Tränen für die Serienheldin

Werden unsere emotionalen Bedürfnisse nach Nähe oder Autonomie nicht erfüllt, kann uns das zum Weinen bringen. Manchmal weinen wir auch "stellvertretend".

Uns kommen die Tränen, wenn ein wichtiges emotionales Bedürfnis (nicht) erfüllt wurde. © Michael Bihlmayer/Getty Images

Mit der einmaligen menschlichen Fähigkeit des Weinens beschäftigen sich Psychologinnen und Psychologen schon lange. Die psychologischen Ursachen dafür, dass wir bei unterschiedlichen Anlässen in Tränen ausbrechen, haben nun zwei Forscher in einer Taxonomie zusammengefasst und diese empirisch getestet. Indem wir weinen, reagieren wir mit starken Emotionen auf einen Anlass, bei dem zentrale Bedürfnisse nach Nähe, Harmonie, Kompetenz, Autonomie erfüllt werden – oder gerade nicht. Es sind – wie diese Forschung nahelegt – aber nicht nur Verlusterfahrungen. Die Forschenden nennen die fünf wichtigsten emotionalen Gründe für das Weinen: 

Einsamkeit: Ein nicht gelöster Disput mit einer guten Freundin, eine Trennung, Heimweh, eine unerwartete Zurückweisung, all diese Erfahrungen können uns zum Weinen bringen – sie lösen das Gefühl aus, ganz allein zu sein.

Machtlosigkeit: Probandinnen und Probanden berichteten besonders oft, sich auf eine Todesnachricht hin völlig hilflos gefühlt zu haben und geweint zu haben.

Überforderung: Berichte, dass sich Befragte so überfordert fühlten, dass ihnen die Tränen kamen, stammten vor allem aus dem Arbeitskontext.

Harmonie: Wenn wir von etwas erfahren, das wir uns sehnlichst gewünscht haben oder wenn wir gemeinsam mit anderen in Gelächter ausbrechen, erfüllen diese Erfahrungen unser Bedürfnis nach Nähe und wir weinen vor Rührung und Freude.

Medienkonsum: Mit Serienheldinnen und Helden können wir uns so sehr identifizieren, dass wir in Tränen ausbrechen, wenn ihnen etwas passiert. Es können Tränen der Trauer, aber auch der Freude sein. Aber auch journalistische Nachrichten können uns laut der Studie sehr rühren oder traurig machen. Dies sei eine Art "stellvertretendes Weinen", meinen die Forschenden. 

Das Team resümiert: Wenn zentrale Bedürfnisse gar nicht oder im Gegenteil sehr intensiv erfüllt werden, kann uns das zum Weinen bringen. In der psychologischen Forschung sei noch relativ wenig darüber bekannt, ob Tränen einen Einfluss darauf haben, ob wir andere Personen unterstützen. Auch über die Rolle von Tränen bei psychiatrischen Erkrankungen sei noch wenig bekannt.

Rund 700 Erwachsene waren gebeten worden, sich an eine Situation zu erinnern, die sie zum Weinen gebracht hatte und zu beschreiben, was der Anlass war. Auf diese Weise entstanden mehr als tausend Berichte. Darüber hinaus organisierten die Wissenschaftler eine elektronische Tagebuchstudie, in der die rund 90 Teilnehmenden 30 Tage lang über ihre Smartphones befragt wurden. 

Michel Barthelmäs u. a.: Five reasons to cry – FRC: a taxonomy for common antecedents of emotional crying. Motivation and Emotion, 2022. DOI: 10.1007/s11031-022-09938-1

Lesen Sie auch: Nah am Wasser gebaut. Psychologie Heute 4/2021: Welche Rolle die Kultur, die Persönlichkeit und das Geschlecht beim Weinen spielen. 

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