„Negative Gefühle haben einen schlechten Ruf.“

Ständig gut gelaunt sein zu müssen, macht krank! Wir erlauben unseren Mitmenschen nicht, dass es ihnen schlecht geht. Das stört Thomas Prünte.

Mich erfasst ein gewisses Unbehagen, wenn ich verfolge, wie schnell und selbstverständlich die sogenannten „negativen Gefühle“ ins Positive verwandelt oder an Fachleute delegiert werden sollen. Dazu zwei Beispiele:

Im Erstgespräch antwortet eine Patientin auf die Frage, was sie von der Therapie erwarte: „Ich möchte, dass es mir schlechtgeht.“ Das irritiert. Doch dann erläutert sie: „Ich möchte, dass es mir schlechtgehen darf. Von Kindesbeinen an hatte ich gute Laune zu haben, sollte mich nicht so anstellen und der Sonnenschein meiner Familie sein. Das hat mich krank gemacht.“

Eine Leserin schreibt mir: „Ich kann in Krisen keine Chancen sehen. Die verbreitete Aufforderung, in allem eine Chance sehen zu müssen, empfinde ich als realitätsfern. Sie spiegelt nicht meine Wirklichkeit wider. Jede Krise, die ich durchlitten habe, hat mich Kraft gekostet. Ich bin froh, über die Runden zu kommen.“

Idealisierung der guten Laune

Wir können zumindest in unseren Breitengraden nicht mehr unbelästigt von guten Ratschlägen leiden. Stattdessen wird reflexartig empfohlen, das Positive zu sehen oder einen Therapeuten aufzusuchen. Ist es das, was wir wollen? An der smiley sickness, wie es die Amerikaner nennen, zugrunde gehen? An der Idealisierung der guten Laune ersticken und zwischenmenschlich verarmen?

Ein junger Mann, der an Hodenkrebs erkrankt gewesen war, berichtete von seinen Erfahrungen am Kranken­bett: „Fast alle meine Freunde haben mir kleine Büchlein, Postkarten oder Ratgeber mitgebracht. Ich solle an mich glauben und positiv denken. Das war sicher gut gemeint, aber mir ging es danach schlechter.“ Auf meine Nachfrage, was er denn stattdessen gebraucht hätte, sagte er: „Einen Freund, der einfach meine Hand nimmt, mich fragt, wie es mir geht, und sagt, ich bin für dich da.“

Ein Freund kann meine Antwort abwarten

Wie wäre es mit folgender Alternative: Wir halten das Schlechtgehen unserer Freundinnen, Partner, Verwandten und Mitmenschen aus. Akzeptieren, dass wir selbst oft ratlos und überfordert sind. Dass wir unsicher sind, was wirklich helfen könnte. Und fragen stattdessen nach und nehmen die Antworten ernst. „Ein Freund ist jemand, der dich fragt, wie es dir geht – und auch noch die Antwort abwarten kann“, heißt es in einem bitteren Bonmot.

Mein Appell: Empört euch über die einseitige Propaganda der guten Laune, das Ideal der Selbstoptimierung und eine zu große Ichbezogenheit. Warum? Alle „unguten Gefühle“ tragen eine Information in sich über das, was wirklich los ist. Trauer weist auf einen Verlust hin, Angst auf eine reale oder potenzielle Bedrohung sowie fehlenden Schutz und mangelnde Sicherheit, Kränkungen und Zorn auf Verletzungen, Ungerechtigkeiten und Grenzüberschreitungen, eine schlechte Laune auf eine diffuse Unzufriedenheit mit etwas noch nicht genauer Erfasstem. Ich plädiere dafür, die „unguten Gefühle“ ins emotionale Weltkulturgut aufzunehmen.

Thomas Prünte ist Psychologischer Psycho­therapeut und Paartherapeut in Hamburg und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht.

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