Gewichtsverlust einhergeht. Der oft synonym verwandte Begriff Anorexie ist aus fachlicher Sicht nicht korrekt: Darunter verstehen Ärztinnen und Ärzte jede Form von Appetitlosigkeit, egal ob sie durch einen Darminfekt ausgelöst wurde, durch Prüfungsangst oder durch andere Ursachen. Anorexie ist also der Name eines Symptoms, Anorexia nervosa der einer Erkrankung.

Anorexia nervosa ist eine Störung des Essverhaltens, die in schweren Fällen tödlich enden kann. Sie ist kein harmloser Lifestyle oder Trend, sondern bedarf zwingend einer professionellen Behandlung durch entsprechend ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten.

Menschen mit Magersucht haben häufig ein sehr niedriges Körpergewicht – als Grenze gilt je nach Diagnosesystem ein Body-Mass-Index (BMI) von 17 bis 18,5; allerdings können auch normalgewichtige Personen magersüchtig sein. Sie definieren sich sehr stark über ihre Figur. Schlank zu sein, ist eine wesentliche Quelle ihres Selbstwerts. Typischerweise plagt sie daher eine panische Angst davor, an Gewicht zuzunehmen. Um das zu verhindern, fasten sie und treiben intensiv Sport, auch wenn sie schon bis auf die Knochen abgemagert sind. Manche Menschen mit Magersucht bringen sich selbst zum Erbrechen oder nehmen Abführmittel ein, um Kalorien zu verlieren.

Ihre Körperwahrnehmung ist verzerrt: Sie erleben sich oft als deutlich fülliger, als sie es objektiv sind. Während sie an Gewicht verlieren, nimmt diese Gefühl paradoxerweise oft noch zu. Gleichzeitig fehlt ihnen häufig die Einsicht, dass sie ihrem Körper durch die Art ihrer Ernährung massiv schaden.

Was ist der Unterschied zwischen Magersucht und Bulimie?

Auch bei Menschen mit einer Bulimie hängt der Selbstwert übermäßig von ihrer Figur ab. Anders als Magersüchtige sind sie aber nicht deutlich untergewichtig. Das ist das zentrale Unterscheidungsmerkmal zu einer Anorexia nervosa. Wichtigstes Symptom einer Bulimie sind regelmäßige Essattacken – einmal pro Woche oder häufiger. Dabei verlieren die Betroffenen vollkommen die Kontrolle über ihre Nahrungsaufnahme: Sie können nicht aufhören zu essen, selbst wenn sie es wollen. Bei diesen Anfällen, die bis zu 60 Minuten andauern, nehmen sie erhebliche Kalorienmengen zu sich. Aus Angst vor einer Gewichtszunahme bringen sie sich danach selbst zum Erbrechen, nehmen Abführmittel ein oder treiben exzessiv Sport.

Häufigkeit von Anorexia nervosa

Die Magersucht gilt als Krankheit der Moderne. Möglicherweise gab es aber schon im Mittelalter Fälle von Anorexia nervosa. Ein Beispiel ist die Heilige Katharina von Siena, die als Jugendliche immer weniger aß und 1380 im Alter von 33 Jahren völlig ausgezehrt starb.

Die Essstörung beginnt meist zu Beginn der Pubertät oder kurz davor. Die früher gehegte Annahme, dass es nach dem 20. Lebensjahr nicht mehr zu Neuerkrankungen kommen kann, stimmt nicht; allerdings sind diese späten Erkrankungen eher selten. Betroffen sind vor allem Frauen. Studien zufolge erkranken im Laufe ihres Lebens 0,1 bis 3,6 Prozent aller Frauen an Magersucht. Die genaue Zahl hängt unter anderem vom Kulturkreis ab; so ist sie in westlichen Ländern deutlich höher als in Afrika oder Südamerika. In Europa liegt sie bei 0,5 bis 2 Prozent.

Bei Männern ist das Erkrankungsrisiko um den Faktor 10 niedriger. Allerdings gibt es Forschende, die von einem erheblich geringeren Geschlechterunterschied ausgehen. Ihnen zufolge wird die Zahl der männlichen Betroffenen deutlich unterschätzt – unter anderem, weil sich die Diagnostik lange Zeit an Symptomen orientierte, die es bei Männern nicht gibt, etwa einem Ausbleiben der Regelblutung. Zudem begeben sich Männer seltener in Behandlung. Für die Bulimie liegen die Zahlen für beide Geschlechter etwas höher (0,3 bis 4,6 Prozent bei Frauen, 0,1 bis 1,3 Prozent bei Männern).

Symptome der Anorexia nervosa

Ein wesentliches Merkmal der Magersucht ist der dramatische Gewichtsverlust, der mit der Erkrankung einhergeht. Vielen Betroffenen gelingt es allerdings lange, ihren Zustand zu verbergen, indem sie weite Kleidung tragen, die ihren Körper verdeckt.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Symptome, die aber nicht unbedingt bei allen Erkrankten auftreten müssen.

Physische Symptome

Die körperlichen Veränderungen sind eine Folge der Mangelernährung. Sie fallen in der Regel umso stärker aus, je mehr Gewicht die Betroffenen verloren haben.

  1. Mangeldurchblutung mit Blaufärbung der Finger und Zehen

  2. schnelles Frieren

  3. Wundheilungsstörungen

  4. trockene Haut

  5. Haarausfall

  6. verzögerte Pubertätsentwicklung

  7. bei Mädchen/Frauen: Aussetzen der Regelblutung

  8. veränderte Laborwerte (verringerte Zahl weißer und roter Blutkörperchen, Elektrolytstörungen, Veränderung verschiedener Enzyme und Hormone im Blut)

  9. Verlust von grauer und weißer Hirnsubstanz, vor allem bei lang andauerndem starkem Untergewicht

Bei starker Abmagerung entwickeln Menschen mit Magersucht zudem oft am ganzen Körper eine flaumartige, farblose, kurze Behaarung. Diese sogenannte Lanugobehaarung kennt man ansonsten nur bei Säuglingen.

Verhaltensänderungen

Charakteristisch für die Anorexia nervosa ist ein drastisch geändertes Essverhalten. Bei vielen betroffenen Mädchen und Jungen äußert sich das zunächst in dem Wunsch, sich gesünder zu ernähren. Sie stellen zum Beispiel auf vegetarische oder vegane Kost um, verzichten auf Süßigkeiten und Fett oder beginnen eine Diät. Später lassen die Mädchen und Jungen dann ganze Mahlzeiten weg. Typische Symptome sind zudem:

  1. Kalorienzählen

  2. häufiges Wiegen, mitunter mehrfach pro Tag

  3. exzessiver Sport; die Betroffenen versuchen zwanghaft, ständig in Bewegung zu sein, selbst wenn sie kraftlos und erschöpft sind

  4. Ess-Rituale (zum Beispiel Mahlzeiten nur als Belohnung für Sport)

  5. Mahlzeiten werden alleine eingenommen, nicht zusammen mit anderen

  6. sozialer Rückzug

Psychische Symptome

Hinzu kommen charakteristische psychische Merkmale. Sie werden zum Teil vermutlich durch den Kalorienmangel mit ausgelöst oder zumindest verstärkt.

  1. panische Angst davor zuzunehmen

  2. Gedanken kreisen ständig ums Essen und um das eigene Gewicht

  3. Stimmungsschwankungen und depressive Verstimmungen

  4. Interessensverlust

Ursachen und Risikofaktoren für Magersucht

Lange Zeit galt die Anorexia nervosa als eine rein psychische Erkrankung. Inzwischen mehren sich jedoch die Anzeichen, das auch körperliche Faktoren – etwa bestimmte Stoffwechsel-Eigenschaften, die vermutlich erblich bedingt sind – bei ihrer Entstehung eine Rolle spielen. Sie ähnelt in diesem Punkt der Adipositas, der krankhaften Fettleibigkeit. Laut der aktuellen Behandlungsleitlinie geht die Wissenschaft heute davon aus, dass biologische, psychische und Umweltfaktoren bei der Entstehung einer Magersucht zusammenwirken.

Biologische Faktoren

Magersucht kommt familiär gehäuft vor: Töchter oder Schwestern von Betroffenen tragen ein mehr als zehnfach erhöhtes Risiko, ebenfalls zu erkranken. Zwillingsstudien zeigen, dass dieses erhöhte Risiko nicht maßgeblich auf das gemeinsame familiäre Umfeld zurückzuführen ist, sondern vor allem genetische Ursachen hat: Bei eineiigen (also genetisch identischen) Zwillingspärchen sind weitaus häufiger beide Geschwister betroffen als bei zweieiigen. Neue Studien mit sehr hohen Zahlen von Probandinnen und Probanden lassen erstmals Rückschlüsse auf die verantwortlichen Gene zu. Demnach könnten bei der Krankheitsentstehung Erbanlagen eine Rolle spielen, die auch zu Zwangserkrankungen, Angststörungen und Depressionen beitragen. Zudem scheinen Magersüchtige von Natur aus über bestimmte Stoffwechseleigenschaften zu verfügen, die sie für ihre Erkrankung anfälliger machen – etwa einen veränderten Spiegel des „Sättigungs-Hormons“ Leptin. Sie haben außerdem vermutlich eine angeborene Disposition für ein niedriges Gewicht.

Eine wichtige Rolle bei der Entstehung oder Aufrechterhaltung der Krankheit scheinen zudem die Mikroorganismen im Darm zu spielen, das sogenannte Mikrobiom. In diese Richtung deuten etwa Experimente mit Mäusen, denen Stuhlproben magersüchtiger Patientinnen implantiert wurden. Die Tiere nahmen danach langsamer zu und hatten einen geringeren Appetit. Darmbakterien helfen bei der Verdauung; möglicherweise ist das Mikrobiom bei Magersüchtigen so verändert, dass es die Nahrung nicht mehr so gut aufschließen kann. Außerdem können die Mikroorganismen neuroaktive Botenstoffe herstellen oder abbauen und dadurch vermutlich Stimmung und Appetit beeinflussen. Bisher ist allerdings unklar, ob das veränderte Mikrobiom Ursache oder Folge der Erkrankung ist.

Psychische Faktoren

Menschen mit Anorexia nervosa haben häufig ein niedriges Selbstwertgefühl, das zudem stark von der Figur abhängt. Ebenfalls charakteristisch ist ein ausgeprägter Perfektionismus. Als potenzielle Risikofaktoren gelten auch ein ängstlich-vermeidender oder zwanghafter Persönlichkeitsstil, eine unsichere Bindung sowie Schwierigkeiten in der Affektregulation. Viele Betroffene scheinen zudem Schwierigkeiten zu haben, die körperlichen und psychischen Entwicklungsschritte in der Pubertät zu bewältigen.

Soziale und kulturelle Faktoren

Forschende gehen davon aus, dass das in westlichen Industrieländern vorherrschende Schlankheitsideal die Entstehung der Magersucht begünstigt. Tatsächlich ist die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ein wichtiges Merkmal der Essstörung. Experimentelle Studien zeigen zudem, dass Versuchspersonen ihr Aussehen negativer bewerten, wenn sie sich zuvor Bilder schlanker Frauen und Männer angesehen haben. Das gilt vor allem für Menschen mit einem ohnehin geringen Selbstwert. Durch die sozialen Medien haben Jugendliche heute mehr Gelegenheit als jemals zuvor, sich mit anderen zu vergleichen. Dadurch hat sich das Problem verschärft. Allerdings sind solche Bilder nicht alleiniger Auslöser einer Magersucht. Sie können aber das Erkrankungsrisiko für Menschen erhöhen, die ohnehin gefährdet sind. Auch figurbedingtes Mobbing gilt als ein Risikofaktor.

Belastende Lebensereignisse wie die Scheidung der Eltern, der Tod einer Bezugsperson oder Missbrauch erhöhen das Erkrankungsrisiko ebenfalls. Das gilt jedoch nicht nur für die Magersucht, sondern auch für andere psychische Störungen. Lange Zeit wurden zudem Faktoren wie eine überbehütende Erziehung und die Vermeidung von Konflikten in der Familie als Auslöser der Anorexia nervosa postuliert. In Studien haben sich diese Annahmen jedoch nicht bestätigt. Allerdings scheinen hohe elterliche Erwartungen und Kritik sowie ein geringer emotionaler Rückhalt mit einer schlechteren Heilungschance einherzugehen.

Weitere Faktoren

Menschen mit Magersucht waren oft schon im Kleinkindalter schlechte Esser. Sie litten zudem in ihrer Kindheit auffällig häufig unter Magen-Darm-Problemen. Beide Phänomene gelten daher als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Anorexia nervosa, ebenso wie ein unterdurchschnittliches Gewicht in den ersten Lebensjahren und Diäten in der Kindheit oder der Jugend.

Auch manche Sportarten – besonders solche wie Ballett oder Turnen, für die ein geringes Gewicht vorteilhaft ist – können mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko einhergehen, insbesondere wenn sie als Leistungssport betrieben werden.

Diagnose von Anorexia nervosa

Wichtig für die Diagnose ist ein Gespräch mit der oder dem Betroffenen. Außerdem wir der Arzt oder die Ärztin eine gründliche körperliche Untersuchung vornehmen und verschiedene Laborparameter (Blutwerte, Stuhluntersuchung, EKG) erheben, um alternative Erklärungen für die Symptome auszuschließen.

Laut dem internationalen Diagnosesystem DSM-5 der US-amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft müssen für die Diagnose drei Faktoren zusammenkommen:

  1. eine eingeschränkte Energieaufnahme, die zu einem erheblichen Untergewicht führt

  2. die panische Angst zuzunehmen; dieses Kriterium gilt auch dann als erfüllt, wenn die Betroffenen diese Sorge nicht explizit äußern, jedoch trotz Untergewicht dauerhaft eine Gewichtszunahme verhindern

  3. eine sogenannte Körperschemastörung, bei der die Betroffenen sich oder Teile ihres Körpers als dicker einschätzen, als sie wirklich sind; zudem haben Figur und Gewicht einen unangemessenen Einfluss auf das Selbstwertgefühl der Betroffenen, und es fehlt ihnen häufig die Einsicht, dass sie sich mit ihrem Verhalten schaden

Das DSM-5-Manual unterteilt die Magersucht in unterschiedliche Schweregrade, die sich am Body-Mass-Index (BMI) orientieren. Dieser berechnet sich, indem man das Körpergewicht (in Kilogramm) durch das Quadrat der Körpergröße (in Metern) teilt. Als normal gilt ein BMI von 20 bis 25. Bis zu einem BMI von 17 gilt die Magersucht als leicht, bis 16 als mittel, bis 15 als schwer und darunter als extrem.

Auch das Krankheits-Klassifikationssystem ICD der Weltgesundheitsorganisation WHO unterscheidet in seiner aktuellen 11. Fassung zwischen verschiedenen Schweregraden. Als oberen Schwellenwert nennt es einen BMI von 18,5. Allerdings reicht laut ICD-11 ein niedriges Körpergewicht (oder alternativ ein ausgeprägter Gewichtsverlust) für die Diagnose einer Anorexia nervosa nicht aus – begleitend müssen Faktoren wie eine durchgehend eingeschränkte Nahrungsaufnahme, exzessive körperliche Aktivität, die Angst vor einer Gewichtszunahme sowie die Überbewertung einer schlanken Figur hinzukommen.

Typen der Anorexia nervosa

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Typen der Anorexia nervosa, die mit spezifischen Verhaltensmustern einhergehen.

Restriktiver Typ: Bei der Magersucht vom restriktiven Typ verlieren die Betroffenen Gewicht, indem sie ihre Nahrungsaufnahme einschränken. Häufig treiben sie zusätzlich exzessiv Sport oder ergreifen andere Maßnahmen, die zu einem erhöhten Energieverbrauch führen (zum Beispiel Aufenthalt in der Kälte, um zu frieren).

Binge eating/Purging-Typ: Bei dieser Form werden die Betroffenen regelmäßig von Essanfällen (englisch: „binge eating“) geplagt. Sie bringen sich danach oft absichtlich zum Erbrechen oder nehmen Abführmittel ein, um die aufgenommenen Kalorien loszuwerden (im englischen Sprachgebrauch als „Purging“ bezeichnet). Diese Symptome ähneln stark denen einer Bulimie, die aber – anders als die Magersucht – nicht mit Untergewicht einhergeht.

Unabhängig vom Essverhalten differenziert die Fachliteratur zudem zwischen zwei weiteren Typen der Magersucht:

Atypische Anorexia nervosa: Die atypische Anorexia nervosa erfüllt alle Kriterien der Magersucht, die Betroffenen sind jedoch nicht untergewichtig. Typischerweise haben sie aber dennoch erheblich an Gewicht verloren, da sie vor der Erkrankung einen deutlich erhöhten BMI hatten. Diese Form wird immer häufiger diagnostiziert. Sie verläuft trotz des höheren Gewichts der Erkrankten oft ähnlich schwer wie die klassische Anorexia nervosa.

Kindliche Magersucht: Bei dieser Form sind die betroffenen Mädchen und Jungen bei Ausbruch der Erkrankung noch nicht in der Pubertät. Viele von ihnen kommen aus dem Leistungssport. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Erkrankungstypus in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Er hat eine besonders schlechte Prognose.

Verlauf und Prognose bei Anorexia nervosa

Die Magersucht ist eine schwere und langwierige Erkrankung, die häufig über viele Jahre andauert. Laut Studien ist die Sterblichkeit der Betroffenen fast sechsmal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Im Vergleich zu anderen psychischen Störungen hat sie damit die höchste Mortilitätsrate.

Etwa 50 Prozent der Patientinnen und Patienten werden geheilt. Bei weiteren 30 Prozent verbessert sich der Zustand deutlich. In einem Fünftel der Fälle wird die Krankheit jedoch chronisch. Am langwierigsten und schwersten verläuft die kindliche Anorexia nervosa. Wenn die Krankheit erst im Erwachsenenalter beginnt, ist Prognose ebenfalls schlechter. Auch ein später Therapiebeginn, ein niedriger BMI beim Start der Behandlung und der Binge-Purge-Verhaltenstyp erschweren die Behandlung.

Am günstigsten sind die Behandlungsaussichten bei der Anorexia nervosa im Jugendalter. In den vergangenen 20 Jahren haben sich ihre Heilungschancen noch einmal verbessert. Als entscheidend für den Erfolg gilt ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn. In Deutschland vergehen zwischen Ausbruch der Krankheit und ihrer Diagnose durch eine Ärztin oder einen Arzt allerdings im Schnitt immer noch sechs Monate.

Was sind die Folgen einer Magersucht?

Die chronische Mangelernährung führt zu einer Reihe körperlicher Schäden, von denen viele nach der Gesundung wieder verschwinden. Häufige Folgen sind Durchblutungsstörungen, Verdauungsprobleme, Veränderungen des Elektrolythaushalts und Herzrhythmusstörungen, oft begleitet von einem verlangsamten Herzschlag. Gravierende Nierenfunktionsstörungen können im Laufe der Erkrankung hinzukommen. Die Patientinnen und Patienten leiden zudem oft unter einer trockenen Haut, Haarausfall und Zahnschäden.

Aufgrund von Hormonumstellungen verlieren sie ihr sexuelles Interesse. Damit einher gehen Fruchtbarkeitsstörungen, bei Mädchen bleibt die Regelblutung aus. Oft ist der Knochenstoffwechsel der Betroffenen gravierend beeinträchtigt, sodass sie stärker zu Brüchen neigen. Ihr Risiko, langfristig eine Osteoporose (also einen ausgeprägten Knochenschwund mit erhöhter Bruchgefahr) zu entwickeln, ist dadurch erhöht. Hinzu kommen Wachstumsstörungen, gerade wenn die Krankheit vor dem Wachstumsschub in der Pubertät begonnen hat. Durch den Ernährungsmangel und die hormonellen Umstellungen kann es zudem zu einer Abnahme der grauen und weißen Hirnsubstanz kommen.

Manche dieser Folgeschäden sind nach heutigem Kenntnisstand irreversibel. Dazu zählen etwa das erhöhte Osteoporose-Risiko oder auch der Minderwuchs. Ob die Schrumpfung des Gehirns ebenfalls darunter fällt, ist noch unklar. Untersuchungen von Erwachsenen mit Magersucht sprechen dafür, dass sich das Gehirn wieder erholt. Es fehlen jedoch Langzeitstudien bei Jugendlichen – die Pubertät gilt als besonders sensible Phase, da zu dieser Zeit das Gehirn deutlich umgebaut wird.

Die Mangelernährung hat auch psychische Konsequenzen. Krankheitstypische Symptome wie Stimmungsschwankungen, Niedergeschlagenheit, Konzentrationsstörungen und Interessensverlust sind zumindest teilweise auf die Unterversorgung des Körpers mit Nährstoffen und Energie zurückzuführen.

Welche Therapie hilft bei Anorexie?

Menschen mit Magersucht benötigen professionelle Hilfe, um ihre Erkrankung zu bewältigen. Die Behandlung erstreckt sich meist über mehrere Jahre, das Risiko zwischenzeitlicher Rückfälle ist hoch. Allerdings hat die Therapie in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Besonders große Erfolge haben Ärztinnen und Therapeuten, die auf Magersüchtige spezialisiert sind und eine hohe Expertise auf diesem Gebiet vorweisen können. Je frühzeitiger die Therapie beginnt, desto größer sind die Heilungschancen.

Psychische Probleme können eine Anorexia nervosa begünstigen. Die Betroffenen begegnen ihnen mit einer Einschränkung der Nahrungsaufnahme. Die Mangelernährung führt allerdings dazu, dass diese Probleme – mangelndes Selbstwertgefühl, Ängste, negative Stimmung – noch zunehmen und sich zusätzlich der gedankliche Fokus auf die Figur und das eigene Gewicht verstärkt. Magersüchtige sind also in einer Art Teufelskreis gefangen, aus dem sie selbstständig kaum herausfinden können. Ein zentrales Ziel der Behandlung ist daher stets, das Gewicht der Betroffenen rasch zu normalisieren, da sich in der Folge neben den körperlichen auch viele psychische Symptome deutlich bessern. Zusätzlich nimmt die Therapie Risikofaktoren wie mangelndes Selbstbewusstsein, (soziale) Ängste und Perfektionismus in den Blick.

Ernährungstherapie

In der Akutphase der Magersucht geht es vor allem darum, das gravierende Untergewicht zu bekämpfen. In aller Regel erfolgt dazu eine spezielle Ernährungstherapie, die in schweren Fällen stationär stattfindet. Die Betroffenen erlernen wieder ein normales Essverhalten, das schließlich auch Snacks und Süßigkeiten umfasst. Dabei helfen ihnen Essprotokolle oder Essenspläne. Häufig vereinbaren sie mit ihren Therapeutinnen und Therapeuten in einer Art Vertrag eine schrittweise Gewichtszunahme, bis sie ihr Zielgewicht erreicht haben. Ein wichtiger Teil der Therapie ist die Aufklärung über eine ausgewogene Ernährungsweise, um Fehlannahmen der Patientinnen und Patienten zu korrigieren.

Psychotherapeutische Therapieansätze

Die Ernährungstherapie wird von psychotherapeutischen Therapiebausteinen begleitet. Inzwischen gibt es eine Reihe unterschiedlicher Methoden, die sich in Studien als wirksam herausgestellt haben.

In Deutschland werden Magersüchtige oft mit einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt. Diese Form zielt darauf ab, schädliche Verhaltensweisen zu korrigieren – bei der Magersucht sind das etwa das Weglassen bestimmter Lebensmittel, aber auch die Aufgabe von Hobbys oder der soziale Rückzug, wodurch Erfolgserlebnisse in anderen Lebensbereichen ausbleiben. Darüber hinaus soll die Therapie den Betroffenen helfen, ihre verzerrte Körperwahrnehmung zu korrigieren und den Fokus auf eine schlanken Figur zu reduzieren.

Ein zweiter verbreiterter Behandlungsansatz ist hierzulande die psychodynamische Therapie. Hinter ihr steckt der Gedanke, dass die Essstörung Ausdruck psychischer und zwischenmenschlicher Konflikte ist. Die Betroffenen lernen im Laufe der Behandlung, diese Konflikte zu identifizieren und zu verstehen. Das eröffnet ihnen die Möglichkeit, sinnvollere und gesündere Auswege zu finden, so dass sie die Magersucht als vermeintliche Lösungsmöglichkeit nicht mehr benötigen.

Im englischsprachigen Raum gelten dagegen Behandlungsverfahren unter Einbezug der Familie als Mittel der Wahl, etwa die familienbasierte Therapie (FBT). Bei ihr werden die Eltern eng in die Behandlung einbezogen und gewissermaßen zu Ko-Therapeutinnen und -Therapeuten. Die Magersucht ist der gemeinsame Feind, den es zu bekämpfen gilt. Die Eltern kontrollieren anfangs Ernährung und Gewicht ihrer Tochter oder ihres Sohns, halten sich dann aber mit zunehmenden Behandlungsfortschritten mehr und mehr zurück. Daran schließt sich eine dritte Phase an, in der eine gesunde Beziehung zwischen ihnen und der Patientin/dem Patienten im Vordergrund steht. Die FBT hat sich in Studien bei Jugendlichen mit Anorexia nervosa als sehr wirksam erwiesen.

Speziell an Erwachsene richtet sich dagegen das sogenannte Maudsley model of anorexia nervosa treatment for adults (MANTRA). Dabei handelt es sich um eine spezielle Form der kognitiven Verhaltenstherapie. Sie soll die Betroffenen dazu motivieren, sich mit Einstellungen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen, die als zentral für die Entstehung einer Magersucht gelten. Erste Studien bescheinigen der Methode eine gute Wirksamkeit. Als vielversprechend gelten auch expositionsbasierte Verfahren: Sie gehen davon aus, dass gewisse Verhaltensweisen – die Angst vor Übergewicht, die Vermeidung kalorienreicher Kost – durch Konditionierungsprozesse erlernt wurden und sich gezielt wieder löschen lassen. Dazu werden Magersüchtige mit ihren Ängsten konfrontiert – etwa, indem sie in Anwesenheit einer Therapeutin oder eines Therapeuten kalorienreiche Nahrung zu sich nehmen, ohne danach erbrechen zu dürfen. Noch liegen zu dieser Methode zu wenige Befunde vor, als dass sich ihre Wirksamkeit sicher beurteilen ließe. Das gilt auch für Verfahren wie die tiefe Hirnstimulation, bei der bestimmte Hirngebiete mit Elektroden regelmäßig elektrisch gereizt werden. Es gibt erste Hinweise darauf, dass das Verfahren bei besonders schweren und langanhaltenden Fällen helfen kann.

Behandlung mit Medikamenten

Es gibt bislang keine Medikamente gegen die Magersucht. Als Hoffnungsträger galten zwischenzeitlich bestimmte Antidepressiva, die sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Sie haben sich in Studien jedoch nicht als wirksam erwiesen. Ähnliches gilt für Arzneimittel, die zur Behandlung von Psychosen entwickelt wurden. Eine Ausnahme stellt das Antipsychotikum Olanzapin dar. Es wird in der aktuell gültigen Behandlungsleitlinie in Einzelfällen zur Therapie der Anorexia nervosa empfohlen, etwa bei Betroffenen mit ausgeprägtem Bewegungsdrang. Auch gegen eine zwanghafte Fixierung auf Figur und Gewicht kann Olanzapin vermutlich helfen.

Zur Vorbeugung einer Osteoporose erhalten Menschen mit Magersucht oft Vitamin-D-Präparate. Außerdem wird bei der Ernährung während der Therapie auf eine ausreichende Kalziumzufuhr geachtet.

Stationäre vs. ambulante Behandlung bei Magersucht

In Deutschland gilt die stationäre Behandlung der Magersucht als Methode der Wahl, da sie eine engmaschige Betreuung durch ein multidisziplinäres Team ermöglicht. In bestimmten Fällen ist eine Behandlung in einer spezialisierten Klinik unumgänglich. Dazu zählen etwa ein ausgeprägtes Untergewicht, ein besonders schneller und starker Gewichtsverlust, schwere körperliche Komplikationen, Selbstmordgefährdung und das Scheitern ambulanter Therapieversuche.

Nachteil der stationären Therapie ist, dass die Betroffenen den Umgang mit ihren sozialen Problemen oder Ängsten oft nicht ausreichend trainieren. Die Klinik wird als geschützter Raum empfunden; sie erleichtert es, den Kontakt zur Außenwelt zur vermeiden. Der stationäre Aufenthalt sollte daher so kurz wie nötig sein. Körperlich stabile Patientinnen und Patienten können auch in einer Tagesklinik behandelt werden, die sie abends verlassen, um zuhause zu schlafen. Ein relativ neuer Ansatz ist das Home Treatment: Dabei werden die Betroffenen nach einer sechs- bis achtwöchigen stationären Phase zuhause weiterbehandelt und von einem multidisziplinären Team engmaschig betreut – anfangs mehrfach pro Woche, dann immer seltener. Die Eltern werden in die Therapie eingebunden.

Nach einem Aufenthalt in einer (Tages-)Klinik oder nach Abschluss des Home Treatments sollten die Betroffenen mindestens ein Jahr lang ambulant weiterbehandelt werden.

Präventive Maßnahmen und Ansätze

Weltweit gibt es inzwischen zahlreiche unterschiedliche Präventionsprogramme, die der Entwicklung von Essstörungen wie der Magersucht vorbeugen sollen. Viele von ihnen sind schulbasiert. Bei ihnen besuchen beispielsweise geschulte Fachkräfte die Klassen und klären über Risikofaktoren (Perfektionismus, Unzufriedenheit mit der Figur, geringer Selbstwert) sowie die Entwicklung der Krankheit (Diäten, Auslassen von Mahlzeiten, zunehmende Störung des Körperbildes) auf.

Als besonders effektiv gelten Programme, die die Mädchen und Jungen getrennt ansprechen. In diese Kategorie fällt das deutsche PriMa-Programm (PriMa steht für Primärprevention Magersucht), das sich ausschließlich an Mädchen der sechsten Klasse richtet. Es umfasst neun Doppelstunden, die etwa innerhalb einer Projektwoche stattfinden können. Für Jungen gibt es inzwischen ein ähnliches Programm namens TOPP (Teenager ohne pfundige Probleme).

Studien zeigen, dass Präventionsprogramme bestimmte Risikofaktoren für die Entwicklung einer Magersucht reduzieren können, etwa die Verinnerlichung des Schlankheits-Ideals oder die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Leider gibt es noch wenige Langzeituntersuchungen dazu, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tatsächlich seltener erkranken. Eine Evaluation des PriMa-Programms zeigte nach sieben bis acht Jahren keine Verringerung. Allerdings nahmen von den ursprünglich 1.500 Mädchen, die das Programm durchlaufen hatten, nur 100 an der Nachuntersuchung teil.

Wie Sie erste Anzeichen einer Magersucht erkennen

Eine Magersucht entwickelt sich schleichend über Wochen bis Monate hinweg. Das macht es schwieriger, sie zu erkennen. Zudem sind Magersüchtige oft sehr geschickt darin, ihre Symptome zu verstecken. Sie tragen zum Beispiel weite Kleidung, um ihre Figur zu verhüllen, und essen nicht in Anwesenheit anderer. Freunden oder Angehörigen fällt daher meist vor allem auf, dass die Betroffenen sich sozial zurückziehen und das Interesse an ihren Hobbys verlieren.

Viele Betroffene zeigen wenig oder keine Einsicht in ihre Erkrankung. Der Anstoß, sich Unterstützung zu suchen, kommt deshalb oft von außen. Wer – aus aufgrund Hinweisen von anderen oder doch aus eigenem Impuls – Sorge hat, an Magersucht erkrankt zu sein, sollte eine Ärztin oder einen Psychotherapeuten aufsuchen. Erste Anhaltspunkte auf eine Erkrankung kann ein Selbsttest liefern. Wenn Sie beispielsweise

  1. sehr viel darüber nachdenken, was und wie viel Sie essen

  2. heimlich essen oder das Essen im Beisein anderer vermeiden

  3. sich manchmal überessen und danach übergeben, um nicht zuzunehmen

  4. Ihr Gewicht häufig kontrollieren

  5. sich aufgrund Ihrer Figur schlecht oder minderwertig fühlen,

kann das auf eine Anorexia nervosa oder eine Bulimie hindeuten. Ein wichtiges Anzeichen bei jungen Frauen ist zudem das Ausbleiben der Monatsblutungen.

Informationen für Betroffene und Angehörige

Seriöse Informationen über die Erkrankung finden Sie auf folgenden Internetseiten:

Fundierte Zusammenfassung rund ums Thema Magersucht

Einen leichtverständlichen Überblick bietet auch der Ratgeber Magersucht. Er ist zwar bereits vor einigen Jahren erschienen, inhaltlich über weite Strecken aber immer noch aktuell:

Thomas Paul, Ursula Paul: Ratgeber Magersucht: Informationen für Betroffene und Angehörige. Hogrefe 2008

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