Was ist eine Wahnüberzeugung?
Lincoln: Wahnüberzeugungen kommen beispielsweise bei psychotischen Erkrankungen relativ oft vor, aber auch darüber hinaus: Es handelt sich um eine Idee, an die die Personen fest glauben, für deren Realität es aber keine Evidenz gibt. Das kann die Vorstellung sein, dass man ständig verfolgt wird, dass man eine ganz besondere, spezielle Fähigkeit besitzt, dass man in anderen Menschen etwas sieht, was es nicht gibt.
Eine Wahnidee kann auch religiös sein oder darin bestehen, zufällige Dinge auf sich zu beziehen– Sie hören zum Beispiel ein Lied im Radio und halten es für eine substanzielle Botschaft. In diesem Fall spricht man von Beziehungswahn. Diese Vorstellungen sind sehr stabil, Menschen glauben fest daran. Aber sie kommen meistens wegen der Folgen solcher Ideen in Therapie.
Welche Folgen sind das?
Korff: Sie können extrem belastend sein, etwa wenn Betroffene sich kaum noch raus trauen oder die Jalousien nicht mehr öffnen. Sie richten ihr ganzes Leben nach ihren Wahnüberzeugungen aus, haben permanent Angst und sind stark beeinträchtigt. Als Problem wird meist diese Belastung gesehen. Dass die Überzeugungen nicht der Realität entsprechen, ist oft nicht bewusst. Manche Patientinnen und Patienten haben aber auch vor einer Therapie schon Zweifel an ihren Ideen, gelegentlich gibt es eine Vordiagnose.
Manchmal steckt in der Überzeugung aber auch Realität. Wir hatten zum Beispiel einmal eine Patientin, die extrem gemobbt wurde. Für sie war es eine enorme Erleichterung, dass wir ihr geglaubt haben. In unserer Hochschulambulanz an der Universität Hamburg wollen wir verstehen, wie es zu der Wahnüberzeugung kommt und wie die Belastung verringert werden kann. Interessant ist dabei zum Beispiel, dass Wahnüberzeugungen oft auch eine psychische Funktion zu haben scheinen: Sie können helfen, den Selbstwert zu regulieren – allerdings nur kurzfristig.
Hilft eine Psychotherapie?
Lincoln: Ja, bei einer tragfähigen psychotherapeutischen Beziehung und einer direkten Bearbeitung der Wahnüberzeugungen kann es gelingen, dass sich die Patienten davon distanzieren und somit auch die psychische Belastung zurückgeht. In der Therapie geht es aber nicht darum, eine Wahnüberzeugung komplett aufzulösen, sondern wir wollen mehr Flexibilität bei den Erklärungen ermöglichen. Wir wollen Betroffenen helfen, sich nicht komplett auf ihre Interpretation von Ereignissen festzulegen, sondern wieder andere Erklärungen stärker in Betracht zu ziehen.
Eine typische Frage ist also: Gibt es auch Dinge, die gegen Ihre Überzeugung sprechen? Oder: Was wäre, wenn Sie die Überzeugung aufgeben würden, wie ginge es Ihnen dann?
Sie sagen, dass auch die bekannten Denkfehler, die wir alle mehr oder weniger begehen, solche Überzeugungen aufrechterhalten.
Korff: Ja, wir alle haben eine selektive Aufmerksamkeit, neigen mitunter zu kurzfristigen Schlussfolgerungen, ohne dass uns alle nötigen Informationen vorliegen, und wir alle tendieren manchmal zu monokausalen Erklärungen oder tun uns schwer mit dem Zufall.
Wie entwickeln sich wahnhafte Überzeugungen?
Lincoln: Soweit man es heute abschätzen kann, spielen sowohl die genetische Disposition als auch die Erfahrungen, die jemand macht, eine Rolle. Welche neurokognitiven Mechanismen aber dann genau dazu führen, dass jemand richtige Wahnvorstellungen entwickelt, ist noch nicht so richtig verstanden.
Samya Korff ist Psychologische Psychotherapeutin am Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie am Institut für Psychologie der Universität Hamburg.
Tania Lincoln ist Professorin für klinische Psychologie und leitet den Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie am Institut für Psychologie der Universität Hamburg.
Quelle
Samya Korff, Tania Lincoln: Kognitiv-Verhaltenstherapeutische Ansätze bei Wahnüberzeugungen. Psych up2date 17/2, 2023. DOI: 10.1055/a-1806-6562